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würde der Plastikmüll in den Ozeanen leuchten – Jeff Bezos hätte ihn von oben, aus dem All, sehen können. Ob er leuchtende Augen bekommen hätte? Er hätte sich fragen können, wie hoch sein eigener Anteil daran ist, also der Anteil von Amazon. Der Amazon-Gründer muss sich aber nicht in den Weltraum schießen lassen, um die Antwort zu finden. Die Antwort steht, zum Beispiel, in den Berichten der Meeresschutzorganisation Oceana: Der Plastikmüll allein aus den Verpackungen des Internethandels wiegt demnach, aufs Jahr zusammengerechnet, 900 Millionen Kilogramm. Der Anteil von Amazon macht, sagt Oceana, 211 Millionen Kilogramm jährlich aus. Jeff Bezos‘ Milliarden-Reichtum ist also mit einigen Millionen Tonnen Luftkissen, Folien und Schaumstoffchips gepolstert.

Das Gewicht der Versandpackungen

Kurz vor seinem Weltraumflug konnte man lesen, Jeff Bezos sei der reichste Mann aller Zeiten: Er habe sein Privatvermögen an einem einzigen Tag im Juli 2021 um 8,4 Milliarden Dollar steigern können. In Interviews hat Jeff Bezos erklärt, im Weltraum und mit dem privaten Tourismus, für den er mit seinem Flug geworben hat, sehe er Lösungswege für die Probleme der Erde. Bezos hat sich freilich nicht näher darüber ausgelassen, wie beispielsweise die Lösung der Plastikprobleme aussehen könnte. Sein Amazon-Konzern kritisiert stattdessen die Zahlen und Berechnungsmethoden der Meeresschutzorganisation Oceana – und verweist beschwichtigend darauf, dass man doch das Gewicht der Versandpackungen „schon um mehr als ein Drittel reduziert“ habe.

Neun Milliarden Tonnen Kunststoff

Jeff Bezos‘ Konkurrent um Weltraum-Ruhm und kommerzielle Geschäfte im All ist der britische Milliardär Richard Branson. Er kam mit seinem Weltraumflug am 11. Juli dem Konkurrenten Bezos um ein paar Tage zuvor. Branson ist um einiges älter als Bezos, er ist 1950 geboren. In diese Zeit fällt der Anfang der Massenproduktion synthetischer Materialien. Die umfassende Verwendung von Plastik begann mit der Entdeckung, dass sich ein Abfallprodukt der chemischen Industrie für die Produktion des Kunststoffs PVC eignet. Seit Anfang der 1950er-Jahre wurden weltweit neun Milliarden Tonnen Kunststoff hergestellt; über 75 Prozent sind heute Müll. Die Heinrich-Böll-Stiftung fasst die Situation so zusammen: „Bis heute ist kein Weg gefunden, damit so umzugehen, dass er keine Probleme verursacht“: Pro Jahr werden weltweit 400 Millionen Tonnen Kunststoff produziert. Den größten Teil davon machen Einwegprodukte und Verpackungen aus. Viele Produkte des täglichen Bedarfs werden nur einmal und meist auch nur kurz genutzt, bevor sie auf dem Müll landen. Beinahe die Hälfte aller Erzeugnisse ist nach weniger als einem Monat Abfall.

Plastik ist die Pest der Meere

Pro Minute gelangt Plastik in der Größe einer Müllwagenladung ins Wasser. Die Meere sind zur globalen Deponie geworden. 2050 wird der Kunststoffmüll in den Ozeanen mehr wiegen als alle Fische zusammen. Nach Schätzungen der Umweltorganisation WWF kommen auf einen Quadratkilometer Meer bis zu 46 000 Teile Plastikmüll. Vom WWF stammt der pointierte Satz: „Das kann kein Meer mehr schlucken“. Auf dem Boden der Nordsee wurden elf Kilo Müll pro Quadratkilometer ermittelt, hauptsächlich Plastik. Viele Kunststoffe enthalten gesundheitsschädliche Substanzen, die erst im Meer richtig freigesetzt werden. Eine Million Seevögel verenden pro Jahr, weil sie schwimmendes Plastik fressen. 100 000 Meeressäuger werden durch Plastik jährlich getötet. Die Tiere ersticken, erleiden tödliche Verstopfungen oder verhungern bei vollem Bauch. Es werden Wale gefunden, deren Mägen mit Plastik gefüllt sind. Plastik ist die Pest der Meere. Vor zwei Jahren hat die SZ der Plastikkrise das Buch Zwei gewidmet; dort findet sich eine Statistik darüber, wer am meisten Plastik exportiert: Es sind die USA, gefolgt von Deutschland.

„Wenn ich Einfluss hätte“

Im Newsletter vom vergangenen Sonntag („Das All gehört allen„) hatte ich über die „abhebenden Milliardäre“ geklagt und darüber, wie sich Bezos, Branson und Elon Musk des Weltraums für galaktische Geschäfte bemächtigen. Es haben mich dazu sehr, sehr viele Mails erreicht, darunter ein Brief des Militärhistorikers Gerd Krumeich, der die Geschichte des Ersten Weltkriegs akribisch erforscht hat, aber auch mit einem großartigen Buch über die sagenhafte Jeanne d’Arc hervorgetreten ist. Krumeich meinte: „Wenn ich Einfluss hätte und Bezos Adresse, würde ich ihm schreiben, dass er sich unsterbliche Helden-Meriten zulegen könnte, wenn er es auf sich nähme, den Pazifik vom Plastikmüll zu befreien.“ Der Mülleppich allein im Nordpazifik soll eine Fläche von 1,6 Millionen Quadratkilometern haben; er wäre damit viermal so groß wie Deutschland. Krumeich nennt das „den wohl größten Umweltskandal überhaupt: Bezos könnte doch Schiffe, die normalerweise Fische in unglaublichen Mengen ansaugen, auf Plastikmüll umrüsten. Und dann gleich ein paar Fabriken erstellen, wo das Zeug verarbeitet wird. Vielleicht kann er auch noch Geld damit verdienen, würde ich ihm gönnen, aber er wäre dann ein Retter der Menschheit.“

„The Ocean Cleanup“

Es gibt solche Initiativen schon, nicht von Bezos, Branson oder Musk allerdings – und nicht mit der gewaltigen Finanzkraft, die es bräuchte: Der junge Niederländer Boyan Slat hat ein Projekt namens „The Ocean Cleanup“ in die Tat umgesetzt; als 19-Jähriger brach er sein Raumfahrtingenieur-Studium ab, um die Meere vom Plastikmüll zu befreien. Damals hatte er einen Tauchurlaub gemacht, der ihm die Augen öffnete: Er sah unter Wasser keine schimmernden Fischschwärme und rosige Korallen, sondern tauchte durch vergammelte Flip-Flops und zerdrückte Cola-Flaschen. Auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter sammelte er Geld ein, ließ forschen, entwickelte zusammen mit der Technischen Universität Delft Müllsammel-Konzepte: Fangarme und Treibnetze sollen eine künstliche Bucht bilden, wie riesige Filter arbeiten und Plastik einsammeln, aber Fische passieren lassen. Das von den Müllsaugern gesammelte Plastik soll wiederverwertet werden. Das erste Wiederverwertungsprodukt von „The Ocean Cleanup“ sind Sonnenbrillen. Aber: Nicht alle Meeresschutzexperten und Meeresbiologen sind begeistert. Es lasse sich, heißt es, überhaupt nicht vermeiden, dass man auch große Mengen an Biomasse abschöpft, die eigentlich in die Flüsse und das Meer gehört.

Aber was tun? Gar nichts, weil ohnehin wenig auszurichten ist? Im Spiegel war im August 2020 von einer ernüchternden Hochrechnung eines Forscherteams zu lesen: Selbst wenn 200 Müllsammler à la „The Ocean Cleanup“ 130 Jahre lang rund um die Uhr auf den Weltmeeren unterwegs wären, könnten sie angeblich nur rund 45 000 Tonnen Müll von der Wasseroberfläche abschöpfen – fünf Prozent der Mengen, die auf den Weltmeeren zirkulieren. Effizienter, sagen diese Forscher, wäre es da, den Müll schon in den Flüssen abzufangen, bevor er ins Meer gelangt. Auch daran arbeitet „The Ocean Cleanup“. Das Unternehmen hat ein Reinigungssystem für Fließgewässer entwickelt; Interceptor heißt eine in Flüssen verankerbare Sammelanlage, eine Art schwimmendes Fließband. Nach Angaben von „The Ocean Cleanup“ sind tausend Flüsse, also etwa ein Prozent aller Flüsse, für etwa 80 Prozent des Plastikeintrags verantwortlich – und sollen innerhalb von fünf Jahren mit Interceptors ausgestattet werden. Derzeit arbeiten 90 Mitarbeiter für die Non-Profit-Organisation, die meisten am Hauptsitz Rotterdam.

„Sea Cleaners“

Der Extremsegler Yvan Bourgnon gründete 2016 die Umweltschutzorganisation „Sea Cleaners“. Ihr großes Projekt ist der Manta: ein 56 Meter langes und 26 Meter breites Segelschiff von der Anmutung eines Rochens, der nahezu emissionsfrei über das Wasser gleiten und Plastikmüll herausfischen soll. Die Kollegin Vivien Timmler hat in einem schönen SZ-Text vom Februar 2021 darüber geschrieben: Der Manta soll den Müll nicht nur sammeln, sondern direkt an Bord daraus Energie gewinnen, die wiederum das Schiff antreiben soll. Das Konzept: Über Förderbänder gelangt der Müll an Deck. Dort wird er sortiert, zerkleinert und in einem Pyrolyse genannten Prozess erst zu Gas und dann zu Strom umgewandelt. Was nicht verwertet werden kann, wird alle paar Wochen an Land gebracht und dort recycelt. 2022 soll der Bau des Prototypen beginnen, 2024 soll er erstmals in See stechen.

Nochmals: Wenn ich Einfluss hätte

Wenn man von Bezos, Branson und Musk Rettung erwartet, kann man wahrscheinlich lange warten. Die Namen stehen für das Problem und nicht für die Lösung. Bevor man sich der Illusion hingibt, die drei reichen Weltraumsurfer könnten ihr weiches Herz für die Meere entdecken und ihre Weltraumanzüge gegen Spendierhosen austauschen, konzentriert man sich besser auf den Mikroeinfluss der vielen Einzelnen. Das bringt mehr gegen die Verseuchung mit Mikroplastik, und das verlangt: Müll vermeiden; politischen Druck machen, um den Müllexport zu unterbinden; informieren, informieren, informieren – und das Ganze dann noch mal von vorn und nicht aufhören damit. Die künftige Bundesregierung kann ja damit anfangen.

Ich wünsche Ihnen eine erholsame Ferienzeit, ich wünsche Ihnen schöne Augustwochen

Ihr

Heribert Prantl,
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung


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