Warum das Ehegattensplitting durch ein Familiensplitting abgelöst werden sollte. Und warum sich die CDU dabei an die Spitze der Bewegung stellen sollte.

Von Heribert Prantl

Wenn sich die CDU, wieder einmal, einen neuen Generalsekretär gönnt, ist das ein Indiz dafür, dass es nicht so gut läuft in der Partei. Und es ist dies dann immer ein Anlass, an den Mann zu erinnern, an dem sich alle messen lassen mussten und müssen, die ihm in diesem Amt nachfolgten und nachfolgen: Carsten Linnemann ist nun der dreizehnte Generalsekretär nach Heiner Geißler.

„Generalsekretär“ ist einst zu Heiner Geißlers zweitem Vornamen geworden; und das ist so geblieben, obwohl seine Zeit als Generalsekretär nun schon Jahrzehnte zurückliegt. Am Ende seines Lebens, er ist 2017 gestorben, war Geißler der Liebling derer, die ihn einst, als CDU-Generalsekretär, verwünscht und gehasst hatten; in dieser Generalsekretärszeit hatte er sich vor keiner Polemik gescheut. Legendär ist sein Vorwurf gegen die SPD, die gegen die Aufstellung der Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik war, sie sei die „fünfte Kolonne“ Moskaus.

„Der Krach darüber hat mich lange gefreut“, bekannte er einmal. Aber auch: „Ich würde den Satz heute nicht mehr sagen.“ Und was ist mit dem heute wieder aktuellen Vorwurf, „Ohne den Pazifismus der Dreißigerjahre wäre Auschwitz nicht möglich gewesen“? Das sei eine Replik auf den damals grünen Otto Schily gewesen, der behauptet hatte, die CDU bereite einen atomaren Holocaust vor. Ein dummer Satz wird aber doch nicht dadurch besser, wenn er die Antwort auf einen anderen dummen Satz ist! „Da können Sie recht haben“, antwortete er. Geißler war souverän. Er konnte Fehler zugeben.

Anpassung an gewandelte Gesellschaftsstrukturen

Ob Carsten Linnemann das auch kann – nicht nur agitieren und polemisieren, sondern auch Fehler zugeben? Noch besser ist es freilich, keine zu machen. Es wäre eine Chance, ein Überraschungscoup für die CDU, den neu aufgelegten Vorschlag der SPD, das Ehegattensplitting abzuschaffen, nicht rundweg abzulehnen. Das macht ja schon die FDP; Finanzminister Lindner wischt den Vorschlag vom Tisch, und der FDP-Generalsekretär hält ihn für eine „Provokation“.

Eine Provokation ist es aber eher, dass es dieses jetzt 65 Jahre alte Ehegattensplitting immer noch gibt, dass es noch nicht in die Rente geschickt wurde. Eine kluge, eine sozial engagierte CDU könnte das Ehegattensplitting zu einem fein differenzierten Familiensplitting umbauen. Das wäre ein herzhafter und sinnvoller Plan – der schon geraume Zeit immer wieder aufblitzt, aber nie zum Leuchten gebracht wurde.

Es ist schon lange so, dass die Ehe ihre Exklusivität und die Legitimität der Normalität, die sie lange genoss, eingebüßt hat. Die Ehe hat ihren alten Wert verloren, und das Ehegattensplitting hat ausgedient damit, diesen Wert zu verteidigen. Das bürgerliche Eherecht hat seine Bedeutung nicht mehr in, sondern nach der Ehe; erst bei der Scheidung und nach der Scheidung kommt es kräftig zum Tragen. Zwar heißt es im Bürgerlichen Gesetzbuch immer noch, dass die Ehe „auf Lebenszeit“ geschlossen sei. Aus diesem Satz ist aber eine Lüge geworden oder, wenn man es milder ausdrücken will, ein Beschwörungsversuch.

„Die neue soziale Frage“

Das Ehegattensplitting war, als es 1958 eingeführt wurde, nichts anderes als ein Familiensplitting – nämlich eine Förderung der Familie, wie sie sich in den späten Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts darstellte: Ehe mit Kindern, Vater arbeitet, Frau kümmert sich zu Hause um den Nachwuchs. „Kinder kriegen die Leute immer“, sagte der Kanzler Adenauer.

Die Ehe heute ist aber eine andere Ehe als die in den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts. Immer mehr Ehepaare leben bewusst kinderlos, immer öfter werden Ehen in einem Alter geschlossen, in dem an Nachwuchs nicht mehr zu denken ist; immer mehr Kinder wachsen nicht in einer ehelichen Verbindung der Eltern auf. Angesichts dessen ist die steuerliche Bevorzugung der Ehe eine grobe Benachteiligung der Familie. Ein Familien- beziehungsweise Kindersplitting wäre eigentlich nur eine Anpassung an die in über sechs Jahrzehnten gewandelten Gesellschafts- und Familienstrukturen.

Aber: Noch immer ist das deutsche Wertpapier der Trauschein. Seit 1958, seit fünfundsechzig Jahren also, bringt er wunderbare Steuervorteile, genannt Ehegattensplitting. Der Staat belohnt auf diese kraftvolle Weise Eheschließung und Eheerhalt. Kindererziehung belohnt er nicht so kraftvoll. Für den Steuertarif ist es bis heute egal, ob die Ehe kinderlos ist oder nicht; es ist ihm egal, ob die Ehegatten vier Kinder haben oder keines. Für den Steuertarif zählt die Ehe, sonst nichts.

Das ist merkwürdig. Ich habe mich seit jeher gefragt, warum der schnelle Auftritt im Standesamt förderungswürdiger sein soll als die jahrzehntelange Betreuung von Kindern. Bei einem Familiensplitting, auch Kindersplitting genannt, würde das zu versteuernde Gesamteinkommen nicht, wie beim Ehegattensplitting, durch zwei geteilt, sondern durch einen gesetzlich zu bestimmenden Faktor, der sich nach der Anzahl der Kinder richtet. Das ist sinnvoll, richtig und wichtig.

Das Recht achtet seit geraumer Zeit weniger auf die Ehe, es achtet viel mehr auf Kinder und Familie – nur das Steuerrecht nicht. Der Stellenwert der Ehe nimmt ab, der Stellenwert der Kinder nimmt zu. Die Sorge der Gesellschaft gilt den Kindern, nicht mehr der Ehe. Das ist kein Werteverlust, sondern eine Werteverlagerung. Das Steuerrecht sollte diese Werteverlagerung nachvollziehen.

Es wäre dies, um den alten Heiner Geißler zu zitieren, eine Antwort auf „die neue soziale Frage“ in den Zeiten der Zeitenwende. Es wäre dies eine sinnvolle und lohnende Umleitung von Steuermitteln.

 


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