Die Provokationen und Pöbeleien der AfD im Bundestag sind eine Vorlage fürs Internet: Dort wachsen sie zu einer Lawine des Hasses heran – die demokratische Politikerinnen und Politiker einschüchtern soll. Das gelingt leider immer öfter.

Von Heribert Prant

Es war ein anständiger Tag. Jedenfalls war bei der Eröffnungssitzung des 21. Deutschen Bundestag viel von Anstand die Rede; auch von Streitkultur und von der Würde des Hauses. Der Alterspräsident Gregor Gysi redete davon, die neu gewählte Parlamentspräsidentin Julia Klöckner auch. Es war wie eine Beschwörung. Aber zu spüren war davon wenig; dafür sorgte die AfD, die mit neuer Macht in den Bundestag eingezogen ist; ihre Redner zeigten sogleich, welcher Ton da in den kommenden vier Jahren zu erwarten ist: Die anderen Parteien wurden von ihnen beschimpft und beleidigt – als Verschwörungskartell und als „Mischpoke“.

Das waren, das sind gezielte Provokationen und Pöbeleien, die sich im Netz potenzieren sollen. Das ist der Sinn solcher Auftritte. Aus dem Schneeball im Bundestag wird im Internet eine Lawine – es ist eine Lawine aus Schmähung, Verhöhnung und Verhetzung. So war es schon, als vor Jahren der AfD-Politiker Alexander Gauland die „Entsorgung“ der SPD-Politikerin Aydan Özoğuz forderte. Özoğuz sitzt nach wie vor im Bundestag, auch im 21. Bundestag, wenn auch nicht mehr wie bisher als Vizepräsidentin. Sie hat die Hetze ausgehalten.

Ihrer Kollegin von der CDU, auch sie war zuletzt Vizepräsidentin des Bundestags, gelang das nicht. Yvonne Magwas ist 45 Jahre alt, sie war zuerst, da war sie 34, über die CDU-Landesliste Sachsen in den Bundestag gewählt worden, anschließend hat sie zweimal, 2017 und 2021, das Direktmandat im Vogtlandkreis gewonnen, jeweils knapp vor dem Kandidaten der AfD. Die in der DDR geborene studierte Soziologin wurde von der AfD als „bemerkenswert dumme Vizepräsidentin“ beschimpft. Das war der Beginn einer Kaskade von Beleidigungen und Bedrohungen, das war der Beginn eines Shitstorms, der zum Orkan wurde. Zu den Aufgaben als amtierende Präsidentin gehörte es, wenn nötig, Ordnungsrufe zu erteilen. Yvonne Magwas erhielt Morddrohungen. Als sie auf einer Demo gegen den Rechtsextremismus in ihrer Heimat im sächsischen Vogtlandkreis sprach, ging neben ihr ein Sprengsatz hoch.

„Du fragst dich irgendwann, warum du dir das noch antun solltest. Die Frage habe ich mir immer häufiger gestellt, vor allem, seitdem ich Familie habe“, sagt Magwas. Sie hat nicht mehr kandidiert. Dem neuen Bundestag gehört sie also nicht mehr an.

Sie lebt zusammen mit Marco Wanderwitz, dem früheren Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, der sechs Legislaturperioden lang für die CDU im Bundestag saß und als engagierter Verfechter eines Verbotsantrags gegen die AfD bekannt wurde. Die beiden haben ein gemeinsames Kind. Wanderwitz war Opfer von heftigen Attacken und eines Anschlags. Auch er hat sich aus dem Bundestag zurückgezogen. Ebenso beispielsweise Tessa Ganserer von den Grünen. Sie war 2018 (damals als Mitglied des Bayerischen Landtags) die erste Abgeordnete in Deutschland, die ihre Transidentität publik machte. Im Internet wurden Dreckkübel über sie ausgeschüttet. Vielen demokratischen Politikerinnen und Politiker ergeht es so.

Einschüchterung: Angegriffen und alleingelassen

Einschüchterung und Abschreckung funktionieren. Digitale Gewalt gefährdet das politische Engagement in Deutschland. Die Gesundheits- und Gewaltforscherin Janina Steinert von der TU München sagt: „Es ist eine Bedrohung für die demokratische Teilhabe.“ Und Anna-Lena Hodenberg, Geschäftsführerin von HateAid, erklärt, die Anfeindungen seien „ein Sägen an einer der tragenden Säulen der Demokratie“. HateAid ist eine 2018 gegründete Menschenrechtsorganisation, eine gemeinnützige GmbH, die den Hass im Internet bekämpft. Das Team der Forscherin Steinert von der TU München hat zusammen mit HateAid vor Kurzem eine Studie vorgelegt mit dem Titel „Angegriffen und alleingelassen: Wie sich digitale Gewalt auf politisches Engagement auswirkt“.

Befragt wurden insgesamt 1114 politisch engagierte Personen, überwiegend Politikerinnen und Politiker, die auf kommunaler, auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene tätig sind. 58 Prozent berichteten von Anfeindungen im Internet. Fast ein Viertel der befragten Frauen wurde mit sexueller Gewalt bedroht. Eine Bundespolitikerin berichtete davon wie folgt: „Ich und andere Politikerinnen sollen alle mal von Flüchtlingen vergewaltigt werden … dann würden wir sehen.“

„Gott, segne den Henker dieser Völkermörderin Yvonne Magwas“, lautet eine der Drohungen gegen die damalige Bundestags-Vizepräsidentin im Netz. Sie erklärte dazu: „In meiner politischen Karriere ist zuletzt kaum ein Tag vergangen, an dem ich nicht online angefeindet wurde. Beleidigungen, Bedrohungen und Hetze haben mich nicht nur extrem viel Kraft gekostet, sondern ich mache mir auch große Sorgen. Wenn politisch Engagierte online und offline weiter so schutzlos angegriffen werden, wird der Hass unser demokratisches Miteinander immer weiter zersetzen.“

Hass ist keine Meinung. Hass ist Gewalt

Die Grünen-Politiker und frühere Bundesministerin Renate Künast kennt diesen Hass. Sie wurde als „Dreckschwein“, als „Drecks Fotze“, als „Stück Scheiße“ und als „pädophile Trulle“ beleidigt. Sie ist, mit logistischer und finanzieller Unterstützung von HateAid, dagegen vorgegangen, hat bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht dagegen prozessiert, dass solche Hetzereien als straflose Meinungsäußerungen qualifiziert werden. Sie hatte recht und sie bekam recht in Karlsruhe: Hass ist keine Meinung, sondern Gewalt.

Und deshalb geht Künast auch gegen im Internet massenhaft verbreitete Falschzitate vor, die ihr untergeschoben wurden. In denen wird hetzerisch behauptet, Künast habe gesagt: „Integration fängt damit an, dass Sie als Deutscher Türkisch lernen.“ Künast will, dass solche lügnerischen Posts vom Facebook-Mutterkonzern Meta aufgespürt und gelöscht werden. Meta wehrt sich und sagt, dass es so etwas nicht leisten könne. Es geht um die Haftung eines Online-Marktplatzes. Der Bundesgerichtshof hat seine Entscheidung verschoben. Er wartet auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in einem vergleichbaren Fall. Der Spruch der obersten juristischen Instanz ist auch deswegen ungeheuer wichtig, weil Meta angekündigt hat, Faktenchecks und Moderation einzuschränken.

Menschenrechte gelten auch online

HateAid, die Menschenrechtsorganisation, die sich mit den ganz großen Playern der Internet-Welt anlegt, ist ein Team von mittlerweile über 50 Mitarbeitern. HateAid berät und hilft, es führt Prozesse, informiert die Öffentlichkeit. Juristen, Psychologen, IT-Spezialisten – das Team ist bunt gemischt „und hat doch ein Ziel: Nicht hinnehmen, dass Gewalt im Digitalen normal ist: Menschenrechte und Menschenwürde gelten auch online“.

So hat das der Laudator formuliert, als HateAid vor ein paar Tagen der „Rotenburger Preis für Erinnerung und Zukunft“ verliehen wurde. Michael Krüger, der Redaktionsleiter der Rotenburger Kreiszeitung, hielt diese Laudatio. Krüger hat da gewisse Erfahrungen: „Im Mai 2024“, so erzählte er, „haben wir uns noch amüsiert, als Elon Musk auf Twitter einen Artikel der Rotenburger Kreiszeitung geteilt hat.“ Es ging in diesem Artikel um Aussagen der verurteilten Volksverhetzerin Marie-Thérèse Kaiser; sie ist AfD-Vorsitzende in Rotenburg und eine Mitarbeiterin der AfD-Bundesvorsitzenden Alice Weidel in deren Bundestagsbüro. „Die Klickzahlen waren dadurch ganz gut für uns“, erinnerte sich der Lokaljournalist. Musk ging es natürlich um etwas ganz anderes: Er wollte die Lügen der AfD-Frau über Migranten als Wahrheit verteidigen. Er wollte dem Hass freien Raum geben.

Das Gefährliche am Hass ist, dass er ansteckend ist. Der digitale Raum ist da ein ganz besonders gefährlicher Ansteckungsort. Dort entsteht die monströse Dynamik des Hasses. Es muss gelingen, diese Dynamik zu stören und zu zerstören.


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