Aids, Rita Süssmuth und ihr später Gegner Robert F. Kennedy Jr.: Die bisherigen Erfolge im Kampf gegen HIV-Infektionen sind in Gefahr.
Von Heribert Prant
Welt-Aids-Tag: Das ist ein Tag, an dem man kapiert, was ein Einzelner vermag – im Guten und im Schlechten. Vor vierzig Jahren war das im Guten die damalige bundesdeutsche Gesundheitsministerin Rita Süssmuth (CDU), die gegen alle Widerstände für Prävention und Aufklärung bei der Aids-Bekämpfung warb – und damit Erfolg hatte. Heute ist das im Schlechten der US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Junior. Er ist ein Anti-Aufklärer. Er leugnet die wissenschaftlichen Erkenntnisse über HIV und Aids; er kürzt und stoppt die US-Gelder für die einschlägigen nationalen und globalen Gesundheitsprogramme. Dieser Kennedy ist ein Anhänger von Verschwörungsmythen. Die bisherigen Erfolge im Kampf gegen Aids sind in Gefahr.
Menschen haben immer noch Angst vor Stigmatisierung
Seit Beginn der Aids-Epidemie sind weltweit mehr als 44 Millionen Menschen daran gestorben. Die jährliche Zahl der Todesfälle ist dank Aufklärungskampagnen und dank antiviraler Therapien in den vergangenen zwanzig, dreißig Jahren ganz erheblich gesunken. Der Kampf gegen Aids ist nicht nur eine medizinische, sondern auch eine gesellschaftliche Aufgabe. Zu den Ursachen von Aids gehört immer noch, dass Menschen aus Angst vor Stigmatisierung keine ärztliche Hilfe suchen. Zu den Ursachen von Aids gehört immer noch, dass die medizinische, die antiretrovirale Therapie heute zwar weniger als einen Euro pro Tag kostet, aber arme Länder sich das nicht leisten können und bei der Finanzierung abhängig sind vom Geld der großen Industrienationen, vor allem von dem der USA.
Vor vierzig Jahren fand in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia die erste Welt-Aids-Konferenz statt. Vor vierzig Jahren begann in Deutschland die Aids-Prävention. Vor vierzig Jahren erschien die erste offizielle Aids-Information der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Vor vierzig Jahren wurde die Deutsche Aidshilfe als bundesweite Organisation gegründet. Und: Vor vierzig Jahren wurde in der Bundesrepublik Professorin Rita Süssmuth Bundesgesundheitsministerin. Es begann ein erbitterter politischer Streit darüber, ob die damals tödliche Krankheit mit Repression, also mit Stigmatisierung, Ausgrenzung und Internierung der Kranken bekämpft werden soll – oder aber mit Prävention und Aufklärung. Die politische Linie der neuen Ministerin Rita Süssmuth war klar: „Wir bekämpfen die Krankheit, nicht die Betroffenen.“ Dieser Leitsatz setzte sich durch; er war erfolgreich, obwohl das zunächst gar nicht so aussah.
Treue als Prävention?
In den Koalitionsverhandlungen von 1987 erteilte Helmut Kohl nicht seiner Ministerin Süssmuth, sondern ihrem Konkurrenten von der CSU das erste Wort, der Zwangstestungen und notfalls sogar das Wegsperren der Infizierten propagierte. Die CSU und eine konservative Mehrheit in der CDU machten der Ministerin Süssmuth in den Verhandlungen – es war an ihrem fünfzigsten Geburtstag – klar, dass man ihren Präventionsweg konterkarieren wird.
Sie sprachen von der „Lustseuche“, setzten auf Zwangsethik, Zwangstests, auf Sondermaßnahmen gegen sogenannte Risikogruppen; sie warnten vor einer „Sexualisierung der Öffentlichkeit“ und der angeblichen Förderung „promiskuitiven“ Verhaltens durch Kondomwerbung. In der CSU und in kirchlichen Kreisen wurde stattdessen gefordert, die Enthaltsamkeit, Treue und eine „Änderung der Lebensgewohnheiten“ zu propagieren. Süssmuth wähnte sich nach der Koalitionsverhandlungsnacht schon „auf der absoluten Verliererstraße“. Später erzählte sie, dass man sich bisweilen wie ein Maulwurf verkriechen müsse, um dann nach dem Sturm wieder aufzutauchen.
Das Rausschmiss-Wort „Kondom“
Süssmuth gelang es, sich durchzusetzen. Dazu beigetragen hat der legendäre Fernsehspot mit Hella von Sinnen und Ingolf Lück an der Kasse: „Tiiina, wat kosten die Kondome“, das brüllt die Kassiererin durch den Supermarkt. „Das Wort Kondom zu gebrauchen“, so erinnerte sich Süssmuth später, „kam fast einem Rausschmiss aus dem Amt gleich.“ Der TV-Spot wurde ein Renner der Aids-Aufklärung. Der Spot war kurz, aber unglaublich wirkungsvoll. Er zielte darauf, dass Aids in erster Linie sexuell (und beim intravenösen Drogenkonsum) übertragen wird. Da schlich also ein junger Mann durch die Regale, griff sich verschämt eine Packung Präservative, versuchte sie auf dem Band vor der Kassiererin unter dem Baguette zu verstecken. Und da begann die Aufklärungsgeschichte: „Tiiina, wat kosten …“ Eine Oma neben dem Einkäufer zeigte sich so aufgeklärt wie die Gesundheitsministerin und nennt verschmitzt den aktuellen Preis: „Die sind im Sonderangebot“. In kirchennahen und konservativen Medien erschienen höchst kritische Kommentare, Spots dieser Art mussten daher intern und politisch durchgesetzt werden, bevor sie gesendet werden konnten.
Veränderung ist doch möglich
2006 war dann die Werbung für den Schutz durch Kondome schon etwas deftiger: „Passt auf jede Gurke“, hieß es damals. Unter dem Motto „Mach’s mit“ wurden in den deutschen Städten riesige Plakate geklebt, die auf witzige Weise zum Gebrauch von Kondomen aufforderten. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wertet diese Werbung als wesentlichen Beitrag dazu, dass Deutschland im westeuropäischen Vergleich besonders niedrige Zahlen bei Neuinfektionen zu registrieren hat. Später resümierte Süssmuth den erbitterten Streit in der Mitte der Achtzigerjahre so: „Diese Auseinandersetzung mit Aids, die so aussichtslos schien wie nur irgendetwas, hat mir das erste Mal gezeigt: Veränderung ist doch möglich.“ Ohne eine starke Zivilgesellschaft, so sagte sie, hätte sie es nicht geschafft. Im Herbst 1987 sprach sich die Bevölkerung erstmals für Aufklärung, Selbstschutz und verstärkte Eigenverantwortlichkeit aus.
Jahrzehnte später, seit Anfang 2025, ist in den USA ein Anti-Aufklärer am Werk: Manche Äußerungen von Robert F. Kennedy Jr. erinnern an die konservative Kampagne in Deutschland vor vierzig Jahren. Der von Trump berufene US-Gesundheitsminister referiert Thesen, nach denen bestimmte Konsum- und Lebensstilgewohnheiten, nicht aber HIV die eigentliche Ursache der Immunschwäche seien. Er leugnet die wissenschaftlichen Erkenntnisse über HIV und Aids und streicht die Mittel für die Aids-Forschung. Er ist ein Anti-Süssmuth.
Kommentatoren ziehen bei Kennedy Parallelen zu politischen Aids-Leugnern wie Thabo Mbeki, der von 1999 bis 2008 Präsident der Republik Südafrika war. Seine Ablehnung von antiretroviralen Medikamenten zur Bekämpfung von Aids führte nach Schätzungen zum Tod von bis zu 340 000 Menschen. Kennedy scheint das nicht zu interessieren; er streicht Forschungsmittel, er streicht Gelder für die Medikamentenversorgung, er verhindert so die weitere Präventionsarbeit, zumal in den armen Ländern. Die bisherigen Erfolge im Kampf gegen Aids sind in Gefahr.
