Ob Trumps Ukraine-Politik oder der Tod von Flüchtlingen im Mittelmeer: In der Hoffnung steckt die Kraft zum Handeln. Gedanken zum Geist der Menschlichkeit.

Von Heribert Prant

Vom Frieden ist in den aktuellen Kinderbüchern sehr viel mehr die Rede als in den aktuellen Koalitionsverhandlungen. Es gibt viele neue Kinderbücher, die „Wie wir den Frieden lernten“ (oder so ähnlich) heißen; politische Programme, die so heißen, gibt es nicht – auf nationaler Ebene nicht, auf europäischer Ebene auch nicht. Man kann sich fragen, ob die deutsche und die europäische Politik hinter den Kinderbüchern zurückbleibt oder ob die Kinderbücher der Aktualität hinterherhinken. In der politischen Aktualität jedenfalls ist nur von Aufrüstung, von militärischer Mobilisierung und von Bewaffnung die Rede – und von den ungeheuren Summen, die man dafür braucht. Das vom US-Präsidenten Donald Trump herbeigeredete faktische Ende der Nato sorgt dafür.

Ganz gewiss: Es ist in den erratischen Zeiten von Trump dringend notwendig, die Verteidigungsfähigkeit Europas zu stärken und das zu schaffen, was in den Fünfzigerjahren gescheitert ist: rine EVG, eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft. Sie muss eine Friedensmacht sein. Das heißt auch: Friedenserziehung darf bei alledem nicht wegfallen, sondern muss unbedingt weitergehen: Denn die Aufrüstung muss über lang das Ziel haben, wieder zur Abrüstung zu kommen. Und: Der Pazifismus darf nicht verketzert werden. Er ist das notwendige Gegengewicht zur militärischen Aufrüstung.

Der Frieden als prickelnder, faszinierender Zustand

Die Hoffnung auf Frieden ruht in den Kinderbüchern. Sie machen Hoffnung darauf, dass da neue Generationen mit Texten und Gedanken aufwachsen, die den Frieden als prickelnden, faszinierenden Zustand beschreiben. „Neugierig auf die Welt“ heißt das Motto der „Münchner Bücherschau junior“, die soeben eröffnet wurde und die neun Tage dauert, bis zum 23. März. Diese Bücherschau im „Forum der Zukunft“ des Deutschen Museums ist ein Lesefestival, eine Buch- und Kindermedienausstellung für Kinder bis zu 12 Jahren und ihre Familien, für Schulklassen und Kindergartengruppen.

Zu den bemerkenswerten Kinder-Friedensbüchern dort gehört eines, das soeben bei dtv erschienen ist und „Das Friedenstier“ heißt. Viele Künstlerinnen und Künstler, Illustratorinnen und Illustratoren malen, zeichnen und beschreiben dort ihre jeweiligen Lieblingstiere – es sind an die 140 geworden. Das Buch ist also eine große Menagerie des Friedens: Da sind Tiere, die fliegen; da sind Tiere, die schwimmen; da sind Tiere, die stampfen – sie tun es für den Frieden. Und um die Friedenstiere herum ranken sich Gedanken, Gedichte und Geschichten, die Hoffnung auf eine friedlichere Welt machen sollen.

„Mein Friedenstier – oh komm doch bitte bald zu mir!“

Eine der Beiträgerinnen im Buch sagt in gereimten Worten, was das Ganze soll: „Mein Friedenstier, mein Friedenstier, oh komm doch bitte bald zu mir, als Eule, Pottwal oder Hecht, egal ob magisch oder echt. / Und selbst wenn du ein Drache bist, dein Leibgericht Autorin ist, ganz egal mein Friedenstier, nur komm doch bitte bald zu mir! / Und wenn du dann erst bei mir bist, dann sag, dass es für immer ist!“ Das Buch über das Friedenstier macht Kinder und Erwachsene fröhlich – und es gibt wohl nicht sehr viele Bücher, von denen man das in diesen Zeiten sagen kann. Und es animiert Kinder, selber ihr Friedenstier zu malen. Deswegen ist es ein Kinderbuch.

Warum so viele Friedenstiere, mehr als hundertvierzig? Vielleicht deswegen, weil man spürt, dass in diesen Zeiten ein einziges Friedenstier nicht mehr reicht. Als das klassische Friedenstier gilt ja die Taube. Die Friedensbewegung der Sechziger-, Siebziger und Achtzigerjahre des letzten Jahrhunderts nutzte die weiße Taube auf blauem Grund als ihr Symbol. Der Dichter Louis Aragon hatte eine von seinem Freund Pablo Picasso gezeichnete Taube schon als Plakatmotiv für den Pariser Weltfriedenskongress 1949 ausgesucht. Der hatte freilich die Taube mit dem Ölzweig nicht aus dem Nichts erfunden. Ihren ersten großen Auftritt hat sie im biblischen Mythos von der Sintflut. Nach einer halben Ewigkeit in der Arche lässt Noah eine Taube fliegen – und sie kehrt mit einem frischen Olivenzweig im Schnabel zurück. Der Olivenzweig steht für das Leben und für die Hoffnung auf neues Leben, auf Frieden. Es ist die Taube, die anzeigt: Land in Sicht; ein Ölzweig sprießt; das Leben ist wieder da.

Die Friedensbewegung ist klein, die Kriegstüchtigkeitsbewegung groß geworden

Der Sticker mit der weißen Taube auf blauem Grund war vor gut vierzig Jahren der Mitgliedsausweis einer pazifistischen Massenbewegung. Damals, es war in den frühen Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts, bestand die halbe Bundesrepublik Deutschland aus atomwaffenfreien Zonen, jeder zweite Deutsche hatte große Sympathien für die Friedensbewegung. Frieden war machbar, Herr Nachbar. Das ist lange her. Die Friedensbewegung ist sehr klein geworden, die Kriegstüchtigkeitsbewegung sehr groß. Aus Tauben sind Falken geworden, und aus der grünen Partei, die in der Friedensbewegung zu Hause war, wurde eine Falknerei. Die Waffenarsenale sind weiter gewachsen, und sie sollen aktuell, angesichts der Unberechenbarkeiten der Trump’schen USA, noch weiter wachsen. Die Gefahr eins nuklearen Infernos ist so nah wie noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg.

Verantwortungsbewusste Kaltblütigkeit

Aber: Die weißen Tauben sind müde. Deshalb ist es gut, wenn es neue Friedenstiere gibt und wenn ihnen ein Kinderbuch Gestalt und Flügel verleiht. Was ist notwendig, um wieder zum Frieden zu finden? Es ist das Bewusstsein für die drohenden ungeheuren Gefahren; und es ist eine „verantwortungsbewusste Kaltblütigkeit“. Willy Brandt hat das so genannt, als er in seiner Friedensnobelpreisrede im Dezember 1971 darlegte, wie die Kuba-Krise im Jahr 1962 beigelegt wurde.

Damals stand die Welt an der Schwelle zum Atomkrieg. Die Sowjetunion hatte Atomraketen auf Kuba stationiert, US-Präsident John F. Kennedy geriet unter massiven internen und öffentlichen Druck: Seine Berater forderten eine US-Invasion auf Kuba, die Presse propagierte den Regime-Change in Havanna. Mit dem sowjetischen Diktator Nikita Chruschtschow und seinem Genossen Fidel Castro in Havanna könne und dürfe es keine Verständigung geben, hieß es; die Kommunisten verstünden ja nur eine Sprache, die Sprache der Waffen nämlich. Chruschtschow und sein Außenminister müssten für ihre atomare Erpressungspolitik und für ihre dreisten Lügen büßen und bestraft werden.

Die alten Vokabeln, neu poliert

Es waren Vokabeln, wie man sie heute kennt, wenn es um Putins Aggressionen geht. Kennedy verhängte eine Seeblockade über die Insel Kuba, versetzte die US-Atomraketen und Langstreckenbomber in den höchsten Alarmzustand unterhalb der Schwelle eines Atomkriegs, er warnte und drohte und drohte und warnte – und ließ seinen Bruder Robert höchst vertraulich mit den Sowjets verhandeln. Chruschtschow entfernte seine Atomraketen auf Kuba. Die USA verzichteten auf eine Invasion auf der Insel und zogen ihre in der Türkei und Italien stationierten Atomraketen ab – wovon die Öffentlichkeit aber nicht unterrichtet wurde.

Chruschtschow war ein Realist, der seinem Politbüro den Raketenabzug auf Kuba wie folgt erläuterte: „Jeder Trottel kann einen Krieg anfangen, und wenn er es einmal gemacht hat, sind selbst die Klügsten hilflos, ihn zu beenden – besonders, wenn es ein atomarer Krieg ist.“ Dieser Satz, den der Historiker und Amerikanist Bernd Greiner in seinem Buch über die Kuba-Krise wiedergibt, liest sich wie ein posthumer Kommentar Chruschtschows über seinen Nachnachfolger Putin. Kennedy wird bei Greiner dort mit dem Satz zitiert, der dessen Lehre aus der Kuba-Krise darstellt: Die Führer von Nuklearmächten dürften sich nicht in eine Lage bringen, „dass es nur noch die Wahl zwischen Demütigung und Atomkrieg gibt“.

Natürlich: Der Ukraine-Krieg ist nicht die Kuba-Krise. Die Gegebenheiten und die Machtverhältnisse sind heute ganz andere. Die aggressive Unberechenbarkeit des Donald Trump verlangt nach dem Aufbau einer souveränen, zuverlässigen und verlässlichen europäischen Verteidigungskraft. Das gehört heute zum Realitätssinn.

Aber: Man wünscht sich heute so viel Beherrschtheit, wie ihn die Protagonisten damals, zu Zeiten der Kuba-Krise, hatten. Und man wünscht sich, dass anstelle der kommunikativen Brandbeschleunigung, die die globale Gegenwart kennzeichnet, eine kommunikative Beschleunigung von Friedensbemühungen tritt. Ansonsten wäre zu befürchten, dass es in ein paar Jahren auf der „Münchner Bücherschau junior“ nicht Kinderbücher mit Friedenstieren, sondern mit Drohnen und Panzern gibt.


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