Es bringt nichts, nach der Gewalteskalation in Berlin neue Verbote einzuführen. Das Strafrecht ist scharf genug. Doch es wird viel zu langsam umgesetzt.

Kolumne von Heribert Prantl

Nach den Gewalttätigkeiten in der Silvesternacht wird, wieder einmal, über den Rechtsstaat lamentiert. Er sei, so heißt es, zu lasch. Das stimmt nicht. Man darf den Rechtsstaat nicht mit seinen Fehlern gleichsetzen. Der Rechtsstaat ist der fortgesetzte Versuch, so gut es nur geht menschliche Sicherheit zu gewährleisten. Dieser Versuch klappt nicht immer, es gibt Fehler. Aber dann darf man nicht den Rechtsstaat minimieren, sondern die Fehler.

Die nach Ausschreitungen üblichen Debatten über Gesetzesverschärfungen sind Fehler im Fortsetzungszusammenhang. Sie suggerieren eine schier unausrottbare genetische Schwäche des Rechtsstaats. Das ist falsch: Der Rechtsstaat ist das gute Zusammenwirken von Prävention und Repression. Das macht seine Stärke aus.

Es gibt, auch jetzt wieder, Politikerinnen und Politiker, die aufs Draufhauen setzen: Knüppel aus dem Sack, fertigmachen zum Abferkeln! So heißt im Jargon ein scharfer, aggressiver und rücksichtsloser Polizeieinsatz. Solche Forderungen werden aktuell von verbaler Knüppelei begleitet, die Böllerdebatte benutzt, um gegen Migranten zu hetzen und Straftäter ethnisch zu markieren. Das ist so falsch, wie die Ausschreitungen und die Angriffe auf Rettungskräfte unerträglich sind.

Es ist falsch, auf Aggression mit Aggression zu kontern. Es ist falsch, Eskalation mit Eskalation zu beantworten. Es ist falsch, wenn der Staat einem Macho-Gehabe machistisch begegnet. Es ist falsch, auf junge Leute, die „arm an Perspektiven, dafür aber umso reicher an Testosteron“ sind (wie es die SZ-Kollegin Constanze von Bullion gut beschrieben hat) mit einer Politik zu reagieren, die arm an Perspektiven, dafür aber umso reicher an Testosteron ist.

Tat, Festnahme, Strafurteil – das ist der effektive Dreiklang

Verbote und Strafverschärfungen, Strafverschärfungen und Verbote – das ist ebenso einfallslos wie unbehilflich. Böllerverbote, die dann nicht ausreichend kontrolliert werden können, kosten zwar nichts, bringen aber auch nichts. Und die Strafverschärfungsdebatte bringt auch nichts, weil das Strafrecht schon scharf genug ist. Es ist aber nicht schnell genug. Die Strafe muss der Tat nicht irgendwann, sondern auf dem Fuß folgen, also schon ein paar Tage später – gerade bei solchen Straftaten wie denen in der Silvesternacht. Jedenfalls die in der Tatnacht festgenommenen Verdächtigen sollten umgehend abgeurteilt werden beziehungsweise abgeurteilt werden können.

Erstens Tat; zweitens Festnahme; drittens Strafurteil: Das ist hier der effektive Dreiklang. Die Paragrafen, die so etwas möglich machen, sie beschreiben das sogenannte beschleunigte Verfahren, stehen im Gesetzbuch; sie stehen aber nur auf dem Papier, weil es in der Praxis das Personal dafür nicht gibt. Von Personalengpässen der Polizei wird viel geredet, von den Personalengpässen bei der Justiz nicht.

Das Instrumentarium, um auf die Taten schnell und effektiv zu reagieren, ist vorhanden; es gibt aber zu wenig Leute, um diese Instrumente virtuos zu handhaben. Ein erster Schritt: In der nächsten Silvesternacht braucht es nicht nur starke Polizeipräsenz, sondern auch eine starke Justizbereitschaft.

Am dampfenden Vokabular erkennt man die Dampfplauderer

Das gehört auch zur Deeskalation: Deeskalation ist nicht Schmusekurs mit Gewalttätern, sondern der intelligente Einsatz polizeilicher und justizieller Stärke. Es ist unintelligent, wenn die Sicherheitspolitik keine Linie und kein Konzept hat, sie aber dann die Polizei in den Einsatz schickt, um dort irgendeine Linie zu ziehen. Versäumnisse bei Prävention, also bei Schule, Berufsausbildung und Sozialarbeit, und Versäumnisse bei der Repression, also bei der schnellen Reaktion auf Gewalttaten, kann man nicht mit Verschärfungsgeschwalle substituieren.

Man landet sonst wieder bei einer Politik wie der des damaligen Berliner Innensenators Heinrich Lummer vor mehr als vier Jahrzehnten, der, kaum im Amt, das Prinzip Zuschlagen als Rezept gegen Hausbesetzungen durchsetzte. Im Zusammenhang mit Lummers Radikalräumungen kam 1981 der Hausbesetzer Klaus-Jürgen Rattay ums Leben.

Mit dampfendem Vokabular mögen Politiker kurzzeitig Eindruck schinden; man wird sie als Dampfplauderer entlarven. Rechtsstaatliche Politik produziert nicht Dampf, sondern Sicherheit.


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