Der Putin-Freund klagt dagegen, dass ihm sein Büro weggenommen wurde. Warum er damit jetzt vor dem Verwaltungsgericht Berlin Erfolg haben könnte.

Von Heribert Prantl

Dem römischen Kaiser Nero sagt man nach, dass er Rom angezündet habe. Dem deutschen Bundeskanzler Schröder sagt man nach, dass er die SPD angezündet habe. Der Vorwurf gegen Nero ist erwiesenermaßen falsch, der Vorwurf gegen Schröder ist so ganz falsch nicht. Mit der Agenda 2010 und mit Hartz IV hat er die SPD in Brand gesteckt, und die Brandschäden sind bis heute sicht- und spürbar. Die nachgesagte oder echte Brandstifterei ist aber nicht das Einzige, was die beiden verbindet. Es verbindet sie die nachträgliche Ächtung, die Verdammung ihres Andenkens; auf Lateinisch heißt das „Damnatio memoriae“. Im klassischen Altertum geschah das so: Die Namen von verachteten oder verhassten Herrschern wurden aus den Annalen getilgt, ihre Bildnisse, Statuen, Büsten und Inschriften zerstört oder beschädigt. So damniert wurden, durch Senatsbeschluss, eine ganze Reihe von römischen Kaisern; einige wurden dann später auch wieder rehabilitiert – auch bei Nero war das so.

Schröders Russland-Libido

So weit ist das bei Schröder noch nicht. Oder vielleicht doch, ein wenig jedenfalls? Am 4. Mai, also am Donnerstag dieser Woche, wird vor dem Verwaltungsgericht Berlin die Verwaltungsstreitsache Gerhard Schröder gegen die Bundesrepublik Deutschland verhandelt; da geht es nicht um Ehrenmitgliedschaften, Ehrenbürgerrechte und sonstiges Lametta, das Schröder von denen wieder abgenommen wurde, die sich einst mit der Verleihung an ihn geschmückt hatten. Es geht um anderes. Der Ex-Kanzler will sein Büro zurückhaben, das ihm durch Beschluss des Haushaltsausschusses des Bundestags im Mai 2022 aberkannt wurde. Grund dafür waren aber nicht die Brandschäden, die Schröder durch die Agenda 2010 und Hartz IV verursacht hat. Grund war seine Russland-Libido, Grund war seine freundschaftliche Beziehung zum russischen Staatschef Putin, von dem Schröder auch nicht abrückte, als Putin die Ukraine überfallen hatte; und Grund war Schröders Engagement beim russischen Energiekonzern Rosneft, das er allerdings mittlerweile aufgegeben hat.

Der Haushaltsausschuss beschloss deswegen (ohne dies in seiner Begründung klar zu sagen) für Schröder eine bislang nie gekannte Aberkennung von Privilegien, die einem Ex-Kanzler oder einem Ex-Bundespräsidenten eigentlich zustehen: Sein Büro wurde, wie es hieß, „ruhend gestellt“, also aufgelöst, die Stellen für Mitarbeiter wurden gestrichen. Die CDU/CSU hatte noch weiter gehen wollen als die Ampelkoalitionsparteien: Sie hatte Schröder sämtliche Versorgungsleistungen, auch die Altersbezüge, streichen wollen – gerade so, als stünde eine Pension unter dem Vorbehalt politischen Wohlverhaltens. Die Auflösung des Büros war nicht nur eine offiziöse, sie war eine offizielle Kränkung, sie war eine Missachtung einer Lebensleistung mit Höhen und Tiefen.

Unerschrockenheit und Unverfrorenheit

Sie verkürzte die politische Lebensbilanz Schröders auf seine lobbyistische Unverfrorenheit; sie vergaß seine Unerschrockenheit, als er sich im Jahr 2003 dem Irak-Krieg verweigerte. Er war unerschrocken und tapfer, als er damals im niedersächsischen Landtagswahlkampf auf dem Markplatz in Goslar verkündete, dass er als Kanzler nie und nimmer im UN-Sicherheitsrat „einer den Krieg legitimierenden Resolution“ zustimmen werde. Es war dies die Zeit, in der US-Präsident George W. Bush mit Lug und Trug für eine Anti-Saddam-Koalition warb. Schröder verweigerte sich einer deutschen Beteiligung am Irak-Krieg. Erst viel später nannten auch seine vielen Kritiker von damals diesen Irak-Krieg „unselig“. Aber: Schröder verdingte sich nach seiner Kanzlerzeit beim Autokraten und späteren Kriegsherrn Putin; das verdunkelt und vergiftet seine Lebensleistung, radiert sie aber nicht aus.

Fortwirkende Amtspflichten, nachlaufende Aufgaben

Büro, Büroausstattung und Personal stehen ehemaligen Bundespräsidenten, ehemaligen Bundeskanzlern und ehemaligen Bundestagspräsidenten nach dem Ende ihrer Amtszeit zu, auf dass sie, wie es heißt, „fortwirkende Amtspflichten“ und „nachlaufende Aufgaben“ erfüllen können. Gesetzlich geregelt ist das bisher nicht, obwohl der Bundesrechnungshof das immer wieder gefordert hat. Aber es entspricht bisheriger Staatspraxis – die auch etwas zu tun hat mit dem Status eines Kanzlers oder eines Präsidenten, mit dem Respekt vor dem Amt, das er bekleidet hat, und der Würde, die diesem Amt innewohnt: Wenn ein Volk Menschen in höchste Staatsämter gewählt hat, sollten diese Menschen in einem bestimmten Rahmen auch nach dem Ende ihrer Amtszeit wirken können – solange sie nicht wegen einer Straftat verurteilt sind und dadurch Ansprüche zu Recht verlieren. So war es bisher, wobei man sich über den Umfang und die Details der nachwirkenden Privilegien bei allen Ex-Präsidenten und Ex-Kanzlern streiten kann und streiten muss – zumal bei Angela Merkel, weil sie sich ein besonders üppiges Büro mit besonders üppiger Ausstattung ausbedungen und ausgehandelt hat.

Juristisch unverdaulich

Zu Gerhard Schröder: Die zwangsweise Auflösung seines Ex-Kanzler-Büros durch den Haushaltsausschuss des Bundestags überzeugt mich nicht. Es handelte sich um Augenblickssymbolik, genährt von der berechtigten Empörung und dem Entsetzen über den Schröder-Freund Putin. Aber diese Empörung ist kein rechtlich stichhaltiges Argument für den Büroentzug; eine solche Maßnahme, ohne Anhörung des Betroffenen und ohne dass gesetzliche Regeln dafür existieren, ist juristisch unverdaulich. Da hilft es wenig, wenn die Mitglieder des Haushaltsausschusses und die dort vertretenen Parteien argumentieren, der Ex-Kanzler halte sich viel zu wenig in diesem Büro auf, er arbeite dort auch nicht für die Interessen der Bundesrepublik, er brauche also das Büro nicht.

Solche Vorgaben und Anforderungen gab und gibt es bisher nicht. Sie sollten aber geschaffen werden – nicht als Einzelfall-Maßnahmen, nicht als Einzelfall- und Anti-Schröder-Gesetz, sondern als eine für alle Altkanzler und Altpräsidenten geltende, klare und transparente Regelung. In einem solchen Gesetz könnte und sollte dann auch stehen, dass die Höhe des sogenannten Ehrensoldes für die Altpräsidenten und Altkanzler abhängig ist von ihrer Amtsdauer.

Gerhard Schröder muss jede Kritik an seinem Gebaren aushalten. Unrechtmäßige Maßnahmen sind aber keine Kritik, sondern was sie sind: Unrechtmäßigkeiten eben.


Newsletter-Teaser