Die weltpolitische Situation, in der Gregor Gysi am Dienstag seine Alterspräsidenten-Rede zur Eröffnung des neuen Bundestags hält, ist dramatisch: Es geht um Wege und Auswege aus einer irren und wirren Lage.
Von Heribert Prant
Willy Brandt hat diese Rede dreimal gehalten. Ludwig Erhard zweimal. Otto Schily zweimal. Konrad Adenauer einmal. Wolfgang Schäuble auch einmal. Einige Reden der Alterspräsidenten zur Eröffnung einer neuen Legislaturperiode des Bundestages waren Marksteine in der Geschichte der Bundesrepublik. Aber nicht alle zwanzig Reden, die bisher gehalten wurden, waren marksteinig. Da waren spröde Reden darunter, schwafelige und auch solche, bei denen die Redner ergriffener waren als ihr Publikum.
Es war auch eine Eröffnungsrede dabei, die Markus Wolf, der Chef des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit, mitverfasst hatte. Der Alterspräsident des Bundestages im Jahr 1969 war nämlich sein Agent, Deckname Olaf. Es war William Borm von der FDP; Borm war von 1965 bis 1972 Mitglied des Deutschen Bundestages und von 1960 bis 1982 im FDP-Bundesvorstand. Seine Arbeit für das DDR-Ministerium für Staatssicherheit wurde erst nach seinem Tod im Jahr 1987 bekannt.
Ein Redner, der nicht auf die Uhr schauen muss
Die erste Hälfte der bisher zwanzig Reden war geprägt von der Teilung Deutschlands; die zweite Hälfte von den weltpolitischen Umbrüchen und der Deutschen Einheit. Nun wird am kommenden Dienstag Gregor Gysi von der Linkspartei mit der 21. Alterspräsidentenrede die 21. Legislaturperiode eröffnen. Gysi ist der Abgeordnete mit der längsten Parlamentserfahrung im Bundestag; das macht den 77-Jährigen zum Alterspräsidenten. Er sitzt seit 1990 im Bundestag, mit einer kurzen Unterbrechung als Berliner Wirtschaftssenator im rot-roten Senat des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit im Jahr 2002.
Gysi ist von Beruf Rechtsanwalt, er hat in Zeiten der friedlichen Revolution in der DDR die SED zur PDS transformiert und die PDS dann mit Oskar Lafontaines SPD-Abspaltung WASG zur Linkspartei fusioniert. Er war Chef erst der PDS-Fraktion, dann der Linksfraktion im Bundestag, ein paar Jahre lang Oppositionschef im Parlament, ein paar Jahre auch Präsident der Europäischen Linken.
Von Gysi ist eine Rede zu erwarten, in der sich sowohl seine viel gerühmten rhetorischen Fähigkeiten als auch seine besondere politische Erfahrung zeigen. Es wird eine Rede zur Lage der Nation fünfunddreißig Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung werden. Es wird aber auch eine Rede zur irren und wirren Weltlage werden in den Zeiten des US-Präsidenten Donald Trump und des Ukraine-Kriegs. So kurz wie die Rede des damaligen Alterspräsidenten und Altkanzlers Konrad Adenauer im Jahr 1965 wird Gysis Rede nicht sein; sie bestand nämlich nur aus drei Sätzen. Gysi selbst hat sie so angekündigt: „Ich werde die erste und letzte Rede meines Lebens als Alterspräsident ohne Zeitbegrenzung halten – das ist schon etwas Besonderes.“ Es sei „wirklich angenehm“, nicht ständig auf die Uhr schauen zu müssen. „Aber keine Sorge, ich werde das nicht missbrauchen.“
Gysi ist der dritte linke Alterspräsident seit der Wiedervereinigung
Dass nicht der sieben Jahre ältere AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland, sondern Gysi den Bundestag eröffnet, liegt an einer Änderung der Geschäftsordnung, die der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert 2017 durchgesetzt hat: Es wird nicht mehr das Lebensalter, sondern die im Bundestag verbrachte Zeit gezählt. Seit dem Tod Wolfgang Schäubles ist Gysi der dienstälteste Abgeordnete. Es ist das dritte Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass ein Abgeordneter aus der Fraktion der Linken beziehungsweise ihrer Vorläufer Alterspräsident wird.
Das erste Mal ist gut 30 Jahre her und wurde von einem Eklat begleitet. Als der 81-jährige Stefan Heym im November 1994 als Alterspräsident den 13. Bundestag eröffnete, blieben die Abgeordneten der Unionsfraktion sitzen und verweigerten dem berühmten Schriftsteller nach der maßvollen Rede den Applaus.
Der zweite linke Alterspräsident war im Jahr 2002 der Gewerkschafter und Volkshochschullehrer Fred Gebhardt. Er war viele Jahre lang streitbarer Chef der Frankfurter SPD gewesen, gehörte für die Sozialdemokraten dem hessischen Landtag an. Nach 53 Jahren Mitgliedschaft war er an seinem siebzigsten Geburtstag aus der Partei ausgetreten – und hatte sich von der PDS, ohne Mitglied zu werden, für den Bundestag aufstellen lassen. Die Themen seiner Alterspräsidentenrede waren die, deretwegen er die SPD, die ihm zu neoliberal geworden war, verlassen hatte: soziale Gerechtigkeit, Bürgerrechte, Arbeitslosigkeit. Seiner ruhigen und schlichten Ansprache hörten auch Helmut Kohl und der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Schäuble aufmerksam zu – ganz anders als vier Jahre vorher bei Heym. Gebhardt meinte dazu: Man habe dazugelernt …
Willy Brandt hat diese Rede dreimal gehalten. Ludwig Erhard zweimal. Otto Schily zweimal. Konrad Adenauer einmal. Wolfgang Schäuble auch einmal. Einige Reden der Alterspräsidenten zur Eröffnung einer neuen Legislaturperiode des Bundestages waren Marksteine in der Geschichte der Bundesrepublik. Aber nicht alle zwanzig Reden, die bisher gehalten wurden, waren marksteinig. Da waren spröde Reden darunter, schwafelige und auch solche, bei denen die Redner ergriffener waren als ihr Publikum.
Es war auch eine Eröffnungsrede dabei, die Markus Wolf, der Chef des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit, mitverfasst hatte. Der Alterspräsident des Bundestages im Jahr 1969 war nämlich sein Agent, Deckname Olaf. Es war William Borm von der FDP; Borm war von 1965 bis 1972 Mitglied des Deutschen Bundestages und von 1960 bis 1982 im FDP-Bundesvorstand. Seine Arbeit für das DDR-Ministerium für Staatssicherheit wurde erst nach seinem Tod im Jahr 1987 bekannt.
Ein Redner, der nicht auf die Uhr schauen muss
Die erste Hälfte der bisher zwanzig Reden war geprägt von der Teilung Deutschlands; die zweite Hälfte von den weltpolitischen Umbrüchen und der Deutschen Einheit. Nun wird am kommenden Dienstag Gregor Gysi von der Linkspartei mit der 21. Alterspräsidentenrede die 21. Legislaturperiode eröffnen. Gysi ist der Abgeordnete mit der längsten Parlamentserfahrung im Bundestag; das macht den 77-Jährigen zum Alterspräsidenten. Er sitzt seit 1990 im Bundestag, mit einer kurzen Unterbrechung als Berliner Wirtschaftssenator im rot-roten Senat des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit im Jahr 2002.
Gysi ist von Beruf Rechtsanwalt, er hat in Zeiten der friedlichen Revolution in der DDR die SED zur PDS transformiert und die PDS dann mit Oskar Lafontaines SPD-Abspaltung WASG zur Linkspartei fusioniert. Er war Chef erst der PDS-Fraktion, dann der Linksfraktion im Bundestag, ein paar Jahre lang Oppositionschef im Parlament, ein paar Jahre auch Präsident der Europäischen Linken.
Von Gysi ist eine Rede zu erwarten, in der sich sowohl seine viel gerühmten rhetorischen Fähigkeiten als auch seine besondere politische Erfahrung zeigen. Es wird eine Rede zur Lage der Nation fünfunddreißig Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung werden. Es wird aber auch eine Rede zur irren und wirren Weltlage werden in den Zeiten des US-Präsidenten Donald Trump und des Ukraine-Kriegs. So kurz wie die Rede des damaligen Alterspräsidenten und Altkanzlers Konrad Adenauer im Jahr 1965 wird Gysis Rede nicht sein; sie bestand nämlich nur aus drei Sätzen. Gysi selbst hat sie so angekündigt: „Ich werde die erste und letzte Rede meines Lebens als Alterspräsident ohne Zeitbegrenzung halten – das ist schon etwas Besonderes.“ Es sei „wirklich angenehm“, nicht ständig auf die Uhr schauen zu müssen. „Aber keine Sorge, ich werde das nicht missbrauchen.“
Gysi ist der dritte linke Alterspräsident seit der Wiedervereinigung
Dass nicht der sieben Jahre ältere AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland, sondern Gysi den Bundestag eröffnet, liegt an einer Änderung der Geschäftsordnung, die der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert 2017 durchgesetzt hat: Es wird nicht mehr das Lebensalter, sondern die im Bundestag verbrachte Zeit gezählt. Seit dem Tod Wolfgang Schäubles ist Gysi der dienstälteste Abgeordnete. Es ist das dritte Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass ein Abgeordneter aus der Fraktion der Linken beziehungsweise ihrer Vorläufer Alterspräsident wird.
Das erste Mal ist gut 30 Jahre her und wurde von einem Eklat begleitet. Als der 81-jährige Stefan Heym im November 1994 als Alterspräsident den 13. Bundestag eröffnete, blieben die Abgeordneten der Unionsfraktion sitzen und verweigerten dem berühmten Schriftsteller nach der maßvollen Rede den Applaus.
Der zweite linke Alterspräsident war im Jahr 2002 der Gewerkschafter und Volkshochschullehrer Fred Gebhardt. Er war viele Jahre lang streitbarer Chef der Frankfurter SPD gewesen, gehörte für die Sozialdemokraten dem hessischen Landtag an. Nach 53 Jahren Mitgliedschaft war er an seinem siebzigsten Geburtstag aus der Partei ausgetreten – und hatte sich von der PDS, ohne Mitglied zu werden, für den Bundestag aufstellen lassen. Die Themen seiner Alterspräsidentenrede waren die, deretwegen er die SPD, die ihm zu neoliberal geworden war, verlassen hatte: soziale Gerechtigkeit, Bürgerrechte, Arbeitslosigkeit. Seiner ruhigen und schlichten Ansprache hörten auch Helmut Kohl und der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Schäuble aufmerksam zu – ganz anders als vier Jahre vorher bei Heym. Gebhardt meinte dazu: Man habe dazugelernt …