Was bei der Wahl der Bundesverfassungsrichter im Argen liegt und wie verhindert werden kann, dass Kandidaten der AfD Bundesverfassungsrichter werden.

Von Heribert Prantl

Wer wird es sein? Wie wird er sein? Wird er auf dem Boden Grundgesetzes stehen oder nicht? Wen wird die AfD als ihren Kandidaten für das Bundesverfassungsgericht benennen? Einen sehr konservativen Juristen, wie ihn auch die Union benennen könnte – einen also, der so etwas wie den guten Willen der AfD signalisiert und einen gewissen Respekt vor dem höchsten Gericht erkennen lässt?

Oder einen Juristen, der braun gestreift ist und eine Kampfansage an den Rechtsstaat darstellt – einen oder eine also, der oder die all dem widerspricht, wofür Karlsruhe steht? CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP wollen es darauf nicht ankommen lassen. Sie haben Gesetzesänderungen vorbereitet, mit denen es auch in Zukunft gelingen soll, der AfD den Zugriff auf das Bundesverfassungsgericht zu verweigern – selbst für den Fall, dass die AfD eines Tages allein oder zusammen mit Bündnispartnern über ein Drittel der Stimmen im Bundestag verfügt.

Die AfD könnte die Berufung von Verfassungsrichtern verhindern

Dann hätte die AfD nämlich eine sogenannte Sperrminorität, dann könnte sie die Berufung von Verfassungsrichtern durch CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP verhindern. Für deren Wahl braucht es nämlich, so sieht es das Bundesverfassungsgerichtsgesetz vor, eine Zweidrittelmehrheit. Das absehbare Szenario sieht also so aus: Die AfD blockiert die Wahl neuer Verfassungsrichter im Bundestag so lange, bis auch von ihr nominierte Kandidaten dem Personaltableau angehören.

Die AfD, so ist es zu erwarten, wird versuchen, ein eigenes Vorschlagsrecht dadurch durchzusetzen, dass sie sich den Personalvorschlägen der anderen Parteien verweigert. Die Gesetzespläne von CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP, die soeben im Bundestag beraten worden sind, sehen daher für diesen Fall einen Ersatzwahlmechanismus vor: Diejenigen Verfassungsrichter, die eigentlich vom Bundestag zu wählen sind, sollen im Fall einer Blockade im Bundestag nicht dort, sondern im Bundesrat gewählt werden – wo eine Sperrminorität von AfD und Co. in absehbarer Zeit nicht vorstellbar erscheint.

Man könnte natürlich stattdessen auch das Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit streichen und eine einfache Mehrheit für die Wahl der Bundesverfassungsrichter genügen lassen – aber das widerspräche dem Anliegen, dass die obersten Richter von einem möglichst großen parlamentarischen Vertrauen getragen werden sollen.

Die Macht der acht

Die geltende Rechtslage für die Besetzung der höchsten Richterämter in Deutschland ist so: In jedem der zwei Senate des Bundesverfassungsgerichts sitzen acht Richterinnen und Richter; das soll so bleiben und künftig ausdrücklich im Grundgesetz festgeschrieben werden. Die Vorschlagsrechte für diese Spitzenposten der Justiz werden derzeit informell wie folgt zwischen den Parteien und Fraktionen verteilt: Je drei der Richterinnen oder Richter im Senat werden von der CDU/CSU und der SPD benannt, je einer von den Grünen und der FDP.

Die genaue personelle Besetzung, die jeweils konkret vorgeschlagenen Kandidaten, werden vorab zwischen den genannten Parteien und Fraktionen ausgehandelt, auf dass dann auch die für die Wahl entscheidende Zweidrittelmehrheit gesichert ist.

Aber: Kein Gesetz sagt auch nur ein Wort darüber aus, wie ein Kandidat überhaupt zum Kandidaten wird und auf welche Weise er oder sie für das höchste Gericht auserkoren wird. Man weiß lediglich, dass gewöhnlich in den juristischen Fakultäten der Universitäten, in den Gerichten oder auch in der Politik nach Kandidaten Ausschau gehalten wird. Nur das Finale der Kür, die Richterwahl, ist klar geregelt: Drei der acht Richter eines Senats müssen aus dem Kreis der Richter der Obersten Gerichtshöfe kommen.

Und zur Richterwahl bedarf es, wie gesagt, in den parlamentarischen Gremien einer Zweidrittelmehrheit. Es wird daher seit eh und je so lange unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt, bis ein Personalpaket geschnürt ist, das die CDU/CSU, die SPD und ihre Koalitionäre nach wechselseitigen personellen Zugeständnissen zufriedenstellt.

Die Papstwahl ist demokratischer als die der Verfassungsrichter

Die Richterwahl sei „von Haus aus verfassungswidrig“: Das sagte nicht irgendein Doktorand der Rechten, sondern einer der hervorragendsten Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts, Richard Thoma. Seit diesem bitteren Votum aus den frühen Jahren der Bundesrepublik hat sich an den Wahlverfahren nichts Wesentliches geändert. Allerdings hat das suspekte, parteipolitisch gelenkte Verfahren, so angreifbar es auch ist, bis auf wenige Ausnahmen respektable Ergebnisse gezeitigt: Richterpersönlichkeiten, die ihre Unabhängigkeit unter Beweis gestellt und sich ihrer Verantwortung trotz aller Vorabbefürchtungen als würdig erwiesen haben.

Das gilt auch für die Richter, die aus der Politik kamen – exzellente Beispiele sind etwa Jutta Limbach oder Ernst Benda. Benda war erst CDU-Bundestagsabgeordneter und Bundesinnenminister, dann, von 1971 bis 1983, ein brillanter Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Und Limbach war erst SPD-Justizsenatorin in Berlin und dann, von 1994 bis 2002, allseits hochgeachtete Präsidentin des Verfassungsgerichts.

Ein Jahrzehnt vor dem Beginn der Kanzlerschaft von Angela Merkel hat sie als erste Präsidentin des höchsten Gerichts Frauen den Weg in die höchsten Staatsämter bereitet. Sie besaß ein gelassenes Selbstbewusstsein und ein unerschütterliches Vertrauen in die Grundrechte. Zudem haben genialische Richter wie Konrad Hesse, Wiltraut Rupp-von Brünneck, Helmut Simon, Ernst-Wolfgang Böckenförde und Dieter Grimm den weltweiten Ruf des Karlsruher Gerichts gestärkt.

Es zählt zu den größten Wundern der bundesrepublikanischen Geschichte, dass das Karlsruher Gericht, das auf fragwürdige Weise rekrutiert wird, es trotzdem geschafft hat, sich so viel Vertrauen zu erwerben. Das hat damit zu tun, dass viele Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter die parteipolitischen Hoffnungen, die sich „ihre“ Parteien bei der Nominierung gemacht hatten, nicht erfüllt haben. Gleichwohl: Manchmal klappt es mit diesen Hoffnungen doch.

Der weltweite Ruf des Karlsruher Gerichts

Bisher sehr selten hat das System der heimlichen Absprachen nicht funktioniert. Ein besonders schwerer, offen und öffentlich ausgetragener Konflikt ist jetzt dreißig Jahre alt: Er handelte davon, ob die damalige stellvertretende SPD-Vorsitzende, Rechtspolitikerin und spätere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin Verfassungsrichterin werden darf.

Der Streit darüber wurde zwischen Union und SPD mit großer Schärfe ausgetragen. Es ging 1993/94 um die Nachfolge des Richters Gottfried Mahrenholz; mit dieser Stelle verband sich die Anwartschaft auf das Amt des Gerichtspräsidenten. Weil die Union die Berufung der SPD-Kandidatin blockierte, verhinderte die SPD die Neubesetzung anderer hoher Staatsämter mit Kandidaten der Union. Jede Partei ließ die Kandidaten des anderen in der Luft hängen.

Der damalige Unionsfraktionschef Wolfgang Schäuble schaltete gegenüber seiner politischen Intimfeindin Däubler-Gmelin auf stur, hielt sie für „zu politisch“; Hans-Jochen Vogel, der frühere SPD-Chef und damals noch Mitglied des Bundestags, gab für die SPD die Devise aus, man müsse auf Zeit setzen.

Das Fell des Bären wird bisher meist lautlos verteilt

Mehr als ein Jahr blieb es damals dabei, dass die SPD zwar ein Vorschlagsrecht und eine Kandidatin, der Verfassungsrichter Mahrenholz aber keinen Nachfolger hatte – so lange, bis die zermürbte Kandidatin Däubler-Gmelin dem grausamen Spiel selbst ein Ende setzte und von der Kandidatur zurücktrat. Auf den umkämpften Richterstuhl wurde dann Jutta Limbach gewählt.

Solch harte öffentliche Auseinandersetzungen waren bisher die Ausnahme in einem ansonsten eher heimlichen Geschäft der proportionalen Machtverteilung und kamen insbesondere dann vor, wenn der zu besetzende Richterstuhl mit der Aussicht auf das Präsidentenamt im Gericht verbunden war. Zumeist wird das Fell des Bären so lautlos verteilt, dass es nicht einmal der Bär merkt. So wird es in AfD-Zeiten nicht mehr funktionieren.

Bisher hat das Verfahren der Richterauswahl das Licht der Öffentlichkeit gescheut. In einer Demokratie ist das immer ein Indiz dafür, dass etwas faul ist. Helmut Kerscher, der frühere SZ-Korrespondent in Karlsruhe, hat einmal geschrieben: „Verglichen mit der Wahl deutscher Verfassungsrichter ist die Papstwahl ein Vorbild an Transparenz und Demokratie.“ Kurz: Das Wahlverfahren für das Bundesverfassungsgericht muss viel transparenter werden als bisher.

Die Fraktion der Grünen hat schon vor 15 Jahren, in einem Gesetzentwurf, der 2019 im Rechtsausschuss des Bundestags intensiv diskutiert wurde, die Einführung öffentlicher Anhörungen gefordert, da derzeit kein Verfahren bestehe, „das der Öffentlichkeit die Möglichkeit eröffnet, sich aufgrund eigener Anschauung eine fundierte Auffassung zu den Kandidaten zu bilden“. Winfried Hassemer, einst hochgeachteter Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, hat sich damals engagiert für solche öffentlichen Anhörungen im Bundestag eingesetzt. Es wäre jetzt höchste Zeit dafür, sie einzuführen.

Diese Transparenz gehört zu den Maßnahmen, die notwendig sind, um Demokratie und Rechtsstaat gegen die Agitation der AfD zu wappnen. Demokratie muss sich nicht verstecken. Sie darf sich daher auch nicht davor scheuen, das Werkzeug in die Hand zu nehmen, das ihr das Grundgesetz zur Verteidigung von Rechtsstaat und Demokratie in die Hand gegeben hat: den Antrag auf das Verbot einer Partei, die gegen die Grundrechte arbeitet. Über den Antrag auf ein Parteiverbot muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Das zeigt den Rang dieses Gerichts. Ein Verbotsantrag gegen die AfD schützt auch die rechtsstaatliche Zukunft des Verfassungsgerichts, er schützt seine Lauterkeit.


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