Ein Beitrag auch zum Tag der Deutschen Einheit: für die Erhöhung der Erbschaftsteuer und für die Wiedereinführung der Vermögensteuer aus gutem Grund.

Von Heribert Prant

Deutschland leistet sich ein Steuersystem, das es sich nicht mehr leisten kann. Die Politik betreibt Reichtumspflege: Kanzler Friedrich Merz, der CDU-Vorsitzende, und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, der CSU-Vorsitzende, agieren als Reichtums-Anhäufungsgehilfen. Eine Wiedereinführung der Vermögensteuer lehnen sie ab, eine Erhöhung der Erbschaftssteuer auch; letztere ist heute nur eine Bagatellsteuer. Selbst Raucher leisten über die Tabaksteuer einen höheren Beitrag zum Staatshaushalt als Erben – die Raucher zahlen 15 Milliarden, die Erben neun Milliarden. Ausgerechnet die Großerben werden am geringsten besteuert. Die Unternehmensvermögen profitieren von weitreichenden Steuerbefreiungen und großzügigen Gestaltungsmöglichkeiten, die der Steuergesetzgeber einräumt.

Mahnung, Auftrag, Interpretationshilfe

Mit der Verfassungslage hat diese Reichtumspflege nichts zu tun: mit dem Grundgesetz nicht – und mit der Bayerischen Verfassung schon gleich gar nicht. Im Grundgesetz steht der Satz: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ In welchem Geist die Mütter und Väter des Grundgesetzes diese Grundpflicht des Eigentümers formuliert haben, wird deutlich, wenn man die Landesverfassungen liest, zum Beispiel die Bayerische Verfassung. Da heißt es in Artikel 168 Absatz 2: „Arbeitsloses Einkommen arbeitsfähiger Personen wird nach Maßgabe der Gesetze mit Sondersteuern belegt.“ Oder in Artikel 123 Absatz 3: „Die Erbschaftssteuer dient auch dem Zwecke, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen einzelner zu verhindern.“ Und in Artikel 151 ist der ganz große politische Wegweiser aufgestellt: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl“ und „die wirtschaftliche Freiheit des Einzelnen findet ihre Grenze in der Rücksicht auf den Nächsten.“ Ähnliche Artikel finden sich in den anderen Landesverfassungen. Sie sind Mahnung und Auftrag – und eine Interpretationshilfe bei der Auslegung des zentralen, aber viel zu wenig beachteten und geachteten Grundgesetz-Satzes von der Sozialpflichtigkeit des Eigentums.

Unverdientes Eigentum im Wortsinn

„Eigentum verpflichtet“. Wozu eigentlich? Es verpflichtet vor allem dazu, Steuern zu zahlen und damit Gemeinwesen und Gemeinwohl zu finanzieren. Ererbtes Eigentum verpflichtet dazu erst recht – jedenfalls dann, wenn das Erbe bestimmte Freibeträge übersteigt, die dem Ehepartner und den Kindern richtigerweise zustehen. Geerbtes Eigentum verpflichtet deswegen ganz besonders, weil es ein Eigentum ist, das sich der Erbe nicht selbst erarbeitet hat. Ererbtes Eigentum ist, im Wortsinn, ein unverdientes Eigentum. Es ist dem Erben letztlich aus Zufall zugefallen. Ererbtes Vermögen gewährleistet anstrengungslosen Wohlstand. Der soll dem Erben nicht weggenommen werden; der Erbe soll aber, jenseits der nach Verwandtschaftsgrad gestaffelten Freigrenzen, Steuern zahlen – zumal bei gewaltigen Erbmassen.

So will es die Verfassung. Aber der Gesetzgeber hat das bisher nicht richtig gewollt: Er hat so viele Ausnahmen geschaffen, dass nur noch diejenigen reichen Erben Erbschaftsteuer zahlen, die einen schlechten Steuerberater haben. Der Gesetzgeber privilegiert die Erben von Unternehmen so, dass sie meist steuerfrei blieben. Die Mahnungen des Bundesverfassungsgerichts an den Gesetzgeber, zuletzt 2007 und 2014, haben wenig geholfen. Die alten Trickkisten wurden durch neue Trickkisten ausgetauscht.

Die Erbschaftssteuer hat eine Gerechtigkeitsdimension

Die reichen Reichen verstehen es erfolgreich, bei jedweder Reformdiskussion die Ängste der armen Reichen, also der Mittelschicht, zu aktivieren, dass es bei dieser Reform vor allem ihnen an den Kragen gehen könnte; dabei ist das heute schon so. Rund die Hälfte der Bevölkerung erbt gar nichts oder jedenfalls nichts, was über die geltenden Freibeträge hinausginge. Die darüber liegenden armen Reichen werden besteuert. Und immer mehr Menschen vererben immer weniger, auch deswegen, weil kleinere Vermögen immer öfter von den steigenden Pflegekosten aufgefressen werden. Die wirklich ganz reichen Reichen aber werden behandelt wie Habenichtse und Hungerleider. Je größer das Erbe, desto kleiner die Steuer. Immer weniger Menschen vererben immer mehr.

Der Tod, so sagt das Sprichwort, macht alle gleich. Das stimmt schon. Aber das geltende Erbschaftsteuerrecht sorgt dafür, dass es mit der Gleichheit nicht übertrieben wird. Das Erbschaftssteuerrecht sorgt dafür, dass ein sehr kleiner Kreis von sehr, sehr reichen Menschen auf einem immer gewaltigeren Vermögen sitzt. Ob das noch mit einer sozialstaatlichen Verfassung harmoniert – dazu würde man gern vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe alsbald etwas Substanzielles hören. Warum? Die Erbschaftssteuer hat eine Gerechtigkeitsdimension, sie sollte jedenfalls eine haben; sie ist ein Instrument des Sozialstaats. Sie sollte, sie könnte die sozialen Unterschiede, die in Deutschland immer größer werden, wenigstens ein wenig ausgleichen – ist also ein Beitrag zur Deutschen Einheit, die am kommenden Freitag besonders gefeiert wird. Demokratie braucht Bürger, die das Gefühl haben, dass es grundsätzlich gerecht zugeht im Land. Die Vermögensanhäufung durch reiche Erben ist grundsätzlich ungerecht.

Die ungleiche Vermögensverteilung in Deutschland wird immer krasser

Eigentum verpflichtet – das ist also der treffende Satz zum bevorstehenden Feiertag am 3. Oktober: Es verpflichtet zur Finanzierung des Gemeinwohls. Ererbtes Eigentum, also im Wortsinn unverdientes Eigentum, verpflichtet dazu erst recht. „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Diese zwei kurzen Sätze des Grundgesetzes sind Grundwerte und Grundprinzipien, die weit unter Wert gehandelt werden. Die Diskrepanz zwischen öffentlicher Armut und privatem Superreichtum wird immer krasser, mit allen Gefahren, die für den inneren Zusammenhalt der Gesellschaft daraus erwachsen. Die Vermögensverteilung in Deutschland ist besonders ungleich. Es handelt sich um eine neue deutsche Spaltung.

Zum bevorstehenden Tag der Deutschen Einheit gilt es daher zu sagen: Die Sicherung unbegrenzter Eigentumsakkumulation ist nicht Inhalt der Eigentumsgarantie. Wenn Merz und Söder sich zu Reichtums-Anhäufungsgehilfen machen, handeln sie verfassungswidrig und vertiefen die neue deutsche Spaltung zwischen Arm und Reich. Wenn sich die Politik vor der Pflicht drückt, dem Satz „Eigentum verpflichtet“ zu einer guten Geltung zu verhelfen, wenn also der Gesetzgeber seine Gemeinwohlverantwortung leugnet – dann ist Deutschland nicht der Staat, den das Grundgesetz und die Landesverfassungen konstituieren wollten.

 

 


 

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