Zehn Jahre Franziskus: Seine Botschaften sind grandios. Sein Wirken hat blinde Flecke. Er ist ein großer Papst mit großen Schwächen. Ein Fazit zum Weltfrauentag.

Von Heribert Prantl

Es gibt Historiker, die den alten Franziskus für den Retter des christlichen Glaubens halten. Gemeint ist nicht der heutige Papst Franziskus, gemeint ist der Mann aus dem 13. Jahrhundert, nach dem sich der heutige Papst benannt hat – Franz von Assisi, ein Jahrtausendheiliger. Er wird als exzentrischer, bisweilen als niedlicher Heiliger dargestellt, bisweilen auch als komischer Heiliger angesehen, weil er den Vögeln gepredigt und den Wolf seinen Bruder genannt hat.

Ein Heiliger? Ja! Schon zwei Jahre nach seinem Tod wurde er heiliggesprochen. Komisch? Nein. Seine Botschaft war radikal, sie stand und steht in krassem Widerspruch zum Prunk der Amtskirche: Lebe in Armut für die Armen!

Ein Name als Programm

Kein anderer Papst vor Papst Franziskus hat sich nach diesem Mann benannt. Diese Namenswahl war vor zehn Jahren die erste Tat seiner päpstlichen Amtszeit, der Name war und ist Programm in wenigen Buchstaben.

Ein Name als Programm: Es gibt viele Päpste, die sich „Pius“ genannt haben. Pius heißt „der Fromme“. Es gibt Päpste, die sich „Clemens“, der Milde, genannt haben. 23 Päpste haben „Johannes“ geheißen, nach Johannes dem Täufer, dem Vorläufer Christi. Rodrigo Borgia, der Kirchenfürst, der 1494 die Welt zwischen den Seemächten Portugal und Spanien neu aufteilte, nannte sich „Alexander“, in Verehrung Alexanders des Großen.

Der vor zehn Jahren gewählte Papst kommt aus Lateinamerika, aus der Welt, die Europa seinerzeit unter sich aufgeteilt hat. Er nahm den Namen des radikalsten aller Heiligen an: Franz von Assisi war ein erbitterter Feind von Eigentum, Hab- und Raffsucht, der in seiner Ordensregel den Besitz von Geld verboten hat. Papst Franziskus wünschte und wünscht sich eine arme Kirche für Arme. Was würde das bedeuten für die Kirche in der alten Welt, in der die Gotteshäuser groß, aber leer, die Riten und Gewänder prächtig sind, die aber ansonsten seit zweihundert Jahren stehen geblieben ist? Die Konservativen befürchteten Furchtbares, die Reformfreunde erwarteten Grundstürzendes.

Starke Symbole, bewegende Texte, fehlende Entscheidungen

Wie und was ist das Fazit nach zehn Jahren? „Den Konservativen ist er zu progressiv, ja umstürzlerisch, den Progressiven zu bewahrend und zu traditionell. Einigen gehen die notwendigen Reform- und Veränderungsprozesse zu langsam, für andere unterminiert er die Fundamente der Kirche.“ So schreibt es Martin Maier, Hauptgeschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, in der jüngsten Nummer der Herder Korrespondenz, der „Monatshefte für Gesellschaft und Religion“. Und so ist es auch. Der Theologieprofessor Erich Garhammer fasst die bisherigen zehn Jahre des Pontifikats von Franziskus daher kurz und prägnant so zusammen: „Starke Symbole, bewegende Texte, fehlende Entscheidungen“.

Starke Symbole: Das begann schon beim Amtsantritt, als er in einfachem weißen Talar auftrat, als er sich weigerte, die Prachtgewänder anzuziehen und dazu bemerkte, dass der Karneval vorbei sei. Dann seine ersten Sätze: „Brüder und Schwerstern! Guten Abend!“ Starke Symbole: Dazu gehört seine erste Reise als Papst, als er auf der Insel Lampedusa für die gestrandeten und ertrunkenen Flüchtlinge betete und in einem dramatischen Appell die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ anprangerte. Starke Symbole: Dazu gehört die Rehabilitierung der Theologie der Befreiung. Sein Vorgänger Benedikt hatte die großen Theologen geschurigelt und gestraft. Zu Jon Sobrino, den Benedikt gemaßregelt hatte, sagte Franziskus: „Schreib weiter“.

„Diese Wirtschaft tötet“

Bewegende Texte: Die Enzykliken von Papst Franziskus sind atemberaubend. „Evangelii Gaudium“ verspricht die missionarische Erneuerung der Kirche und ihre Dezentralisierung, sie verspricht die Überwindung des Klerikalismus, eine größere Bedeutung der Frauen in der Kirche. „Laudato si“ ist grandioser Lobpreis der Ökologie, dieser Text erklärt die die Atmosphäre, die Ozeane und die Regenwälder zum globalen Eigentum, dem das private Eigentum untergeordnet sei. Hier wandelt Franziskus wirklich auf den Spuren des Franz von Assisi, hier schreibt er dessen „Sonnengesang“ fort. Und in der Enzyklika „Fratelli tutti“ wird die Todesstrafe definitiv abgelehnt, der Krieg verurteilt, die Herstellung und der Besitz von Atomwaffen für moralisch verwerflich erklärt.

Franziskus kritisiert den globalen Kapitalismus mit äußerster Schärfe, weil er als Lateinamerikaner die Opfer dieses Systems kennt. Ohnmächtig stehen die Armen vor den Bulldozern der Reichen, Franziskus ermächtigt und bekräftigt sie durch seine Solidarität in ihrem Widerstand. Er attackiert eine Wirtschaft der Rücksichtslosigkeit, die die Natur systematisch beschädigt und die Wertschöpfung einseitig verteilt: „Diese Wirtschaft tötet“.

Das ist spektakulär. Seine Reden und sein Tun bei den innerkatholischen Reformen sind es auch, aber im negativen Sinn. Er äußert sich befremdlich unbedacht und herablassend, wenn er den synodalen Weg der Katholiken in Deutschland überheblich abmeiert und sagt, es gebe doch dort schon eine „sehr gute evangelische Kirche“ – „wir brauchen nicht zwei davon“. Mit solchen so dahingesagten Äußerungen ist er nicht Pontifex, sondern ein irritierender Spontifex.

Er kennt die Reformbedürftigkeit seiner Kirche; er sollte daher denen, die sich um diese Reformen mühen, so geschwisterlich begegnen, wie er es in seinen Enzykliken beschreibt und verlangt. Er lehnt das Frauenpriestertum ab. Er lehnt die Lockerung des Zölibats ab, obwohl gerade in Lateinamerika so viele Gemeinden von Frauen geleitet werden. Kann er nicht anders, will er nicht anders? Wird er gebremst von der Kurie im Vatikan, von den Kurienkardinälen, wurde er gehindert vom Nebenpapst, dem emeritierten Papst Benedikt? Oder ist Franziskus doch zu sehr verhaftet im alten Denken, das den Frauen eine dienende Rolle zuschreibt?

Franziskus schreibt in seinen Texten, es sei „inakzeptabel, dass eine Person weniger Rechte hat, weil sie eine Frau ist.“ Man hört die Botschaft, aber es fehlt der Glaube. Warum gilt das dann innerkirchlich nicht? „Jesus kam, um den Männern das Dienen beizubringen. Sie haben das dann an die Frauen delegiert.“ Der Satz stammt von Ernst Gutting, dem vor zehn Jahren verstorbenen Weihbischof von Speyer, der durch sein noch immer lesenswertes Buch „Offensive gegen den Patriarchalismus“ bekannt geworden ist. Den so prägnant-richtigen Satz könnte auch Papst Franziskus formuliert haben. Aber die Taten fehlen. Papst Franziskus weist Wege, die er dann selbst nicht geht. Er ist ein großer Papst mit großen Schwächen.


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