Warum die Diskussion über die Abschaffung arbeitsfreier Tage falsch und schädlich ist: Die Republik braucht mehr, sie braucht neue bundesweite Gedenktage – wenigstens einen solchen Tag.

Von Heribert Prant

Die Diskussion darüber, ob die Deutschen zu faul sind, ob sie also mehr arbeiten sollen und müssen, hat wenig Höhen und viele Tiefen. Zu den tiefsten Tiefen gehört die Diskussion über die Abschaffung der letzten noch verbliebenen Feiertage. Auch derjenige, der mit Tradition, Geschichte und Geschichten nicht viel anfangen kann, braucht sie: Fest- und Feiertage geben dem Jahr Rhythmus und Orientierung.

Was Festtage bedeuten

Schon vor zweihundert Jahren, als die Arbeitszeit von Tagesanbruch bis Sonnenuntergang ging, wurden die Politiker und die Fabrikherren nicht müde, den angeblichen Hang der gewerblichen Arbeiter zum Nichtstun zu bekämpfen, Feiertage einzuschränken und mehr Arbeitsdisziplin zu verlangen. Ziemlich neu ist allerdings, dass man solche Stupiditäten heute als Rezepte zur Gesundung der Wirtschaft verkaufen kann. Dazu ein Zitat aus der „Tagesschau“: „Mit jedem Tag, der nicht gearbeitet wird, gehen dem deutschen Staat Milliarden verloren, wie die Berechnungen des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) zeigen.“ Die Formulierung „geht verloren“ verrät die Art zu denken. Wem geht hier eigentlich durch Feiertage was verloren?

Vom einst großen deutschen Festtagskalender ist ohnehin nur wenig übrig geblieben. Was übrig blieb, verdient den Namen „Festtagskalender“ nicht mehr. Die allgemeinen Feiertage, meist waren es christliche Heiligenfeste, wurden abgelöst vom generellen Urlaubsanspruch; je mehr Urlaubstage gesetzlich verankert wurden, umso mehr bisherige Feiertage wurden gestrichen. Mit ihrer Streichung sind auch die Traditionen dieser Tage verschwunden. Wer jetzt auch noch die Streichung des zweiten Weihnachtsfeiertags, des zweiten Pfingstfeiertags, des Feiertags Christi Himmelfahrt oder des 1.-Mai-Feiertags fordert, der denkt ökonomisch, aber nicht radikal genug.

Radikalökonomisch: Ein Zentralfeiertagsgesetz?

Deshalb, um den Nonsens auf die Spitze zu treiben, hier ein Tipp für Wirtschaftsverbandsvertreter. Es gilt, ein Zentralfeiertagsgesetz zu fordern, mit dem alle bisherigen Feiertage auf einen Tag zusammengelegt werden: „Zur Intensivierung und Konzentrierung des nationalen und des religiösen Gedenkens sowie zur Förderung von Wirtschaft, Aufschwung und Produktivität werden alle deutschen Feiertage auf den ersten Sonntag im Mai zusammengelegt. Dies gilt für die christlich geprägten Feiertage, dies gilt für den deutschen Nationalfeiertag, der bisher am 3. Oktober begangen wurde; das gilt auch für den Feiertag am 1. Mai, der ja als Tag der Arbeit gilt und an dem daher künftig auch gearbeitet werden soll.“

Vielleicht muss man die Wirtschaftsverbände und ihre Forderung nach Rundum-Ökonomisierung mit dem einschlägig abgewandelten Diktum des großen Verfassungsjuristen Ernst-Wolfgang Böckenförde darauf hinweisen, dass auch die Wirtschaft von Voraussetzungen und Werten lebt, die sie selbst nicht schaffen kann. Es gilt, Feiertage nicht abzuschaffen, sondern neue Feiertage einzuführen. Berlin hat den Internationalen Frauentag am 8. März seit 2019 als einen regulären gesetzlichen Feiertag eingeführt. Einmalig, nur für das Jahr 2025, wurde der 8. Mai, der achtzigste Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus, als Feiertag gefeiert. Und zum 75. Jahrestag des Volksaufstands in der DDR wird der 17. Juni 2028 ebenfalls ein einmaliger gesetzlicher Feiertag in Berlin sein. Warum einmalig? Warum nur in Berlin?

Den Widerstand feiern

Wo bleibt ein bundesweiter Feiertag für die Männer und Frauen des Widerstands gegen Hitler? Es waren Menschen aus allen politischen Lagern und weltanschaulichen Gruppen, die Widerstand gegen Hitler geleistet haben, es waren Menschen aus allen Schichten des Volkes – Offiziere, Arbeiter, Adlige, Geistliche. Neben den meist aristokratischen Namen vom 20. Juli und dem Generaloberst Ludwig Beck stehen die Namen der kommunistischen und sozialdemokratischen Widerständler, von denen so viele in den Konzentrationslagern umkamen; die Namen der Roten Kapelle zum Beispiel; dazu die Namen der Weißen Rose und die des Nationalkomitees Freies Deutschland, dazu der Name des einsamen Attentäters Georg Elser, der schon 1939 im Münchner Bürgerbräukeller eine Bombe gegen Hitler gezündet hatte; dazu die Namen der christlichen Widerständler, des Kardinals Graf von Galen etwa, des Jesuiten Alfred Delp und des evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer. Gemeinsam war ihnen die radikale Ablehnung von Totalitarismus, Rassenwahn und Menschenverachtung.

Ein mickriger Tag der Bratwurst?

Wo bleibt ein echter bundesweiter Gedenktag für das Grundgesetz? Dieses Grundgesetz ist ein Zeugnis des Widerstands und der Hoffnung in der Zeit, in der Deutschland in Trümmern lag. Soeben ist der Verfassungstag begangen worden: Am 23. Mai 1949 wurde dieses Grundgesetz unterzeichnet. An diesem Tag trat die Bundesrepublik Deutschland als junge Demokratie in die Geschichte ein. Das könnte, das sollte, das müsste ein großer Feiertag sein. Warum? Man kann sich dieses Grundgesetz nicht hinwegdenken, ohne dass der Erfolg der Bundesrepublik entfiele. Es stünde dem Bundespräsidenten gut an, diesen 23. Mai zu einem echten Fest- und Feiertag zu machen. Und was macht er? Frank-Walter Steinmeier hat soeben einen mickrigen „bundesweiten Mitmachtag“ an diesem Tag vorgeschlagen, einen Tag, der dem ehrenamtlichen Engagement gewidmet sein soll – und „an dem wir unser Land feiern“. Aber ein richtiger arbeitsfreier Feiertag soll es nicht sein. Daher ist die Initiative des Bundespräsidenten irgendwie mickrig und unmutig. Einen solchen Festtag kann man als Festtag vergessen. Das ist dann so ein Tag wie der „Tag der Bratwurst“.

Es sind Tage, die lehren, dass es Freiheit nicht zum Nulltarif gibt

1789 steht für die Französische Revolution und die Abschaffung des feudalistisch-absolutistischen Ständestaats in Frankreich. 1848 steht für die gescheiterte demokratische Revolution in Deutschland, für die Erhebung gegen die Fürsten, für das erste deutsche Parlament in der Frankfurter Paulskirche. Sebastian Haffner, der große Publizist und Historiker, hat den revolutionären Volksaufstand in der DDR im Jahr 1953 zu Recht in diese Reihe gestellt, auch wenn die russischen Panzer den Aufstand schnell und brutal niederwalzten. Der Aufstand vom 17. Juni 1953 ging nicht gut aus. Erst der nächste Aufstand, der Aufstand der Kinder des 17. Juni, der im Jahr 1989 also, ging gut aus.

Denkmäler müssen nicht aus Stein und Bronze sein. Feiern kann man auch mit einem besonderen Tag, an dem man das Gedenken an den Widerstand hochhält. Es gilt, die Tage des Widerstands mit einem arbeitsfreien Tag zu feiern. Solche Tage lehren Mut, sie lehren, dass es Freiheit nicht zum Nulltarif gibt. Sind Gedenk- und Feiertage für die Männer und Frauen des Widerstands zu teuer? Ist wenigstens ein Tag, ein einziger Tag, für sie zu teuer? Er soll, er muss uns teuer sein.

 


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