CSU-Chef Söder hat ein geniales Gespür für Stimmungen. Dieses Gespür hat ihm eingegeben, dass es Zeit ist, die Kanzlerkandidatur Friedrich Merz zu überlassen. Was ist von ihm zu erwarten?
Von Heribert Prantl
Als Gaudibursch ist Friedrich Merz nicht bekannt. Markus Söder schon. Man kann sich durchaus vorstellen, dass Söder sich beim nächsten Frankenfasching als Friedrich Merz maskieren lässt. Dass umgekehrt Friedrich Merz sich im Sauerland-Karneval als Söder kostümiert und er sich, wie der Franke aus Nürnberg das soeben zum Oktoberfestauftakt getan hat, eine Lederhose anzieht – undenkbar.
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz will erst noch Kanzler werden; der CSU-Vorsitzende Markus Söder war es schon – nicht sehr lang, aber immerhin für eine Nacht. Zur Frankenfastnacht 2024 kam Söder nämlich als Reichskanzler Otto von Bismarck. Das sah gut aus, das sorgte für einschlägigen Gesprächsstoff, und das fügte sich prächtig in das Verwandlungsprogramm des CSU-Politikers, der beim fränkischen Fasching in Veitshöchheim auch schon als Mahatma Gandhi, als Marlene Dietrich oder als Zauberer Gandalf aufgetreten ist; im nächsten Jahr dann womöglich als CDU-Chef Merz. Söder lässt sich nicht auf eine Rolle festlegen – im Fasching nicht und im politischen Alltag auch nicht. Das macht ihn im Fasching sympathisch, in der Politik aber unberechenbar. Söder ist berechenbar unberechenbar, hat dabei ein geniales Gespür für Stimmungen. Dieses Gespür hat ihm in der vergangenen Woche eingegeben, dass es Zeit ist, die Kanzlerkandidatur in der Union dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz zu überlassen.
Söder: berechenbar unberechenbar
Es wurde nach dem Wahlsieg von Olaf Scholz gegen den damaligen CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet bei der Bundestagswahl von 2021 in Endlosschleife gesagt, dass Markus Söder der bessere Unions-Kandidat gewesen wäre. Söder war jedenfalls der bei Weitem schlechtere Verlierer; er gehörte und gehört zu den schlechtesten Verlierern in der Geschichte der Bundesrepublik. Er hat damals, nachdem nicht er, sondern Laschet Kanzlerkandidat geworden war, monatelang alles daran gesetzt, Laschet lächerlich zu machen; er hat ihn mit Spott und Häme überzogen. Das war erfolgreich für Söder als Person, weil man ihn als Machtmenschen schilderte; es war aber menschlich mies und für die Union schädlich.
Es hätte Söder geschadet, die offene Konkurriererei jetzt gegen Merz fortzusetzen; das hätte ihn auch in seiner CSU Sympathien gekostet, weil viele dort es für saublöd halten, wenn in der Münchner Staatskanzlei eine Dauerstichelmaschine gegen die CDU und ihren Chef steht. Das hält aber Söder nicht davon ab, dem Kandidaten Merz ein künftiges Kanzlerleben schon vorab schwer zu machen – nämlich eine Koalition der CDU/CSU mit den Grünen kategorisch auszuschließen. Man muss das freilich nicht so ernst nehmen, weil die gesamte politische Karriere von Markus Söder zeigt, dass es einen kategorischen Imperativ bei ihm nicht gibt. Er ist ein Meister der Kehrtwenden; er ist Markus der Kehrtwendige. Seine Politik atmet nicht den großen Geist, aber sehr wohl den Zeitgeist. Das war bei Corona so, das war bei der Kernenergie so, das war und ist bei seinem Verhältnis zu den Grünen so. Die Zeit, in der Söder sich grün gab, in der er Themen wie Klimaschutz und regenerative Energien als primäre Ziele seiner Politik ausgab, ist noch nicht so lange her. In dieser Zeit umarmte er Bäume so innig, wie das sein politisches Vorbild Franz Josef Strauß früher mit Mao gemacht hat.
Der Neid als Antrieb der Politik
In dieser Zeit, noch nicht lange her, übernahm Söder das höchst erfolgreiche Bienen-Volksbegehren der kleinen ÖDP und machte „Rettet die Bienen“ zu seinem eigenen Gesetzesvorhaben. Söder ist ein Zeitgeist-Surfer. Er beherrscht die Wende und die Halse. Das Verlässlichste an ihm ist seine bisweilen bizarre Lust an der Inszenierung, an der Selbstdarstellung, am kleinen und am großen Auftritt. Das gilt auch dann, wenn er als Kanzlerkandidat abtritt, so wie er es in der vergangenen Woche getan hat; Söder versuchte, diesen Abtritt zum Auftritt zu machen und so viel Respekt wie möglich dafür einzusammeln. Weil aber auch der nunmehrige Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz den kleinen und großen Auftritt liebt, weil auch Merz sich und seine Politik gerne spektakulär inszeniert, wird man noch viele Auftrittskonkurrenzen erleben: Spieglein, Spieglein an der Wand – wer ist der größte Unionist im Land?
Früher war das, jedenfalls für die CSU, Franz Josef Strauß, von dem Söder sagt, dass er schon immer sein Vorbild gewesen sei. Über Strauß und seine obsessive Kritik an der Ostpolitik des SPD-Kanzlers Brandt hat der große Journalist Peter Bender einmal geschrieben: Straußens eigentlicher Vorwurf gegen die Ostpolitik sei gewesen, dass nicht er, sondern Willy Brandt sie führte und zum Erfolg brachte. So etwas Neidisches, das sich auch im Furor von Strauß in der berüchtigten Wienerwald-Rede gegen Helmut Kohl zeigte, steckt auch in Markus Söder.
Söder ist gewiss ein besserer Entertainer als Friedrich Merz; Söder ist sozusagen der Stefan Raab der Bayerischen Staatskanzlei. Aber Merz ist etwas, was für einen Politiker auch nicht ganz unwichtig ist: Er ist berechenbar, er bleibt bei seinen Grundüberzeugungen – ob einem die nun gefallen oder nicht. Merz war, ist und bleibt ein Neoliberaler. Er war es schon, als er im Dezember 2000 zum ersten Mal Fraktionschef der CDU/CSU im Bundestag wurde und von seinem neuen Steuersystem schwärmte, mit nur noch drei Stufen der Besteuerung – zwölf, 24 und 36 Prozent. So einfach, übersichtlich (und reichenfreundlich) sollte das neue Steuersystem sein, dass man es auf einen Bierdeckel schreiben könne.
Was an Friedrich Merz verlässlich ist
Söder war damals, vor 24 Jahren, gerade der junge Generalsekretär der CSU geworden und fiel in der Debatte um die bessere Integration von Einwanderern mit dem Vorschlag auf, in den bayerischen Schulen regelmäßig die Nationalhymne zu singen. Es war der Auftakt zu allerlei Absonderlichkeiten, mit denen Söder immer wieder Schlagzeilen machte. Merz machte und macht Schlagzeilen mit verlässlichem Neoliberalismus und verlässlicher Kritik an zu viel Sozialpolitik. Das blieb auch so, als Merz, nachdem er wegen Merkel viele Jahre lang in der Wirtschaft überwintert hatte, wieder in den Bundestag zurückkehrte und zweimal, 2018 und 2020, vergeblich als CDU-Vorsitzender kandidierte; er schaffte es dann erst im dritten Anlauf. Die von der SPD geführte Regierung beschimpft er mit dem Satz, dass „jeder Tag und jede Woche, den die Brüder eher verschwinden, ein guter Tag“ sei für Deutschland. Das klingt so, als habe er es heute über die Regierung Scholz gesagt; er sagte es aber schon 2003, auf dem CDU-Parteitag zu Leipzig, über die rot-grüne Regierung von Gerhard Schröder. Merz ist ein verlässlicher Haudrauf: Die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl und seine Ablösung durch ein Gnadenrecht, wie er es heute propagiert, hat er auch schon im Jahr 2000 gefordert.
Friedrich Merz verfügt über ein ganz außerordentliches Durchhaltevermögen: Keiner der vielen Kanzlerkandidaten in der Geschichte der Bundesrepublik hat einen so langen Anlauf dafür genommen wie Friedrich Merz. Einen langen Atem hat er also. Ob das reicht?