Im Sommer 1972 wurde der harte Kern der ersten Terror-Generation binnen weniger Wochen aufgespürt. Dieser Fahndungserfolg wirkt bis heute nach.
Von Heribert Prantl
Vor 50 Jahren führte die „Aktion Wasserschlag“ zu einem der größten Erfolge in der bundesdeutschen Kriminalgeschichte: Fast die gesamte Führung der später sogenannten ersten Generation der RAF wurde binnen kurzer Zeit verhaftet – im Juli 1972 saß der komplette harte Kern hinter Gittern.
Den Namen „Wasserschlag“ für die flächendeckende Großrazzia in der gesamten Bundesrepublik, hatte Horst Herold erfunden, der genialische Chef des Bundeskriminalamts (BKA). Er bezog sich dabei auf Mao-Tse-Tung, der eines der Vorbilder der RAF war. Ihm wurde der Satz zugeschrieben „Der Revolutionär muss sich in den Volksmassen bewegen wie ein Fisch im Wasser“. Herold nahm diesen Spruch auf und wollte mit seiner Großfahndungsaktion die RAF-Fische durch „Schläge auf die Wasseroberfläche“ in Bewegung und Aufruhr bringen und zu Fehlern verleiten, mit denen sie sich verrieten. Das schaffte er – mit unzähligen Hubschraubern, die über den Autobahnkreuzen kreisten und mit einem gewaltigen Netz von Straßensperren und Personenkontrollen in der ganzen Republik.
Im Mai 1972 hatte die Bundesrepublik eine Serie von Terroranschlägen der RAF erlebt, die als sogenannte „Mai-Offensive“ bezeichnet worden waren. Der erste Sprengstoffanschlag galt dem US-Hauptquartier in Frankfurt am Main und kostete einen Oberstleutnant das Leben. Weitere Sprengstoffanschläge galten der Polizeidirektion Augsburg und dem Landeskriminalamt München, dann dem Bundesrichter Wolfgang Buddenberg in Karlsruhe und dem Verlagshaus Springer in Hamburg – ohne dass Todesopfer zu beklagen waren. Allerdings wurden bei dem Attentat in Hamburg mehrere Menschen schwer verletzt, und die Sprengfalle am Auto des Richters Buddenberg fügte dessen Frau Greta erhebliche Verletzungen zu.
Beim sechsten Anschlag, dem auf das US-Hauptquartier in Heidelberg, wurden drei US-Soldaten zerfetzt. Mit diesen „Wochen der Angst“ hatte die RAF versucht, den Staat zu überzogenen Gegenmaßnahmen zu zwingen, die dann von Seiten der Gesellschaft kritisiert werden sollten – um so eine „Volksfront“ gegen den Staat zu errichten. Das Vorhaben scheiterte; auch aus den Sympathisantenkreisen der RAF kam heftige Kritik an der Auswahl der Ziele und an der Durchführung der Anschläge. Die RAF veröffentlichte eine Tonbanderklärung, in der Ulrike Meinhof die Taten als „unsere Aktionen gegen die Ausrottungsstrategen von Vietnam“ rechtfertigte.
Der Chefkriminalist
Bei der Fahndung zeigte Herold seine kriminalistische Genialität und seine Unkonventionalität. Er setzte zum ersten Mal im großen Stil Computer für polizeiliche Zwecke ein, entwickelte die Rasterfahndung, um den Terroristen in den Datenbanken der Einwohnermeldeämter, der Stadtwerke oder der KfZ-Zulassungsstellen auf die Spur zu kommen. Er ging davon aus, dass die Gesuchten zwischen zwanzig und vierzig Jahre alt waren und unter falschem Namen Wohnungen in Hochhaussiedlungen anmieten, Autos mit gefälschten Kennzeichen nutzen und ihre Miete vorzugsweise in bar zahlen – weil Einzugsverfahren für sie nicht in Betracht kamen. Die Suchraster funktionierten: In einer Hochhaus-Garage in Frankfurt fanden die Polizisten zwei Autos mit gefälschten Kennzeichen und legten sich auf die Lauer.
In der Garage wurden dann, nach einer großen Schießerei, am 1. Juni erst Andreas Baader, Holger Meins und Jan-Carl Raspe festgenommen, dann in Hamburg Gudrun Ensslin und Brigitte Mohnhaupt in Berlin, dann am 9. Juli in Berlin Klaus Jünschke und Irmgard Möller. Vor genau fünfzig Jahren war damit der gesamte harte der Kern der RAF verhaftet. Damit fanden die terroristischen Aktivitäten der Terrorgruppe ein vorläufiges Ende. So entstand der Weltruf des BKA. Der französische Zeitung Le Monde nannte Mitte der siebziger Jahre das deutsche Bundeskriminalamt die „bestgerüstete Polizeiorganisation nach dem FBI“. Das ist lang her.
Glanz und Elend des BKA
Wer nach den frühen großen Leistungen und den frühen großen Fehlleistungen des BKA fragt, der stößt in beiden Fällen auf die RAF. Im Kampf gegen die Terroristen wurden zum ersten Mal in der Kriminalgeschichte Täter überführt, ohne dass der Zeugenbeweis eine Rolle spielte. Die Beweise lieferten die Wissenschaftler des Bundeskriminalamts; der Beweis aufgrund von Spuren wurde gerichtsfest perfektioniert. Das BKA wurde zu einer Wunderbehörde, der man im Guten und Schlechten alles zutraute.
Dieser ungeheure Ruf erlitt einen schweren Schlag mit der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer im Jahr 1977: Es war nicht die Schuld des BKA sondern eines Landespolizisten, dass ein einziges Spurenblatt nicht ins Computersystem eingegeben wurde – auf diesem Spurenblatt aber stand der entscheidende Hinweis auf die Wohnung, in der der Arbeitgeberpräsident von der RAF festgehalten wurde.
Die Kriminalisten hatten die Falle nach allen Regeln der neuen Kunst aufgestellt (Herold nannte sie Sozialkybernetik, heute nennt man das Täter-Profiling), aber die Falle konnte wegen eines kleinen Fehlers in einer unteren Polizeibehörde nicht zuschlagen. Was ein Triumph der neuen Fahndungsmethoden hätte werden können, wurde zu einem Desaster. Die Rasterfahndung geriet in Misskredit und mit ihr auch ihr Erfinder Horst Herold. Ab 1985 begann dann die Zeit des totalen Misserfolgs: Das BKA verlor die RAF „von ihrem Radarschirm“, wie das ein späterer BKA-Präsident selbstkritisch formulierte.
Ein schwerer Irrtum
Aber vor fünfzig Jahren, nach der Zerschlagung des harten Kerns der ersten RAF-Generation, glaubten die „Sonderkommission Baader-Meinhof“ und die Politik, der deutsche Linksterrorismus sei nun besiegt. Das war ein schwerer Irrtum. Das Morden ging noch furchtbar lange weiter. Der ersten Generation der RAF folgte eine zweite und dritte – und die Befreiung der inhaftierten Gesinnungsgenossen wurde zum Ziel und Inhalt des Terrors. Erst gut 25 Jahre später, am 20. April 1998, löste sich die RAF auf, nach der Ermordung von drei Dutzend Menschen und hundert Geiselnahmen. Viele dieser Taten sind bis heute nicht aufgeklärt.
Dem RAF-Terrorismus folgte der islamistische Terrorismus. Aber schon die RAF-Jahre hatten das rechts- und sicherheitspolitische Klima in Deutschland grundlegend und nachhaltig verändert: In den zwanzig Jahren ab 1972 gewöhnte sich das Land daran, dass nicht die Strafe, sondern die Gesetzesverschärfung der Tat auf dem Fuße folgt.
Der Geist des Feindstrafrechts
In diesen Jahren begann die Materialermüdung des Rechtsstaats, begann der Glaube daran, dass der Staat dann ein starker Staat ist, wenn er Rechte abbaut und Gesetze verschärft. Dieser Glaube hält bis heute. Die Metaphern vom „Krieg“ gegen den Terror und gegen das Verbrechen wurden geläufig. Es entwickelte sich so etwas wie ein Feindstrafrecht – der „Feind“ darf nicht erwarten, dass er behandelt wird wie ein Bürger; und auch die Bürger werden als Feinde behandelt, solange sich Feinde unter ihnen aufhalten und erst aufgespürt und dingfest gemacht werden müssen.
An die Stelle von Fahndungserfolgen, wie sie das BKA vor fünfzig Jahren hatte, traten fundamentale Änderungen des Strafrechts, des Strafprozessrechts und des Strafvollzugs – und ein erschütterndes Laissez faire, eine Schluderei und Schlamperei bei der Verfolgung von rechtsextremen Gewalttätern.