Warum Pazifisten Außenseiter sind, aber trotzdem so unglaublich wichtig. Eine Befriedung des Kontinents ohne Friedensbewegung ist nicht vorstellbar.

Von Heribert Prantl

Die Kritik an der Friedensbewegung, die derzeit wieder besonders giftig ist, ist so alt wie die Friedensbewegung selbst. Daran haben Friedensnobelpreise, daran haben Vorbilder wie Bertha von Suttner, Carl von Ossietzky, daran haben auch ein Mahatma Gandhi und ein Martin Luther King nichts geändert. Pazifisten waren und sind Außenseiter.

Es gab Ausnahmen. In der Bundesrepublik Deutschland gab es eine Zeit, in der die Friedensbewegung eine Massenbewegung war. Das war vor mehr als vierzig Jahren, in der Zeit der Menschenketten und Friedensfackeln, als es darum ging, die Nachrüstung zu verhindern. Damals, als die halbe Republik aus atomwaffenfreien Zonen bestand und jeder zweite Deutsche große Sympathien für die Friedensbewegung hatte, konnte man da hineinschlüpfen wie in Jeans und Pullover – und schon gehört man dazu: Frieden war machbar, Herr Nachbar. Der Sticker mit der weißen Taube auf blauem Grund war seinerzeit, zu Beginn der Achtzigerjahre, eine Art Mitgliedsausweis für eine Bewegung, die ihre eigene Sprache hatte, ihre Musik, ihre Mode. Pazifismus war Lifestyle, die Mehrheitskultur in der Zeit, in der die Grünen gegründet wurden. Diesen Pazifismus konnte man kauen wie einen Kaugummi, er schmeckte nach Protest und nach Irgendwiedazugehören.

Der ausgespuckte Pazifismus

Doch diese Aromastoffe waren bald weggekaut. Dieser Pazifismus wurde deshalb von vielen alsbald wieder ausgespuckt – auch von den Grünen, von Joschka Fischer und Co., als sie in den Jugoslawien-Krieg zogen. Die Fischer-Grünen schauten schon damals, vor 25 Jahren, mit Verachtung auf die, die Pazifisten geblieben waren, obwohl es nicht mehr Mode war. Es fiel die Inbrunst auf, mit der die Kriegsbefürworter damals das Gegenteil dessen predigten, was sie ein paar Jahre vorher gefordert hatten – aber auch das wieder im Namen der Humanität.

Die Friedensbewegung heute, in den Zeiten des Ukrainekriegs, ist nicht groß und nicht mächtig. Sie ist klein, so klein, dass man sie als „Bewegung“ kaum bezeichnen kann. Aber die Kritik an ihr bedient sich ähnlicher Chiffren und Argumentationen, wie sie damals üblich waren, als sie noch wirklich eine große Bewegung war. Damals schüttete der noch nicht geläuterte Heiner Geißler Dreckskübel aus über die Pazifisten: Der Pazifismus der 30er-Jahre habe Auschwitz erst möglich gemacht, höhnte er. Dieser böse und falsche Satz des damaligen CDU-Generalsekretärs zur Stationierung von Pershing-II-Raketen in Europa stieß 1983 auf flammende Empörung. Heute, angesichts des Brutal-Putinismus, liegt solch üble Nachrede und die Verleumdung der Pazifisten wieder im Trend; und wieder ist, wie damals, von der fünften Kolonne Moskaus die Rede. Der SPD-Abgeordnete Ernst Waltemathe, dessen pazifistische Verwandte in Auschwitz getötet worden waren, wollte damals von Geißler wissen, ob die Opfer demnach an ihrer Vernichtung selbst schuld gewesen seien. Und die FDP-Abgeordnete Hildegard Hamm-Brücher fragte mit Tränen in den Augen, was der Pazifismus mit dem Judenhass der Nazis zu tun gehabt habe.

Putin hat nun auch den Pazifismus zerschossen; alles, wofür sich engagierte Christinnen, Christen und Friedensbewegte über Jahrzehnte hin eingesetzt haben – Gewaltfreiheit und Abrüstung. Wie gesagt: Pazifisten waren und sind Außenseiter; aber so randständig wie heute waren sie schon lange nicht mehr. Sie ziehen Gespött auf sich, ihre Rufe nach Abrüstung gelten als weltfremd und geschichtsvergessen – auch deshalb, weil, wie es heißt, Pazifismus wohl eine individuelle Entscheidung, aber keine Grundlage für das Handeln eines Staates sein kann.

Der hässliche Hass

Es fällt ja wirklich schwer, den Zorn auf Putin zu zügeln, den kühlen Kopf nicht durch Hass zu ersetzen. „Liebe deine Feinde“, steht in der Bergpredigt. Das schaffe ich nicht, das will ich nicht, das kann ich nicht. Aber ich weiß, dass Hass Gesellschaften zerfrisst. Der Hass entmenschlicht die Hasser. Die vom Hass Getroffenen hassen zurück. Sie hassen auch die Gruppe von Menschen, zu denen man den Täter rechnet, womöglich das ganze Volk, das er dirigiert. Eine solche monströse Dynamik darf es nicht geben. Gewiss: Man kann nicht die biblischen Seligpreisungen zum Handlungsmaßstab der Anti-Putin-Allianz machen. Aber trotz aller Härte gegenüber Putin müssen wir die Zivilgesellschaft in Russland achten. Ich hätte es deshalb für besser und klüger gefunden, die deutsch-russischen Städtepartnerschaften nicht sogleich mit dem Beginn des Putin-Überfalls auf die Ukraine auszusetzen, wie dies geschehen ist, sondern erst recht den Kontakt mit Russland zu suchen. Und man kann den Gedanken der Völkerverständigung auf kommunaler Ebene pflegen, auch in Kinos, Theatern und Konzerthäusern. Das ist der kleine Pazifismus. Er sagt: Waffen sind nicht die Wünschelrute für den Frieden.

Wer Frieden will, muss ihn vorbereiten

Zum kleinen Pazifismus gehört das Bestreben, mit aller Kraft den Weg zu Friedensverhandlungen zu suchen. Wenn die Ostermärsche dafür werben, dann ist das ein gutes Werben. Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten. Militärische Gewalt kann und soll tödliche Bedrohung abwenden, sie kann und soll der Aggression und der Tyrannei ein Ende setzen. Das ist ihr einziger Zweck als Ultima Ratio. Deshalb darf die Nothilfe nicht in einen Nothilfeexzess umkippen. Das zu sagen, das zu fordern – das ist der kleine Pazifismus.

Gewiss: Nicht mit gutem Zureden und Friedensmärschen, sondern mit Waffen wurden die Nazis besiegt. Aber wer hat sie groß gemacht? Die Pazifisten? Nein, im Gegenteil: Sie haben dem aufgeblasenen Militarismus die Luft abgelassen. Die Friedensbewegung gehört zur guten Geschichte Europas. Und eine Befriedung des Kontinents ohne Friedensbewegung ist nicht vorstellbar.


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