Der Zweifel ist ein kluger Partner. Er ist ein Korrektiv von Glaube, Ideologie und moralischem Übereifer – und auch in Kriegszeiten Heilmittel gegen aggressive Unduldsamkeit.

Von Heribert Prantl

Diesem Thomas geht das, was ihm seine Freunde, also die anderen Apostel, über die Auferstehung erzählen, zu schnell; das ist ihm zu glatt. Thomas sagt, er könne daran nicht glauben, bevor er nicht den Finger in die Wunde lege – in die tödliche Wunde des nun angeblich Auferstandenen. Er will also buchstäblich begreifen, er will mit den Händen spüren, dass da derjenige vor ihm steht, der öffentlich hingerichtet worden ist.

Thomas zählt weder zu den Unbedachten, die niemals zweifeln. Er zählt auch nicht zu Bedenkenträgern, die niemals handeln. Er vertraut nicht blindlings den Erzählungen der Anderen, er besteht auf Augenschein, auf Autopsie als Bedingung seines Glaubens. Das wird ihm oft als Glaubensschwäche ausgelegt. Es ist aber eine Stärke, die jeder Gläubige haben sollte, ob er nun im religiösen Sinn glaubt oder ob er ganz säkular an eine gute Sache glaubt. Es ist der Zweifel an dem, was man nur zu gern als Wahrheit annehmen möchte. Es ist das Beharren, die wunden Punkte in Betracht zu ziehen. Es ist der Mut zum Widerspruch, wenn die eigene „Blase“, wie man heute sagt, sich unheimlich einig ist. Es ist die Kraft nüchtern zu bleiben im allgemeinen Rausch der Gewissheiten.

Ja, es heißt: Selig sind die, die nicht sehen und doch glauben. Auch dieser Satz gilt. Man braucht diesen Überschuss an Vertrauen über den Augenschein hinaus und manchmal gegen ihn. Keine Überzeugung, kein Engagement kommt ohne diesen Überschuss aus. Dass das Klima zu retten ist, dass der Krieg zu beenden ist: Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.

Das kluge Korrektiv von Glaube und Wahrheit

Es ist dies aber kein Lobpreis derjenigen, die blind glauben und sich von keinem Zweifel trüben lassen. Die gehören in die Welt der Glaubens- und Ideologiefunktionäre und passen gut in ihre Konzepte. Die Glaubens- und Ideologiefunktionäre halten diejenigen, die fragen, die zweifeln und die den Finger in die Wunden legen wollen, für Störer – für Leute also, die Schwierigkeiten machen. Ich mag diese Leute – und deshalb ist der ungläubige Apostel Thomas meine Lieblingsfigur in der Ostergeschichte. Er ist die Verkörperung des berechtigten Zweifels.

Der Zweifel ist ein guter Partner, er ist das kluge Korrektiv von Glaube und Wahrheit. Er ist ihr Zwilling, der zu ihnen gehört, denn das bedeutet der Name Thomas übersetzt. Man weiß das aus der Geschichte von Religionen und Weltanschauungen: Ohne jeden Zweifel wird aus Glaube gefährlicher Fundamentalismus und aus dem Kampf für die Wahrheit peinliche Rechthaberei.

In der Hitze des Gefechts wirkt der Zweifel befriedend

Zweifel sind Schutzschilde gegen den Fanatismus, Zweifel sind Heilmittel gegen aggressive Unduldsamkeit; oft kommen die Zweifel zu spät. Zweifel können verhindern, dass aus einem Glauben eine menschenfeindliche Lehre wird. Die Zweifler und Skeptiker sind keine Verräter am Glauben; sie sind aber nicht Leichtgläubige, sondern Leute, die sich das Glauben nicht leicht machen. In der Hitze des Gefechts wirkt der Zweifel befriedend – weil er zur Erkenntnis führt, dass womöglich auch an der Gegenmeinung etwas Wahres dran sein kann.

Der Wert von Ideologien und Religionen zeigt sich in den Wunden, die sie schlagen und die sie tragen. Eine Religion, die sich als Friedensbotschaft bezeichnet, deren Gläubige aber zum Hass aufrufen, ist obskur. Eine Kirche, die Nächstenliebe predigt, ist unglaubwürdig, wenn man diese Nächstenliebe im Alltag nicht spürt. Und eine Partei, die ihre Wurzeln im Pazifismus hat, wird unglaubwürdig, wenn sie auf einmal den Bellizismus predigt und den Pazifismus verspottet – wie es in der grünen Partei derzeit des Öfteren geschieht.

Ich halte es für ungut, wenn Pazifisten pauschal als politikunfähige Schwärmer schlechtgemacht, Bellizisten aber pauschal als vernünftige Politiker goutiert und gepriesen werden. Wenn deutsche Panzer auf dem Weg zum Kriegseinsatz über alle Zweifel hinwegrollen, rollen sie auch über das Grundgesetz hinweg.

Ich wünsche mir Achtung und Anerkennung für den Satz: Im Zweifel für den Zweifel.


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