Nach wie vor gibt es die Lohndiskriminierung der Frauen, nach wie vor gilt das emanzipationsfeindliche Ehegattensplitting, nach wie vor sind zu wenige Frauen in den Parlamenten.
Von Heribert Prantl
Es gibt ein Bild aus dem Fotoalbum meines verstorbenen Vaters, das ich vor Augen habe, wenn es um Gleichberechtigung geht und darum, wie sie sich entwickelt hat. Das Bild passt zu einem aktuellen Jubiläum: Vor 65 Jahren wurde der sogenannte väterliche Stichentscheid abgeschafft. Das Bundesverfassungsgericht erklärte am 29. Juli 1959 das Letztentscheidungsrecht des Vaters bei der Erziehung der gemeinsamen Kinder für verfassungswidrig.
Das Bild aus dem Fotoalbum, von dem ich rede, stammt aus den Dreißigerjahren des vorigen Jahrhunderts; es ist wie eine Illustration zu dem damals abgeschafften Rechtszustand. Auf dem Foto zu sehen ist mein Großvater Adam, am schmalen Ende eines gewaltig großen, sorgfältig gedeckten Tisches, rundum die großen und kleinen Kinder. Großvater Adam, von Beruf Landwirt und Straßenoberaufseher, war ein Patriarch und Vater von 15 Kindern aus seiner zweiten und vier Kindern aus der ersten Ehe. Nach dem frühen Tod seiner ersten Frau hatte er meine Großmutter Maria geheiratet.
Zum Bild: Die Teller stehen schon auf dem Tisch, gleich wird die Suppe aufgetragen. Neben dem Teller des Großvaters Adam liegt, als handele es sich um Besteck, eine lange Gerte. Damit schlug er, so erzählte es der Vater, den Kindern, die sich nicht anständig verhielten, auf die Finger. Großmutter Maria sieht man auf dem Bild nicht; sie speiste später; sie stand am Herd.
Die Gerte lag jederzeit griffbereit
Recht, das Familienrecht zumal, ist wie eine Fotografie, Recht ist Zeitgeist, meist ein in Paragrafen gefasster alter Zeitgeist. Das Familienrecht, so wie es sich im Bürgerlichen Gesetzbuch und in den juristischen Kommentarwerken und Lehrbüchern der ersten Nachkriegsjahrzehnte darstellte, war so, wie es das beschriebene Bild aus dem Fotoalbum meines Vaters zeigt. Die Gerte auf dem Tisch symbolisierte die väterliche Gewalt. Die Großmutter stand nicht nur am Herd, sie betrieb zusammen mit dem Großvater die Landwirtschaft; sie packte zu, las gern in der Bibel, hielt Haus und Hof zusammen und schrieb viele Briefe. Sie war eine lebenskräftige, selbstbewusste Frau. Das Recht aber wollte das nicht respektieren – und dieses Recht spiegelte sich in dem Bauernfamilienfoto aus den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts wider.
Am Beginn der Bundesrepublik galten im Familienrecht, trotz des Gleichberechtigungsartikels im Grundgesetz, noch die alten Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches aus dem Jahr 1900: Der Mann gab der Frau und den Kindern seinen Namen, er bestimmte den Wohnsitz, er verfügte allein über das Vermögen seiner Frau und über ihre Berufstätigkeit, er konnte jederzeit ihr Arbeitsverhältnis kündigen; er hatte auch die sogenannte väterliche Gewalt, entschied also allein über Umgang, Schule und Ausbildung der Kinder. Die Wende brachte das Grundgesetz im Artikel 3 Absatz 2: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Da gab und gibt es kein Wenn und kein Aber. Das Grundgesetz gab dem Bundestag vier Jahre Zeit für entsprechende Neuregelungen im bürgerlichen Recht.
Minister für Abwehr der Gleichberechtigung
Aber die Regierung Adenauer ließ erst einmal alles so, wie es war, das Bundeskabinett hatte noch nicht einmal einen Familienminister. Als Adenauer dann einen berief, er hieß Franz-Josef Wuermeling, erklärte der bei seinem Amtsantritt, sein Ministerium sei eine Abwehrinstanz gegen die Gleichberechtigung der Frau. Als er vom Verfassungsgericht gezwungen wurde, ein Gleichberechtigungsgesetz auszuarbeiten, blieb die Hausfrauenehe das Ideal. Ein Kämpfer für die Gleichberechtigung war Wuermeling nicht. Diese Rolle übernahm von Anfang an das Verfassungsgericht. Es zog den Bundestag, es zog die Gerichte, es zog die lange Zeit sehr männliche Wissenschaft vom Familienrecht hinter sich her. 1978 erging die erste von mehreren Entscheidungen zum Namensrecht der Frau – mit der Folge, dass jeder der beiden Ehegatten seinen bisherigen Namen behalten kann. Stück für Stück, Entscheidung für Entscheidung wurde in Karlsruhe der Emanzipation der Frau in Ehe und Familie der Weg bereitet. Die patriarchale Steinzeit im Familienrecht wurde, wie gesagt, vor 65 Jahren mit dem Urteil gegen den väterlichen Stichentscheid beseitigt.
Es ist vieles gut geworden, alles noch lange nicht. Im Gleichberechtigungshimmel ist Deutschland noch lange nicht. Nach wie vor gibt es etwa die Lohndiskriminierung der Frauen. Es gibt den Gender Pay Gap – der Lohnunterschied liegt noch immer bei achtzehn Prozent; damit gehört Deutschland bei der Lohngleichheit zu den Schlusslichtern in Europa. Und nach wie vor gibt es das Ehegattensplitting im Steuerrecht, das die Hausfrauenehe begünstigt. Mit diesem Splitting wird ein Ehebild zementiert, das größtenteils nicht mehr gelebt wird. Als es 1958 eingeführt wurde, hielt das Verfassungsgericht es für eine zulässige Form der Förderung von Ehe und Familie. Das Familiensplitting setzt am Gesamteinkommen der Eheleute an, teilt dies durch zwei, berechnet die Steuer dann zunächst nach dem für beide Teile geltenden Steuersatz und fügt die beiden Beträge dann zu der zahlenden Steuersumme zusammen. Das begünstigt Eheleute, bei denen nur einer verdient und der andere kein oder ein geringes Einkommen hat.
Ein Ehebild wird gefördert, das größtenteils nicht gelebt wird
Das war auch die Realität, als das Ehegattensplitting 1958 eingeführt wurde: Der Mann ging zur Arbeit, die Ehefrau führte den Haushalt und betreute die Kinder. Es war die tradierte Arbeitsaufteilung. Sie wird vom Familiensplitting bis heute gefördert: Je weniger die Frau im Vergleich zu ihrem Ehemann verdient, desto mehr wird ihre Ehe vom Splitting begünstigt – unabhängig davon, ob die Ehegatten zu betreuende Kinder haben oder nicht. Es wird so ein Ehebild zementiert, das großenteils nicht gelebt wird. Daran ändert leider auch die Reform der Steuerklassen nichts, die das Bundeskabinett soeben beschossen hat. Je mehr sich die Einkommen der Ehepartner angleichen, desto mehr schmilzt die Vergünstigung durch das Splitting – und fällt ganz weg, wenn beide Ehegatten ein gleiches Einkommen erzielen. Das Ehegattensplitting erweist sich als Hemmschuh auf dem Weg zur Gleichberechtigung.
Spuren der Steinzeit gibt es also immer noch, nicht zuletzt in den deutschen Parlamenten. Im Bundestag liegt der Frauenanteil derzeit bei nur 34,9 Prozent. Den niedrigsten Frauenanteil hat die AfD-Fraktion mit 13,8 Prozent – andere Länder können hier deutlich bessere Zahlen aufweisen. Im internationalen Vergleich steht Deutschland damit auf Rang 42. Ein Ruhmesblatt für die deutsche Demokratie ist das nicht.