Schlechte Zeiten für die Demokratie – in Europa wie in den USA. Ein Gefühl von Obdachlosigkeit macht sich breit.

 

 

Von Heribert Prant

Vor schon längerer Zeit, es war noch zu Zeiten von Helmut Kohl, war das Wort vom „Haus Europa“ gebräuchlich. Es war ein schönes Wort, es ist immer noch ein schönes, ein wärmendes Wort. Aber das Haus Europa ist heute ein Haus ohne Hüter. Die Nationalisten, die Anti-Europäer, haben Oberwasser. Sie rufen „Take back control“ und behaupten, dass es ohne Europa besser geht.

Die Situation in einem kleinen Land im Herzen Europas ist dafür bezeichnend: In Österreich schickt sich ein Herbert Kickl an, die Regierung zu übernehmen. Er hat kein Herz für Europa, er hat kein Herz für die Demokratie, er hat kein Herz für ihre Werte; er hat kein Herz für Freiheit und Liberalität, obwohl er Chef einer Partei ist, die sich „Freiheitliche“ nennt. Er ist ein Rechtsextremist, der von Heimat redet, ihr aber zugleich extrem schadet. Er verspricht den Leuten das Blaue vom Himmel; viele glauben das, weil der kleine Mann eine „große Goschen“ hat, wie das in Österreich heißt. Der Schriftsteller und Nestroy-Preisträger Ferdinand Schmalz aus der Obersteiermark hat drastisch vorhergesagt, was von Kickls blauem Himmel zu halten und was zu erwarten ist: „Es wird Scheiße regnen.“

Damit sind wir in den USA. In wenigen Stunden wird ein Mann als US-Präsident vereidigt, dem der Eid auf die Verfassung so wenig bedeutet wie die Verfassung, auf die er ihn ablegt. Vereidigt wird ein Mann, der Zoten liebt und der politische Obszönitäten ankündigt; vereidigt wird ein Mann, der gern in der Gosse badet und der, weil er jetzt Präsident wird, schon vorab neue Mitschwimmer gefunden hat; vereidigt wird ein Mann, der verächtlich über die Demokratie und den Rechtsstaat redet.

Die Vereinigten Staaten waren das große Haus der Demokratie, ihre Präsidenten haben sich als deren Hüter und Behüter verstanden. Nun zieht dort ein Mann ein, der aus dem großen Haus der Demokratie, aus dem Welthaus der Demokratie ein Einkaufszentrum, einen Trump Tower macht. Das läuft unter dem MAGA-Motto: Make America Great Again. Übersetzt: Wir machen die Demokratie klein, wir schrumpfen den Rechtsstaat.

Mancher fängt an, das Gute im Unguten zu suchen

Inauguration – das klingt feierlich, das klingt festlich. Aber es gibt nichts zu feiern. Es ist dies ein Tag, der Gänsehaut erzeugt, der einen schaudern und schauern lässt – weil man mit diesem Mann nicht in einem Bündnis sein will, weil man nicht glauben möchte, dass so einer ein Anführer einer Welt sein kann, die man früher „die freie Welt“ nannte.

Und weil das nicht auszuhalten ist, wird man jetzt damit beginnen, das Gute im Unguten zu suchen. Man wird davon reden, dass dieser Mann ja immerhin ein Augenöffner sei für die neue Brutalität der Weltunordnung, wie das soeben schon der britische Publizist und Historiker Timothy Garton Ash in der Zeit geschrieben hat. Und es wird in Frankreich und in Deutschland Leute geben, die ein paar Jahrzehnte zurückdenken, an den französischen Präsidenten Charles de Gaulle, der von einem starken europäischen Europa träumte, einem Europa, das sich nicht vereinnahmen lässt von den USA. Und es wird die Frage gestellt werden, ob Europa in einer multipolaren Welt ein eigenständiger Pol sein oder endlich werden will.

De Gaulle hatte, als er 1962/63 mit Konrad Adenauer den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag konstruierte, die Vorstellung von einer kompletten Union beider Staaten mit gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik, gemeinsamer Wirtschaftspolitik – bis hin zu einer gemeinsamen Staatsbürgerschaft. Als klar wurde, dass der Deutsche Bundestag so etwas nicht mitmacht, wurde der geplante Staatsvertrag auf Drängen Adenauers sehr abgespeckt und auf Drängen der deutschen Transatlantiker eine amerikafreundliche Präambel zum Vertrag geschrieben, in der festgehalten wurde, dass Deutschland auf seiner engen Bindung an die USA beharre. De Gaulle schäumte.

Amerika blieb für Westdeutschland das, was es für die Deutschen seit Mitte des 19. Jahrhunderts gewesen war: ein Sehnsuchtsland der Freiheit, eine Heimat der Demokratie. In den 1880ern waren jedes Jahr etwa 120 000 Deutsche in die USA eingewandert. In den Nazi-Zeiten waren die Vereinigten Staaten Zufluchtsort für die verfolgten Juden Europas. Vor achtzig Jahren brachten die amerikanischen Armeen dem naziverseuchten Kontinent dann die Befreiung von der Hitler-Diktatur. Heute, nach der Wiederwahl von Trump und kurz vor dessen Vereidigung, wäre wohl eine Mehrheit in Deutschland geneigt, einen Spruch Sigmund Freuds zu unterschreiben: „Amerika ist ein Fehler.“ Aber: Fehler haben es an sich, dass man sie korrigieren kann. Das ist die Hoffnung an dem Tag, an dem Trump vereidigt wird.


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