Vor 125 Jahren wurde der Autor von „Im Westen nichts Neues“ geboren, vor 95 Jahren erschien sein Antikriegsroman. Was hat er uns heute zu sagen?

Von Heribert Prantl

Es gibt einen Geschenketisch für Remarque: das Friedenszentrum in Osnabrück, das seinen Namen trägt, hat ihn aufgebaut. Künstler und Autoren aus aller Welt haben zum 125. Geburtstag gemalt und geschrieben, sie haben seinen Antikriegsroman gewürdigt, den er vor 95 Jahren schrieb und der heute zur Weltliteratur gehört. Die jüngste Verfilmung durch den Regisseur Edward Berger wurde vor ein paar Wochen in Hollywood hoch ausgezeichnet. Die vier Oscars liegen aber nicht auf dem Geschenketisch; davon weiß ohnehin jeder, nicht nur in Osnabrück. Dort ist Erich Maria Remarque vor 125 Jahren geboren, sein Vater war ein Buchbinder. Der Geburtsname seiner Großmutter mütterlicherseits war Bäumer – so wie der Familienname der Hauptfigur in Remarques Roman: Dieser Roman schildert die Schrecken des Ersten Weltkriegs aus der Sicht des Soldaten Paul Bäumer. Am Ende, nachdem alle seine Freunde auf dem sogenannten Feld der Ehre gefallen, also verreckt sind, trifft es auch Paul Bäumer – „an einem Tag, der so ruhig und so still war, dass der Heeresbericht sich auf den Satz beschränkte, im Westen sei nichts Neues zu melden“.

Imperiale Großmannssucht

Am Tag des 125. Remarque-Geburtstags wurde die achtzigjährige russische Schriftstellerin Ljudmilla Ulitzkaja mit dem Remarque-Friedenspreis ausgezeichnet. Was sie von Putin und seinen Kriegszügen hält, hatte sie schon 2014 geschrieben: „Mein Land hat gegenwärtig der Kultur, den Werten des Humanismus, der Freiheit der Persönlichkeit und der Idee der Menschenrechte, einer Frucht der gesamten Entwicklung der Zivilisation, den Krieg erklärt. Mein Land krankt an aggressiver Unbildung, Nationalismus und imperialer Großmannssucht.“ Die Krankheit, wie Ulitzkaja das nennt, hat sich nicht gebessert seitdem. Im Gegenteil. Der Krieg, den Putin in die Ukraine getragen hat, ist eine besonders grausame Emanation.

Mit diesem Krieg befassen sich viele Glückwünsche zum Remarque-Geburtstag. Ich habe darin geblättert. Ein paar Dutzend Politikerinnen und Politiker, Dichter, Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben haben auf einen Fragebogen geantwortet und über die Bedeutung von Remarques Werk für sie und für ihr Leben nachgedacht. Der Schriftsteller Jurij Andruchowytsch, ein Großer der ukrainischen Gegenwartsliteratur, zitiert Sätze von Remarque aus dem Jahr 1946 als ein ukrainisches Credo: „Man muss an die Zukunft glauben, an eine bessere Zukunft. Die Welt will Frieden, trotz gewisser Politiker. Und die Welt will wieder Dinge haben, an die sie glauben kann: Menschlichkeit, Verständnis, Fortschritt, Hilfsbereitschaft. Der Mensch ist gut, trotz allem.“ Die armenische Sprachwissenschaftlerin Vanuhi Baghmanyan, die an der Universität Eriwan lehrt und acht Romane von Remarque ins Armenische übersetzt hat, meint, dass dessen Romane „auch in allen Kriegsgebieten auf der Welt als eine Art Tröstung gelten“.

Ein militanter Pazifist

Margot Käßmann, die ehemalige Ratspräsidentin der EKD, der Evangelischen Kirche Deutschlands, nennt ihr Lieblingszitat aus Remarques Œuvre: „Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg, bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind, besonders die, die nicht hingehen müssen.“ Der Linken-Politiker Gregor Gysi wählt folgendes Zitat von Remarque aus: „Im Jahr 1931 musste ich Deutschland verlassen, weil mein Leben bedroht war. Ich war weder Jude noch war ich politisch links eingestellt. Ich war dasselbe, was ich heute noch bin: ein militanter Pazifist.“ Gysi hat dieses Zitat ausgewählt, weil er, wie er schreibt, „die heutige geistige Situation in unserem Land als unheimlich empfinde“. Warum? „Viele ehemalige Pazifisten, ehemalige Wehrdienstverweigerer etc. überbieten sich gegenseitig in bellizistischen Stellungnahmen.“ Die Situation sei heute „selbstverständlich nicht dieselbe wie in der Endphase der Weimarer Republik“ – und vor allem sei es heute nicht lebensbedrohlich, sich pazifistisch zu äußern: „Allerdings wird fast reflexartig jede und jeder, der meint, dass politische Auswege aus dem Stellungskrieg in der Ukraine gesucht werden müssen, als jemand öffentlich angeprangert, der angeblich die Kapitulation der Ukraine wolle.“ Diese Leute, so meint der Linken-Politiker, sollten sich lieber fragen, wie viele Menschen sterben sollen, „damit sie sich in ihrer bellizistischen Prinzipienpolitik gefallen“.

Der apodiktische Mainstream

Norbert Walter-Borjans, SPD-Parteichef neben Saskia Esken von 2019 bis 2021, zeigt sich als großer Kenner des Werks von Remarque und resümiert: „Es ist zugleich ein Auftrag, Lehren aus Sprachlosigkeit und ungebremsten Eskalationsspiralen zu ziehen, um dem Krieg in der Ukraine ein rasches Ende zu setzen. Dazu gehören geschlossenes Handeln und klare Ansagen. Dazu gehört aber eindeutig nicht die Verteufelung von Nachdenklichkeit, besonnenem Handeln und der Betonung von Diplomatie im Zusammenspiel mit militärischer Unterstützung. Das Widerwort gegen den apodiktischen Mainstream braucht Mut.“ Auch Remarque, so Walter-Borjans, sei mit seinen ungeschminkten Erfahrungsberichten vom Krieg und den Traumata in seinem Gefolge in den Fünfzigerjahren hierzulande nicht nur auf Zustimmung gestoßen. Das sei ein wichtiger Teil seines Vermächtnisses.

Die Langzeitperspektive

Johano Strasser, der langjährige Generalsekretär und Präsident des deutschen PEN, verweist darauf, dass nicht nur die Ukraine, sondern auch Russland zu Europa gehört: Das Russland Putins habe sich in seinem Größenwahn aus dem Kulturraum Europas entfernt, wie es einst Deutschland unter den Nazis tat. Aber als Nazideutschland schließlich besiegt worden war, sei es als ein demokratisches Deutschland in die Gemeinschaft der zivilisierten Völker zurückgekehrt. „Darum sollten wir nicht nur alles tun, um die Ukraine gegen den Aggressor zu verteidigen (…), sondern gleichzeitig die Langzeitperspektive einer gesamteuropäischen Sicherheits- und Friedensarchitektur unter Einschluss eines demokratischen Russlands nicht aus dem Blick verlieren, trotz aller gegenwärtig nahezu unüberwindbar erscheinenden Hindernisse.“ Das Ziel dürfe nicht eine erneute Blockspaltung quer durch Europa sein.

Amerika unverzichtbar, Russland unverrückbar

Das ist ein trefflicher Kommentar zu einem Positionspapier der „Kommission internationale Politik“ beim SPD-Parteivorstand, in dem unter anderem steht, dass Sicherheit künftig nicht mehr mit, sondern vor Russland organisiert werden müsse. Parteiintern haben sich dagegen schon Peter Brandt, Ernst Ulrich von Weizsäcker und Gernot Erler, ehemals Staatssekretär im Auswärtigen Amt, kritisch geäußert. Wolfgang Lieb, früherer SPD-Regierungssprecher in Nordrhein-Westfalen, hat in einem Brief an den Parteivorstand angemahnt, sich „eine Politik mit Russland als Option“ für die Zeit nach dem Ukraine-Krieg offenzuhalten. Lieb erinnert an einen Satz von Egon Bahr: „Amerika ist für Deutschland unverzichtbar, aber Russland ist unverrückbar.“

Es ist ein Satz, den ich nach wie vor für richtig, für wegweisend und für zukunftsbedeutsam halte, gerade angesichts der aktuellen Wirren in Russland.


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