Vom Elend der Bayern-SPD – und wie man ohne die Christsozialen regieren kann.

Von Heribert Prantl

An diesem Sonntag fand der „München Marathon“ statt – er begann am Olympiapark, führte über das Siegestor, den Königsplatz, den Englischen Garten und den Viktualienmarkt wieder zurück ins Olympiastadion. Das ist Anlass, über einen ganz anderen Marathon zu reden – er führt nicht beifallumrauscht ins Olympiastadion, sondern ins Nirwana.

Es ist dies der Marathonlauf der bayerischen SPD. Er hat vor 65 Jahren begonnen und ist noch immer nicht zu Ende – er führte und führt zu immer kläglicheren Prozenten. In den jüngsten Umfragen liegt die Bayern-SPD nur noch bei acht Prozent. Bei der letzten Landtagswahl lag sie bei 9,7 Prozent, da war sie nur noch die fünfstärkste Partei. Und es wäre ein rotes Wunder, wenn sich daran in einem Jahr, bei der nächsten bayerischen Landtagswahl, etwas ändern würde. Aber solche roten Wunder sind in Bayern lange, sehr lange her.

Liegt ein Fluch auf der bayerischen SPD?

Warum schreibe ich das? Genau vor 65 Jahren, am 8./9. Oktober 1957, zerfiel die letzte sozialdemokratisch geführte Regierung in Bayern, das zweite Kabinett des Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner. Seitdem, seit 65 Jahren, sitzt die SPD in Bayern in der Opposition. Zwischendurch hatte sie sich ein wenig erholt – aber diese Erholung war nicht nachhaltig. Es ist ganz sonderbar: Die SPD regierte und regiert im Bund, sie sitzt derzeit in den Landesregierungen von Bremen, Berlin, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen, Saarland – und natürlich, in Niedersachsen, wo an diesem Sonntag gewählt wurde.

Neben Bayern gibt es nur noch ein zweites Bundesland, in dem die SPD schon sehr lange nicht mehr an der Regierung war; es ist dies ausgerechnet das früher „rot“ genannte Hessen. Seitdem dort 1999 der damalige Ministerpräsident Hans Eichel abgewählt wurde und Bundesfinanzminister wurde, regiert dort die CDU. Das ist 23 Jahre her und ein Trost für die bayerische SPD ist das nicht. Es ist, als liege ein Fluch auf der bayerischen SPD.

Brutaler Machtwille

Aber es ist kein Fluch. Es war der unbedingte und brutale Machtwille der CSU, „der vor finsteren Machenschaften nicht zurückschreckt“, mit dem das Unglück der bayerischen SPD begann. Der Kollege Hans Holzhaider hat das vor einigen Jahren in der SZ unter dem Titel „Mission Machterhalt“ so beschrieben: „Nie hat sich dieser Machtwille nachhaltiger und brutaler manifestiert als in der Spielbankenaffäre in den Jahren 1955 bis 1959“. Die von der CSU angezettelte Spielbankenaffäre führte dazu, dass vor 65 Jahren die letzte SPD-geführte Regierung in Bayern platzte, es war das zweite Kabinett von Wilhelm Hoegner. Der Eisenbahnersohn Hoegner, Schöpfer der Bayerischen Verfassung, führte seit Dezember 1954 eine Viererkoalition, der neben der SPD die Flüchtlingspartei BHE, die FDP und die Bayernpartei angehörten. Mit der von ihr angezettelten Spielbankenaffäre schaffte sich die CSU ihre größte Konkurrenz, die Bayernpartei, vom Hals – unter Einsatz von kriminellen Mitteln.

Die CSU brachte es nämlich fertig, diese Bayernpartei erst dazu zu verlocken, die Viererkoalition des SPD-Ministerpräsidenten Hoegner zu verlassen – mit dem Versprechen, zusammen mit ihr die neue Regierung zu bilden. Dieses Versprechen hielt die CSU dann nicht ein, sondern tat sich mit der FDP und der BHE zusammen. Und dann holte die CSU zum finalen Schlag gegen die Bayernpartei aus und brachte es zuwege, die zwei führenden Politiker der Bayernpartei, Joseph Baumgartner und August Geiselhöringer, hinter Gitter zu bringen. Baumgartner, der charismatische Vorsitzende der Bayernpartei, war in der Vierer-Koalition stellvertretender bayerischer Ministerpräsident gewesen, Geiselhöringer bayerischer Innenminister. Der Vorwurf: Angeblicher Meineid im Untersuchungsausschuss des Landtags, der sich mit Privatisierung der Spielbanken beschäftigte. Es ging dabei um sehr nebensächliche Angaben in diesem Ausschuss – in welche die CSU die beiden Politiker hineingetrieben hatte.

Die Unterzuckerung des Generalsekretärs

Der damalige CSU-Generalsekretär und spätere Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann hatte in den Strafprozessen gegen Baumgartner und Geiselhöringer selber einen Meineid geschworen – wurde aber freigesprochen. Das Gericht hielt ihm zugute, dass er zum Zeitpunkt des Meineids aufgrund einer Unterzuckerung geistig nur vermindert leistungsfähig gewesen sei. Die Affäre brachte Zimmermann die Spitznamen „Old Schwurhand“ und „Meineidbauer“ ein, die ihn zeitlebens verfolgten. Aber: Mit der Exekution der Bayernpartei war die Spaltung des konservativen Lagers zu Ende; es konnte die Alleinherrschaft der CSU beginnen. Der SPD gelang so etwas nicht einmal ansatzweise, als im linken Lager der Aufstieg der Grünen begann.

Auflösen und neu gründen

Nun ist es nicht so, dass mit dem perfiden Coup gegen die Bayernpartei das ganze Unglück der Bayern-SPD zu erklären wäre; das Glück der CSU sehr wohl. Dieser Coup hat es der CSU ermöglicht, zur weiß-blauen Staatspartei und zur Inkarnation des Bayerischen zu werden – zur „Partei, die das schöne Bayern erfunden hat“, wie das Herbert Riehl-Heyse, der legendäre SZ-Chefreporter, in einem Buch beschrieben hat. Die SPD fand dagegen kein Rezept. Die Erfolge, die sie bei Oberbürgermeisterwahlen in den Großstädten München und Nürnberg immer wieder erzielen konnte, strahlten nicht auf ganz Bayern aus. Und so kam Albert Schmidt, einst SPD-Fraktionschef im bayerischen Landtag, zu dem drastischen Bonmot, der Bayern-SPD sei nur so zu helfen: „Auflösen und neu gründen“.

Aber vielleicht kommt es ja im nächsten Jahr, nach 66 Jahren, wieder zu einer Viererkoalition – diesmal geführt von den Grünen und zusammen mit den Freien Wählern, der FDP und der SPD. Das klingt verrückt; aber verrückt war das damals auch, als in den Fünfzigerjahren die Vierer-Koalition unter Wilhelm Hoegner zustande kam. Die gemeinsame Band der Parteien damals war nur die Überzeugung: Es geht auch ohne CSU.


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