Und zugleich ein Manifest für ein soziales Pflichtjahr – das dann im Krankenhaus, im Pflegeheim oder auch bei der Bundeswehr abgeleistet werden kann.

Von Heribert Prant

Es war, es ist ein „Manifest gegen die Wehrpflicht“ und ein „Manifest gegen die militärische Ausbildung der Jugend“. Es stammt nicht von Rolf Mützenich, auch nicht von Ralf Stegner, es stammt nicht aus dem Jahr 2025. Es ist schon alt. Es trägt die Unterschriften der ehrenwertesten und bekanntesten Menschen ihrer Zeit – von Albert Einstein, Sigmund Freud, Selma Lagerlöf, Thomas Mann, Romain Rolland, Bertrand Russell, Stefan Zweig und vielen anderen. Die Friedensfreunde vor bald hundert Jahren kamen aus unterschiedlichen Ländern und Traditionen. Sie begründeten ihre Ablehnung von Waffengewalt und Krieg bürgerlich oder wissenschaftlich, religiös oder sozialistisch. Sie waren sich überhaupt nicht grün in ihren Ansichten, waren aber vereint in der Ablehnung von Gewalt und Militarismus und in der Vision: Die Völker sollen nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Intellektuelle aus ganz Europa verfassten nach dem Ersten Weltkrieg, der 17 Millionen Menschen um ihr Leben gebracht hatte, Manifeste gegen das, wie man es damals nannte, „Kriegshandwerk“. Es ist hier die Rede von einem Manifest aus dem Jahr 1930. Ist es noch brauchbar im Jahr 2025?

„Verewigung des Kriegsgeistes“

Es heißt in diesem Manifest: „Wir erklären, dass jeder, der aufrichtig den Frieden will, für die Abschaffung der Militarisierung der Jugend kämpfen und den Regierungen das Recht absprechen muss, den Staatsbürgern die Wehrpflicht aufzuerlegen. Die Wehrpflicht liefert die Einzelpersönlichkeit dem Militarismus aus. Sie ist eine Form der Knechtschaft. Dass die Völker sie gewohnheitsmäßig dulden, ist nur ein Beweis mehr für ihren abstumpfenden Einfluss. Militärische Ausbildung ist Schulung von Körper und Geist in der Kunst des Tötens. Militärische Ausbildung ist Erziehung zum Kriege. Sie ist die Verewigung des Kriegsgeistes. Sie verhindert die Entwicklung des Willens zum Frieden. Die ältere Generation begeht ein schweres Verbrechen an der Zukunft, wenn sie die Jugend in Schulen und Universitäten, in staatlichen und privaten Organisationen, oft unter dem Vorwand körperlicher Ertüchtigung, das Kriegshandwerk lehrt.“

Der Pazifismus hat es schwer

Solcher Pazifismus hatte es damals schwer und er hat es heute schwer. Den Geistesgrößen wurde und wird er als kleine Marotte nachgesehen. Heute gelten Pazifisten mehr denn je als die Narren der Nationen. Sie ziehen Gespött auf sich, ihre Rufe nach Abrüstung gelten als weltfremd und geschichtsvergessen, ihre Aktivitäten werden als naive Unterstützung von Autokraten und Diktatoren bespöttelt und beschimpft. Daran haben die Friedensnobelpreise, die seit 1901 verliehen werden, nichts geändert. Aber sehr bedenkenswert sind die Bedenken und die Skrupel gleichwohl, diskutierenswert sind sie auch heute – in einer Zeit, in der die Bundesregierung über die Wiedereinführung der im Jahr 2011 in Deutschland ausgesetzten Wehrpflicht nachdenkt.

Was Pflicht sein sollte

Leute meiner Generation haben beim Thema Wehrdienst und dessen Verweigerung ihre eigenen Erfahrungen. Der Sänger, Liedermacher und Rechtsanwalt Franz Josef Degenhardt hat sie in seinem Lied „Befragung eines Kriegsdienstverweigerers“ besungen und sich über die sogenannte Gewissensprüfung mit Recht lustig gemacht. Ich selber habe mich seinerzeit, nach dem Abitur, es war in den Siebzigerjahren, trotz meiner Freude an diesem Lied zum Wehrdienst entschlossen – letztendlich aus Trotz, weil einer meiner Lehrer sich zwei Schuljahre lang heftig dagegen ausgesprochen hatte und weil ich selber erfahren wollte, wie es bei der Bundeswehr zugeht. Eine besonders schöne Erfahrung war es nicht.

Im Zuge der jetzt neu aufgeflammten Debatte über die Wiedereinführung der Wehrpflicht habe ich das oben genannte Manifest gegen den Wehrdienst wieder gelesen und war beeindruckter als damals als Gymnasiast. Heute bin ich für und gegen eine Wehrpflicht – und kann diese sich vermeintlich widersprechenden Positionen vereinen in einem Vorschlag, der ein soziales Pflichtjahr für alle vorsieht, das in verschiedenster Weise absolviert werden kann: im Altenheim, im Kindergarten oder bei der Bundeswehr. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat einen solchen Vorschlag vor drei Jahren schon gemacht. Es müsse gelingen, „dass wieder Frauen und Männer mindestens einmal im Leben für eine gewisse Zeit aus ihrem gewohnten Umfeld herauskommen und sich den Sorgen anderer Menschen widmen“. Er fand viel Zustimmung in der Bevölkerung, aber wenig bei den politischen Parteien; auch die Wohlfahrtsverbände hielten wenig von einer sozialen Pflichtzeit. Sie wollten stattdessen das FSJ, das Freiwillige Soziale Jahr, gestärkt wissen.

Bis zur Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht war es so: Die allgemeine Wehrpflicht für junge Männer war Pflicht und die Regel; der Zivildienst war die Ausnahme; den Zugang zu dieser Ausnahme musste man sich mit einer Gewissensprüfung erkämpfen. Die Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 war das übers Knie gebrochene Werk des damaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg, der dann wegen der Plagiatsaffäre zurücktreten musste. Mit der Aussetzung des Wehrdienstes ging damals die Stornierung des Zivildienstes Hand in Hand. Auch die gesellschaftlichen Gruppen, die seinerzeit den Zivildienst durchgesetzt hatten, die Wohlfahrtsverbände vor allem, ließen ihn 2011 fallen. Das war ein Fehler.

Ein Wohlfahrtsverband als Motivationsverband

Die Wohlfahrtsverbände lehnen auch heute ein soziales Pflichtjahr ab, weil ihnen der Organisationsaufwand zu groß erscheint und weil, wie beispielsweise die Diakonie meint, ein „erzwungener Dienst“ nicht oder nur bedingt zu einer solidarischen Grundhaltung der Diensthabenden führe. Gerade die Erfahrungen aus der Begleitung von Zivildienstleistenden würden zeigen, „dass ein erheblicher Anteil durchaus unmotiviert blieb“. Ich denke freilich, dass ein guter Wohlfahrtsverband auch ein Motivationsverband sein könnte und sollte.

Ein soziales Pflichtjahr für alle, für Männer und für Frauen, wäre eine gute Sache. Diese Pflicht sollte dann in der Pflege, in Krankenhäusern, in Kindergärten, im Naturschutz, in der Flüchtlingshilfe, bei der Feuerwehr, im Katastrophenschutz – oder eben auch in der Bundeswehr geleistet werden können. Der Dienst in sozialen Einrichtungen wäre das gesellschaftliche Gegengewicht zum Dienst in der Bundeswehr. Den Wohlfahrtsverbänden sollte an einem solchen Gegengewicht gelegen sein.

Nicht herkömmlich, aber bekömmlich

Sicherheit, das steht hinter diesem Vorschlag, besteht nicht nur aus der äußeren Sicherheit, für die die Bundeswehr steht; zu ihr gehört auch die soziale Sicherheit. Die Sicherheit wird also auch dort verteidigt, wo Caritas & Co arbeiten; dort, wo das Essen auf Rädern ausgefahren wird und wo Biotope geschützt werden. Ein solches Pflichtjahr kann für junge Menschen der Einstieg sein in die soziale Wirklichkeit, es kann ein Erfahrungsraum sein, ein Anti-Egoismus-Jahr, die Fortsetzung der Schulpflicht mit anderen Mitteln und mit anderen Inhalten. So eine soziale Pflichtzeit deckt in ihren vielfältigen Angeboten das gesamte Spektrum der Sicherheit ab.

Wäre das mit dem Grundgesetz vereinbar? Dort steht in Artikel 12: „Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.“ Herkömmlich wäre ein soziales Pflichtjahr nicht; bekömmlich schon. Man könnte ja das Grundgesetz ändern, um das soziale Pflichtjahr gut und fein abzusichern. Es hat schon weniger bekömmliche Grundgesetzänderungen gegeben.

 


Newsletter-Teaser