Der Glaube vieler Menschen an den Fortschritt der Aufklärung ist erschüttert. Warum also dennoch Kommentare und Kolumnen verfassen? Vom Schreiben, Bangen und Hoffen in schwierigen Zeiten.

Von Heribert Prantl

Warum schreibst du? Früher haben mir meine Kinder diese Frage gestellt, wenn ich mich am Sonntag an den Schreibtisch zurückzog. Die Kinder sind groß geworden; die Frage bleibt. Vielleicht stellen sie in ein paar Jahren die Enkel. Leserinnen und Leser fragen das auch bisweilen: Warum schreiben Sie?

Zuletzt war das soeben so bei einer Tagung mit den Leiterinnen und Mitarbeitern von Büchereien in Bayern. Eine Teilnehmerin wünschte sich, dass ich so eine Art Zwischensumme ziehe über meine bisher 35 Jahre als Journalist, über die Jahre, die jetzt genau mein halbes Leben ausmachen. Und sie wollte wissen, ob man und gegebenenfalls wie viel Kraft man braucht, um immer und immer wieder Kommentare und Kolumnen zu schreiben über den Schutz der Grundrechte, über die Rechte von Minderheiten, für Gleichberechtigung, für Integration und Inklusion.

Der Stein, den man ins Wasser wirft

Und sie wollte wissen, ob und wie frustrierend es gegebenenfalls sei, wenn sich nichts oder wenig ändert, wenn sich die Dinge womöglich sogar rückwärts entwickeln? Ich antworte dann gern, was ich auch an der Journalistenschule antworte, wenn ich dort das Fach „Der Kommentar“ unterrichte. Die Journalistenschülerinnen und Journalistenschüler hören dann von mir den Satz: „Wenn Sie beim Kommentieren gegen den Strom schwimmen, können Sie nicht erwarten, dass der Strom deswegen seine Fließrichtung ändert.“

Um im Bild des Wassers zu bleiben: Ein Leitartikel ist wie ein Stein, den man ins Wasser wirft. Wenn man Glück hat, zieht er ein paar Kreise. Aber eine zufriedenstellende Antwort ist das noch nicht. Zur Antwort gehört auch: Schreiben ist etwas Lustvolles. Das Schreiben ordnet die Gedanken. Wenn es gutgeht, bringt das Schreiben den Schreibenden in Bewegung – und, wenn er Glück hat, auch die Leserinnen und Leser. Und diese Bewegung führt zu Begegnung, zu spannenden Begegnungen mit Menschen.

Warum schreibe ich? Weil das Schreiben nicht nur Zeit und Kraft kostet, sondern auch Zeit und Kraft gibt. Und weil das Schreiben Hoffnung macht, erst einmal einem selbst – Hoffnung darauf, dass es stimmt, was ich auf die Rückseite der Briefkarten habe drucken lassen, mit denen ich meine analoge Leserpost beantworte: „Zukunft entsteht in jedem Augenblick. Sie ist darum in jedem Moment veränderbar.“

Kleiner gewordene Hoffnung, geschrumpfte Zuversicht

Diese Hoffnung ist bei vielen Menschen in den vergangenen Jahren kleiner geworden. Die Gewissheit ist geschwunden, etwas Sinnvolles zu einer guten Zukunft beitragen zu können. Die Zuversicht, dass ein jeder seine kleine oder größere Welt besser machen kann – sie ist geschrumpft. Deshalb mag ich die Protestierenden und Demonstrierenden, die dafür kämpfen, dass die Zukunft eine lebenswerte Zukunft bleibt. Sie gehen nicht auf Distanz zur Politik, sie gehen auf die Straße, sie kleben sich dort fest, sie besetzen Plätze. Das ist nicht Distanz, das ist etwas anderes: „Sie entfernen sich nicht von der Politik, sondern versuchen, sie zu beeinflussen.“ So habe ich in der Zeit der Proteste gegen den Finanzkapitalismus geschrieben. „Wir sind viele“, hieß meine Streitschrift aus dem Jahr 2011. Aber die vielen waren dann doch wohl zu wenige.

Der Glaube daran, dass Demokratie und Rechtsstaat sich, und sei es langsam, weiterentwickeln, der Glaube an den Fortschritt der Aufklärung ist erschüttert. Die Weltzuversicht vieler Menschen ist zerborsten. Selbst manchen von denen, die mit Herzblut Flüchtlingen geholfen haben, kam das Grundvertrauen abhanden, dadurch etwas Gutes getan zu haben. Die Gewissheit ist einem Ohnmachtsgefühl gewichen, dem Gefühl, einem Sog ausgesetzt zu sein. Es ist ein Sog der Fremdbestimmung; auf den Einzelnen scheint es nicht mehr anzukommen.

Mein Schreiben ist mein kleiner Widerstand dagegen – 38 Anschläge pro Zeitungszeile.

 


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