Die römische Erklärung gegen den Reformkurs der katholischen Kirche in Deutschland ist grob beleidigend und ein Zeugnis wohltönender Borniertheit. Der „Synodale Weg“ wird abgekanzelt. Auf diesen groben Klotz gehört ein grober Keil.
Von Heribert Prantl
Die Erklärung aus Rom ist kurz, sie ist von wohltönender Unverschämtheit, sie ist eine miese Missachtung des verzweifelten Ringens der deutschen Katholiken um einen Neuanfang nach den Missbrauchsskandalen. Diese Erklärung hat keinen Absender; da steht nicht der Name von Papst Franziskus darunter; die Erklärung kommt aus der inquisitorischen Anonymität, sie kommt aus dem Off, sie kommt aus dem vatikanischen Hinterhalt; das macht die Sache nicht besser, sondern schlimmer – weil man nicht weiß, wer im Vatikan eigentlich das Sagen hat.
Es handelt sich um eine Anti-Reform- und eine Anti-Modernismus-Erklärung. Sie weigert sich schon vorab, grundlegende Reformen der hierarchischen Strukturen oder der Sexualmoral zu akzeptieren, die vom Kirchenreformprozess in Deutschland, der Synodaler Weg heißt, beschlossen werden könnten. Das Papier aus Rom besagt: Ihr könnt beschließen, was ihr wollt, es zählt nicht – wenn es uns nicht passt, wenn es geltenden Regeln und Anschauungen in die Quere kommt. Das Motto der neuen römischen Anti-Modernismus-Erklärung lautet: Vorwärts nimmer, rückwärts immer. Es ist dies ein Zeugnis des Unverstands, der Uneinsichtigkeit und des trotzigen Beharrens.
Die religiöse Entfremdung wächst schneller als die Inflation
Womöglich ist diese römische Erklärung das Produkt einer reaktionär-katholischen Intrige, in welche der Papst sich hat einwickeln lassen; er hat sie jedenfalls nicht unterbunden. Die Erklärung liest sich wie der Triumph derer, die mit dem Slogan hausieren gehen, dass es sich bei den in Deutschland geplanten Reformen, die mit dem Synodalen Weg auf den Weg gebracht werden sollen, um einen „Missbrauch des Missbrauchs“ handele. Wer so redet, weiß nicht, was die Stunde geschlagen hat. Die religiöse Entfremdung wächst schneller als die Inflation. Die trabende Entfremdung von der Kirche ist in Deutschland in eine galoppierende Entfremdung übergegangen, zumal dort, wo, wie in Köln, mit Kardinal Woelki einer der Reformgegner zu Hause ist. Der Papst hat auf dessen zögerlich und spät eingereichtes Rücktrittsangebot immer noch nicht reagiert. Das stärkt die Reformgegner; das schwächt die Reformer.
Das Schicksal der katholischen Kirche in Deutschland erinnert an das Schicksal der Reichsmark im Jahr 1923, es erinnert an die Zeit, in der die Geldscheine billiger waren als Tapeten. Die Flucht aus der Kirche ist ein Exodus, die Zahl der Kirchenaustritte ist so hoch wie nie. In den leeren Kirchen brennt das ewige Licht wie ein Warnsignal. Die Anti-Reformer halten sich da am Bischofsstab fest und an dem Satz aus dem Matthäus-Evangelium, dass „die Pforten der Hölle“ die Kirche nicht überwältigen werden. Die Hölle – das sind für Leute wie Kardinal Gerhard Ludwig Müller (der bis vor fünf Jahren oberster katholischer Glaubenswächter war), für Walter Kasper (emeritierter Kurienkardinal), für Rainer Maria Woelki (Kardinal in Köln) oder Rudolf Voderholzer (Bischof in Regensburg) nicht die Missbrauchsskandale, sondern die Reformen.
Der Reformprozess heißt in Deutschland Synodaler Weg und wird von der Mehrheit der deutschen Bischöfe sowie von engagierten katholischen Laien und deren Verbänden getragen; der Münchner Kardinal Reinhard Marx gehört zu den Protagonisten. Es handelt sich um intensive Gespräche, die seit dem Jahr 2019 laufen und die fundamentale Reformen vorbereiten sollen – Reformen bei der Sexualmoral, bei der Rolle der Frau in der Kirche, in der Hierarchie. Es geht beim Synodalen Weg um etwas, was dort „geschwisterlicher Umgang“ genannt wird, also Gleichberechtigung der Geschlechter und Enthierarchisierung.
Das Dienen wurde an die Frauen delegiert
Das stellt schlechte Gewohnheiten und alte Traditionen in Frage, ist aber bitter notwendig. Warum? Ein kluger Weihbischof hat das schon vor vielen Jahren, lange vor der Aufdeckung der Missbrauchsskandale, so formuliert: „Jesus kam, um Männern das Dienen beizubringen. Sie haben das dann an die Frauen delegiert“. Nicht Alice Schwarzer hat das gesagt, sondern Ernst Gutting; er war Weihbischof in Speyer und Leiter der Arbeitsstelle für Frauenseelsorge in der Deutschen Bischofskonferenz. 1987, vor 35 Jahren also, schrieb er ein klarsichtig frauenfreundliches Buch unter dem Titel „Offensive gegen den „Patriarchalismus“. Gutting wurde damals ausgebremst – so wie jetzt der Synodale Weg, der Frauen die Gleichberechtigung bringen will, vom Vatikan zur Sackgasse erklärt wird.
Den sexuellen Missbrauch kann man nicht wegbeten
Der sexuelle Missbrauch, der die Kirche an den Abgrund gebracht hat, ist – was die Anti-Reformer einfach nicht kapieren wollen – das Ergebnis und das Risiko einer zwangszölibatären und männerbündischen Kirche, die in den vergangenen zweitausend Jahren die Frauen aus den Machtpositionen vertrieben und von dort ferngehalten hat, aber den Menschen die Sexualität nicht austreiben konnte. Die Anti-Reformer glauben, sie könnten den Missbrauch wegbeten. Bei allem Respekt vor dem Gebet: Das ist dessen Verhöhnung.
Schon vor dem Anti-Reform-Papier aus dem Vatikan hatte Papst Franziskus den Synodalen Weg in Deutschland in seiner bisweilen kecken Art wie folgt kommentiert: „Es gibt eine sehr gute evangelische Kirche in Deutschland. Wir brauchen nicht zwei.“ Das klingt zum Schmunzeln, ist es aber nicht, weil es sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche reduziert. Luther war der Mann der gepfefferten Sprache. Er hätte wohl die Anti-Reform-Erklärung aus Rom als „Furz aus dem Vatikan“ deklariert.
Wie die Befreiung aus institutioneller Erstarrung funktioniert
Der Synodale Weg der katholischen Kirche in Deutschland ist nicht der Weg hin zu Luther, es ist der Weg in eine katholische Zukunft, in der Gleichberechtigung, Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit praktiziert werden. Und wenn es ein Weg ist, der auch dahin führt, die fünfhundertjährige Spaltung der christlichen Kirchen zu überwinden – wäre das schlimm? Die katholische und die evangelische Kirche werden eine neue Lebendigkeit lernen müssen. Gut wäre es, wenn dieses Lernen ein ökumenisches Lernen, ein Miteinanderlernen wäre. Synodal setzt sich zusammen aus den beiden altgriechischen Wortteilen syn- = zusammen, gemeinsam und hodós = der Gang, der Weg; es geht also um einen sýnodos, einen gemeinsamen Weg, eine Zusammenkunft zur gemeinsamen Beratung.
Der Prager Tomas Halik hat vor Kurzem in einem Interview mit der Zeitschrift Publik-Forum von einer ökumenischen Weggemeinschaft gesprochen. Halik meint, dass sich die katholische Kirche nur durch Umwandlung in eine solche Weggemeinschaft aus ihrer institutionellen Starre befreien könne. Im Vatikan scheinen Konservative der Ansicht zu sein, dass Reformen im deutschen Katholizismus die Einheit der Weltkirche gefährden und dass eine deutsche katholische Nationalkirche entstehen könnte. Das ist eine falsche, eine lähmende, furchtsame, retrovertierte Sicht der Dinge. Man kann nämlich die gebeutelte Kirche in Deutschland als Experimentierfeld sehen, und die Reformen des Synodalen Weges als Chance und Text für die Weltkirche – also als Beitrag zur Annäherung der christlichen Religionen.