Der emanzipatorische Geist der CDU hebt sich mit der Frauenquote nun deutlich über vatikanisches Niveau. Doch eigentlich war man schon mal weiter. Beim Parteitag waren es vor allem die jüngeren Frauen, die gegen Gleichstellung stritten. Seltsam?
Von Heribert Prantl
Von Willy Brandt stammt ein recht bekümmerter, ein klagender Satz über die Emanzipation: Sie schleiche voran „wie die Schnecke auf Eis“. Die Schnecke ist zwar noch immer nicht am Ziel, aber sie ist seit den Zeiten von Brandt ein gutes Stück Weg vorangekommen – in Staat und Gesellschaft, in den politischen Parteien auch: bei der SPD jedenfalls, bei den Linken, bei den Grünen gleich gar. Bei der CDU aber bisher nicht so recht – daran ändert auch die bescheidene Frauenquote nicht viel, die sie soeben auf dem Parteitag in Hannover beschlossen hat.
Die Partei des Vorsitzenden Friedrich Merz agiert nämlich weit weg von dem, was schon vor Jahrzehnten Heiner Geißler als CDU-Generalsekretär wollte und was bis heute Rita Süssmuth propagiert. Es ist auch nur eine kleine Frauenquote, die in Hannover beschlossen wurde. Von einer Parität in den Parlamenten, wie sie die große CDU-Frauenrechtlerin Süssmuth verficht, ist diese Quote ein Lichtjahr entfernt; die neue CDU-Quote gilt nur für Vorstandsposten auf den verschiedenen Ebenen. Sie gilt nicht für die Aufstellung der Listen für die Parlamentswahlen. Die beschlossene Quote bringt weder mehr Frauen in die Parteitage noch mehr Frauen in die Parlamente.
Diese soeben auf dem CDU-Parteitag in Hannover mit Müh und Not und gegen viel innerparteilichen Protest beschlossene kleine Frauenquote ist vor allem der Versuch der Merz-CDU, einen antiquierten Ruf abzuschütteln. Die Quote selbst ist ziemlich dürftig; ihre Präsentation war laut, die Substanz ist bescheiden. Die CDU-Frauenquote ist vor allem eine Image-Maßnahme des neuen Vorsitzenden Friedrich Merz.
Der emanzipatorische Geist in der CDU liegt zwar nun über vatikanischem Niveau; aber das besagt nicht viel. Die lange Kanzlerschaft von Angela Merkel, ihre vielen Jahre als Parteivorsitzende – es hat dies zwar einen großen Emanzipationsschub in der deutschen Gesellschaft gebracht, in der Partei schob sich da aber weniger. Emanzipation bestand dort, das war die Grundhaltung der CDU-Männer, darin, dass man ja Merkel hatte. Die Spitze war weiblich, die Partei als Ganzes war es nicht; sie blieb ziemlich die alte.
1985, nach dem Frauenparteitag in Essen, schrieb der Spiegel-Reporter Jürgen Leinemann, Geißler habe „der CDU in Essen die Emanzipation geschenkt“. Das war, wie gesagt, 1985, das ist 37 Jahre her. Es hat zu wenig Früchte getragen. Aber solange vor allem Männer mit Männern über Frauenrechte streiten, ist das kein Wunder. Und solange Männer meinen, Frauenrechte seien etwas, was Männer schenken, ist Emanzipation noch weit entfernt. Die besten Expertinnen für ihre Emanzipation sind die Frauen – denn die Emanzipation wird nicht gewährt oder geschenkt; sie wird immer erstritten; und es sind und bleiben die Frauen, die ihre Gleichstellung erstreiten.
Die Patriarchen-Partei hat noch nicht so viel gelernt
Um zu erspüren, wie aus der CDU schon vor mehr als einer Generation eine ganz moderne konservative Partei hätte werden können, muss man die Rede lesen, die Heiner Geißler als Generalsekretär und Bundesfamilienminister 1985 auf dem 33. Bundesparteitag in Essen gehalten hat – und die Rita Süssmuth, seine Nachfolgerin als Ministerin, dann politisch umzusetzen versucht hat. „Frauenparteitag“ wurde dieser Parteitag in Essen damals intern genannt, und der von viel parteiinternem Widerstand begleitete Aufstieg der Rita Süssmuth begann damals.
Geißler begründete in seiner Essener Rede den damaligen Leitantrag „Neue Partnerschaft zwischen Mann und Frau“. Da stehen Sätze drin, mit denen Friedrich Merz heute als Revoluzzer gelten würden: „Wir Christliche Demokraten haben die Aufgabe, gegen eine Diskriminierungsmentalität zu protestieren, sie anzuprangern und eine Veränderung des Bewusstseins zu erreichen.“ Und: „Ich bin davon überzeugt, dass ohne den Sachverstand und die Kreativität der Frauen unsere Gesellschaft die Herausforderungen nicht bestehen kann, die an eine moderne und humane Industrienation gestellt werden.“
Vierzehn konkrete Maßnahmen – von der forcierten Anerkennung der Kindererziehungszeiten bis hin zu Hilfen für Frauenhäuser – stellte Heiner Geißler damals vor. Und als auf den Rängen lauthals protestiert wurde, begrüßte Geißler selbstbewusst feixend „diejenigen in diesem Saal, die anderer Meinung sind. Ich finde das hervorragend. Wenn politische Gegner an unseren Versammlungen teilnehmen, hat das immer den großen Vorteil, dass sie etwas lernen können“. Die CDU selber hat nicht so viel gelernt. Die Veränderung des Bewusstseins, von der Geißler träumte, ist zumal an der Jungen Union vorbeigegangen. Deren Beiträge zur Frauenquoten-Debatte jetzt beim Parteitag in Hannover waren konservativer, als Helmut Kohl je war.
Die Quote, ein missachtetes Hilfsmittel
Zehn Jahre nach Essen, beim CDU-Parteitag 1995 in Karlsruhe, wurde ein „Frauenquorum“ als abgeschwächte Form der Quote vorgestellt – und abgelehnt. Ein Jahr später, auf dem Bundesparteitag in Hannover 1996, wurde dann erneut über dieses Frauenquorum abgestimmt; eine versuchsweise auf fünf Jahre befristete Einführung des Quorums fand nun eine Mehrheit. Auf dieser Abstimmung von 1996 konnte nun Merz 26 Jahre später aufbauen, wieder in Hannover. Nach Ablauf der fünfjährigen Befristung war auf dem Bundesparteitag in Dresden 2001 wieder über das Frauenquorum abgestimmt worden und eine unbefristete Einführung beschlossen worden.
Im Grundgesetz steht seit 1994 ein Satz, der die 1948/1949 im Artikel 3 formulierte Gleichberechtigung ergänzt: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Quotenregelungen realisieren dieses Gebot auf kluge Weise. Warum? Freiwillige Selbstverpflichtungen bringen nichts. Die gesamte Emanzipationsgeschichte lehrt nämlich, dass es ohne konkrete und offensive Vorschriften keine Emanzipationsfortschritte gibt. Die Gegner der Quote leugnen diese Erfahrung, ob aus emanzipationsfeindlicher Berechnung oder aus emanzipationsfreundlicher Überschätzung der eigenen Kraft.
Quoten sind notwendige und probate Hilfsmittel. Nur auf diese Weise ist die Männerquote zu durchbrechen, die in den Führungsgremien der Wirtschaft und der Staatsverwaltung immer noch bei etwa 85 Prozent liegt. Die sogenannten Führungspositionengesetze der vergangenen Jahre versuchen das zu ändern. Es reicht nicht, wenn Frauen theoretisch alles werden dürfen; sie müssen es praktisch werden können. Eine bloß formale rechtliche Gleichbehandlung führt nicht zur Gleichberechtigung, wenn diese formale Gleichbehandlung auf ungleiche Lebenssituationen von Männern und Frauen trifft.
Also braucht es Frauenförderungsgesetze, also müssen auch Paritätsgesetze für die Parlamente verabschiedet werden – die eine hälftige Besetzung des Parlaments mit Männern und Frauen zum Ziel haben. Solche Paritätsgesetze sind so umstritten, wie es 1918/19 im Reichstag das damals eingeführte Frauenwahlrecht und wie es 1948/49 im Parlamentarischen Rat der Gleichberechtigungssatz war. Aber: Ohne Quote kommt die Gesellschaft nicht weiter, weil nur eine Quote bewusstseinsbildende Kraft hat; sie ist ein vielleicht nur vorübergehendes, aber notwendiges Vehikel zur Realisierung des Gleichberechtigungsgebots.
Die CDU sollte auf Rita Süssmuth hören, deren große politische Karriere 1985, mit der Aufbruchsstimmung auf dem Frauenparteitag der CDU begann. Süssmuth geht es, so sagt sie immer wieder, nicht einfach nur um mehr Frauenrechte, sondern darum, die Gesellschaft mit allen Beteiligten zu verändern. Die CDU gehört zu den Beteiligten.
Aber die CDU hat nicht nur Rita Süssmuth. Sie hat auch Noëlle Drtil vom Landesvorstand des RCDS, des Rings Christlich-Demokratischer Studenten, die findet, dass die Quote ihre bisherige Arbeit massiv abwerte. Die CDU hat auch Kristina Schröder, die es als „Verbeugung vor der Identitätspolitik“ sieht, wenn man in der Grundwertecharta der CDU „Gleichstellung“ statt Gleichberechtigung fordert. Wie schon gesagt: Es sind Frauen, die für Gleichstellung streiten. Man muss ergänzen: Es sind auch Frauen, die gegen Gleichstellung streiten. Sie haben im Moment starke Stimmen in der CDU.