Deshalb gebietet die Verfassung den Ausschluss von Björn Höcke aus der Politik, deshalb muss ein Verbot der AfD geprüft werden.
Von Heribert Prantl
Im Grundgesetz gibt es die Ewigkeitsklausel. Sie besagt, dass nichts und niemand den Artikel 1 ändern kann: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Keine Mehrheit, und sei sie noch groß, reicht dafür aus, diesen Satz zu ändern, nicht einmal eine Zweidrittelmehrheit. Die Menschenwürdegarantie ist nämlich der Kern der Verfassung; dieser Kern soll, das besagt die Ewigkeitsklausel, unantastbar sein und unantastbar bleiben. Jeder Aushöhlung dieses Kerns muss entgegengewirkt, jede Attacke auf diesen Kern muss abgewehrt werden. Das ist nicht einfach nur schönes Verfassungspathos, das hat Auswirkungen auf die aktuellen Debatten über ein Parteiverbot der AfD. Es hat auch Auswirkungen auf die Forderung, dem Neonazi Björn Höcke die Wählbarkeit abzuerkennen. Man kann und darf nicht sagen: Weil, wie in Thüringen, dreißig oder fünfunddreißig Prozent der Wählerinnen und Wähler Björn Höcke und seine AfD wählen wollen, setzen wir die Mittel nicht ein, die das Grundgesetz zum Schutz der Menschenwürde bereithält.
Der Schutz der Menschenwürde steht nicht unter dem Vorbehalt von dreißig oder fünfunddreißig Prozent Stimmen für die AfD. Im Gegenteil: Je stärker die Unterstützung für eine Politik und eine Partei ist, die die Menschenwürde angreift, umso wichtiger ist es, die Waffen der wehrhaften Demokratie zu entrosten. Wenn ein Politiker Hunderttausende Menschen, die in Deutschland leben, aus dem Land treiben will, muss man ihn mit den Mitteln des Grundgesetzes aus dem Parlament und aus der Politik vertreiben.
Feuer unterm Hintern
Der Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes, in dem das Parteiverbot geregelt ist, und der Artikel 18, in dem es um die Grundrechtsverwirkung geht, sind so etwas wie der Personenschutz der Menschenwürde. Es wäre eine Narrheit, auf den Personenschutz gerade dann zu verzichten, wenn er am nötigsten ist. Darauf hinzuweisen ist der Sinn der Unterschriftenaktion „Höcke stoppen“. Der 56-jährige Düsseldorfer Physiker Indra Ghosh hat die Aktion auf dem Online-Portal Campact auf die Beine gestellt; 1 653 114 Bürgerinnen und Bürger hatten bis Sonntagmittag unterschrieben. Indra Gosh ist ein Exempel dafür, was ein Einzelner vermag. Seine Aktion und die Massendemonstrationen gegen die AfD machen dem Kanzler, den Vorsitzenden der demokratischen Parteien und den Ministerpräsidenten der Länder Feuer unterm Hintern.
Seit dieser Unterschriftenaktion und seit den Millionen-Demonstrationen gegen die AfD wird intensiver denn je darüber diskutiert, wie man sich gegen die Kräfte wehren kann und wehren muss, die die Demokratie lahmlegen, aushöhlen und abschaffen wollen. Es wächst das Bewusstsein dafür, dass man nicht einfach die Hände in den Schoß legen und darauf vertrauen dürfe, dass schon irgendwie alles gut gehen wird. Die Demokratie darf nicht mit Schafsgeduld darauf warten, dass Neonazis die Parlamente dirigieren, dass sie die Lehrpläne an den Schulen diktieren, dass sie ihr Personal an die Schaltstellen der Gerichte und der Verwaltung schicken – und dann beginnen, die Vertreibung migrantischer Menschen aus Deutschland zu organisieren, wie sie es (nicht nur) auf der berüchtigten Potsdamer Konferenz schon geplant haben. Das waren und sind nicht einfach nur wirre Fantasien im Gasthaus; das war und ist der geistige Marsch von AfD und Co. zur Feldherrnhalle.
Bisher ist den demokratischen Parteien nur eingefallen, was zur Bekämpfung der Antidemokraten angeblich alles nicht geht: Der Ausgang von Verbotsverfahren am Bundesverfassungsgericht ist angeblich zu unsicher, die Kriterien für diese Verbotsverfahren seien angeblich zu unklar, die Hürden seien angeblich zu hoch. Man dürfe nicht das Risiko eingehen, mit den Anträgen keinen Erfolg zu haben. Und man solle doch den Rechtsextremisten nicht zu noch mehr Aufmerksamkeit verhelfen. Im Übrigen wolle man doch keine Märtyrer schaffen. Das sind Argumente der Kleinmütigkeit, der Ängstlichkeit, der Verzagtheit und der Weinerlichkeit. Demokratisches Selbstbewusstsein zeigt sich darin nicht. Es soll selbstbewusst klingen, wenn Scholz, Merz und Co. sagen, man setze auf die demokratische Auseinandersetzung, man müsse deshalb nicht zu den verfassungsrechtlichen Mitteln greifen. Das sind leere Floskeln. Es geht darum, das eine zu tun und das andere nicht zu lassen.
Mehr Courage!
Es wird immer abwiegelnd behauptet, es seien doch in jüngerer Zeit zwei Verbotsverfahren (die gegen die NPD) gescheitert; die Hürden seien also schier unüberwindlich. Das stimmt nicht. Das erste NPD-Verbotsverfahren ist schlicht daran gescheitert, dass es zu viele staatliche V-Leute in der Partei gab. Das zweite hat immerhin dazu geführt, dass das Verfassungsgericht die Verfassungsfeindlichkeit der NPD glasklar festgestellt und begründet, und sie dann nur deswegen nicht verboten hat, weil sie zu unbedeutend war. Das heißt: Die Kriterien der Verfassungsfeindlichkeit sind sehr klar – das hat sich soeben im Karlsruher Urteil über den Ausschluss der NPD aus jeglicher staatlicher Finanzierung gezeigt. Die AfD muss sich an diesen Kriterien messen lassen. Das Urteil ist ein Leiturteil. Scholz, Merz und Co. wollen sich aber nicht leiten lassen. Die demokratischen Parteien verstecken sich, so hat der Kollege Wolfgang Janisch in der Süddeutschen Zeitung vom 24. Januar richtig geschrieben, „hinter falschen Diagnosen und leeren Floskeln“. Stolz auf die Demokratie sieht anders aus.
Die demokratischen Parteien müssen den Ausgang finden aus ihrem merkwürdigen Fatalismus – und die Angst vor der eigenen Courage ablegen. Mehr Demokratie wagen heißt heute: Die Demokratie vor Höcke und Co. schützen.