In trotziger Beharrlichkeit räumte Maria Otto vor 100 Jahren die massiven Hindernisse beiseite, die Frauen damals den Weg in die Juristerei verbauten. Haben Frauen die Rechtsprechung verändert? Oder sollte man das gar nicht fragen?
Von Heribert Prantl
Sie hat deutsche Geschichte, sie hat Emanzipationsgeschichte geschrieben. Ihr Name ist Maria Otto. Sie war die erste Frau, die in Deutschland als Rechtsanwältin zugelassen wurde. Das war im Jahr 1922. Die junge Frau aus Weiden in der Oberpfalz, aus gutbürgerlichem Fabrikantenhaus stammend, war dreißig Jahre alt damals. Sie hatte in trotziger Beharrlichkeit die massiven Hindernisse beiseitegeräumt, die ihr und allen anderen Frauen damals den Weg in die Juristerei verbauten.
Maria Otto hatte Glück; der Wandel der politischen Verhältnisse, die Weimarer Verfassung und die erste deutsche Demokratie kamen ihr zu Hilfe; erstmals waren Frauen in den Reichstag eingezogen – die mit dem nötigen Nachdruck das „Gesetz über die Zulassung der Frauen zu den Ämtern und Berufen der Rechtspflege“ erzwangen. Dieses Gesetz ist jetzt hundert Jahre alt; es datiert vom Juli 1922. Es setzte sich über die damals gängigen Vorurteile hinweg, wonach Frauen wegen ihrer Konstitution, ihrer geistigen Unzulänglichkeit, ihrer Psyche und wegen ihrer natürlichen Bestimmung unfähig seien, Recht zu sprechen oder Rechtsbeistand zu geben.
„Befähigung zum Richteramt“
Seitdem können Frauen nicht nur Jura studieren und das Studium mit dem ersten Staatsexamen abschließen, sondern anschließend auch den Vorbereitungsdienst, das Rechtsreferendariat absolvieren und mit dem zweiten Staatsexamen beenden. Sie haben damit die „Befähigung zum Richteramt“, die Voraussetzung ist für alle juristischen Berufe. 1927 trat Maria Johanna Hagemeyer ihr Amt als erste Richterin in Deutschland an – am Amts- und Landgericht Bonn.
Ein Jahrhundert später ist die Gleichberechtigung bei den Richterinnen und Richtern weit gekommen – in Berlin beispielsweise ist die Hälfte der Richterämter mit Frauen besetzt. 1327 Richterinnen und Richter gibt es derzeit (Stand März 2022) in der Hauptstadt, 55 Prozent von ihnen sind Frauen. Dazu kommen 121 Richterinnen auf Probe und sechzig Richter auf Probe. „Auf Probe“ heißen Richterinnen und Richter, bevor sie auf Lebenszeit ernannt werden. Die Frauenquote bei den Neueinstellungen in Berlin bewegte sich seit 2017 zwischen 58 und 73 Prozent. Unter den letzten fünfzig Ernennungen auf Lebenszeit waren 37 Frauen und 13 Männer.
Auch auf Bundesebene nähert sich die Frauenquote bei den Richterämtern den fünfzig Prozent. Den Anteil an den Arbeitsvolumen geben die Zahlen aber nicht unbedingt wieder, da erheblich mehr Frauen als Männer in Teilzeit arbeiten. In der Rechtsanwaltschaft, im Markt der freien juristischen Berufe, liegt der Frauenanteil ohnehin bedeutend niedriger.
Verändern Frauen die dritte Gewalt?
Wie wirkt sich eine Feminisierung der juristischen Berufe aus? Richten Richterinnen richtiger? Verändern Frauen die dritte Gewalt, verändern sie die juristische Berufspraxis? Folgen Frauen eher einer Fürsorgemoral, wie die amerikanische Entwicklungspsychologin Carol Gilligan in den Achtzigerjahren meinte, Männer aber eher einer abstrakten Gerechtigkeitsmoral – oder sind solche Zuschreibungen von den traditionellen Geschlechterrollen bestimmt? Jutta Limbach, damals Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, hat solche Fragen bereits auf dem Richtertag 1995 in Mainz in den Raum gestellt: Kommt ein weibliches Element in Gestalt von Empathie und Nachsicht zum Tragen? Oder ziehen das juristische Studium und die Justiz vorzugsweise solche Frauen an, die den Männern ähnlich autoritär strukturiert sind?
Renate Jaeger, auch sie Richterin am Bundesverfassungsgericht, antwortete skeptisch auf solche Fragestellungen: Eine veränderte Justiz, so meinte sie, würden wir daran erkennen, dass wir aufhörten, uns über den Frauenanteil zu vergewissern und über den Frauenanteil zu spekulieren. Wann wird sich die Justiz verändert haben? Jaeger gab eine weise Antwort: Wenn Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen gemeinsam mit Richtern und Richterinnen für eine menschliche Justiz sorgen!
Maria Otto, die erste deutsche Rechtsanwältin, zugelassen zu den Landgerichten München I und München II sowie am Oberlandesgericht München, war fünfzig Jahre lang Spezialistin auf dem Gebiet des Familienrechts. Sie wird als zurückhaltend, aber unerschrocken geschildert, als höflich und bestimmt; als eine, die sich selbst nicht in den Vordergrund spielte, aber mit präziser juristischer Argumentation glänzte; bis zu ihrem Tod im Jahr 1977 betrieb sie ihre Münchner Kanzlei, die ihren Sitz sinnigerweise in der Ottostraße hatte. Sie war eine sehr beharrliche Kämpferin für Recht und Gerechtigkeit – im „Deutschen Juristinnen-Verein“, der Vorläuferin des Deutschen Juristinnen-Bundes, und in der Münchner Rechtsschutzstelle für Frauen.
Befreiung von ungerechten Zwängen
Das zeichnet viele Frauen aus, die Pionierarbeit auf dem Weg der Gleichberechtigung geleistet haben und sich das Recht dafür als Instrument wählten: Elisabeth Selbert zum Beispiel, auch sie eine der ersten Rechtsanwältinnen in Deutschland, der wir den Artikel 3 des Grundgesetzes („Männer und Frauen sind gleichberechtigt“) verdanken. Oder Erna Scheffler, die erste Frau, die auf der Richterbank des Bundesverfassungsgerichts Platz nehmen konnte; sie trug Sorge dafür, dass dieser Gleichberechtigungsartikel Stück für Stück auch in praktisches und angewandtes Recht umgemünzt wurde. Diese Juristinnen haben Emanzipation umfassend begriffen, als Befreiung von ungerechten Zwängen.
Den Namen von Maria Otto trägt ein Preis, den der Deutsche Anwaltverein seit 2010 verleiht. Im Jahr 2022 hat ihn Margarete Gräfin von Galen erhalten, Fachanwältin für Strafrecht. Sie streitet gegen die soziale Stigmatisierung von Prostituierten.