Die innere Sicherheit hat dem Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele viel zu verdanken. Die Geheimdienste sollten am kommenden Dienstag eine Lobrede auf den Verstorbenen halten.

Von Heribert Prantl

Vertrauen ist die Währung der Demokratie: Es gibt Gesetze, die sehr viel Vertrauen genießen; das Grundgesetz und seine Grundrechte vor allem. Es gibt rechtsstaatliche Institutionen, die viel Vertrauen genießen; das Bundesverfassungsgericht vor allem. Und es gibt staatliche Institutionen, die wenig Vertrauen genießen; die Geheimdienste vor allem, also der Bundesnachrichtendienst und der Verfassungsschutz. An der Verfassung kann es nicht liegen.

Am kommenden Dienstag unternehmen die Sicherheitsbehörden eine gemeinsame vertrauensbildende Maßnahme: Der Präsident des Bundsamts für Verfassungsschutz, der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, der Präsident des Bundeskriminalamts und der Präsident der Bundespolizei laden zum fünften Mal zum gemeinsamen Herbstempfang in das Berliner Schloss Charlottenburg – nach einer Corona-Pause in den Jahren 2020 und 2021.

Am Beginn der Veranstaltung könnte, sollte und müsste ein Gedenken stehen: Ein Gedenken für den vor wenigen Tagen im Alter von 83 Jahren verstorbenen Hans-Christian Ströbele. Der Politiker der Grünen war ein unermüdlicher Mahner für Bürgerrechte, ein widerborstiger Demokrat, ein kundiger Kritiker der Geheimdienste und der Sicherheitsbehörden. Er war das dienstälteste Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Warum sollen die Sicherheitsbehörden ihren Kritiker loben? Weil Hans-Christian Ströbele kein furchtbarer, sondern ein fruchtbarer Kritiker war. Weil er als Parlamentarier und Geheimdienstkontrolleur mit einer gesunden Skepsis versucht hat, Telefonüberwachung, Rasterfahndung, Vorratsdatenspeicherung, Lauschangriff und Computerdurchsuchung demokratisch zu domestizieren. Das hat den Sicherheitsbehörden nicht geschadet; es hat ihnen gutgetan.

Er hat die Geheimdienste ein Stück transparenter gemacht

Ströbele hat als Bundestagsabgeordneter zwei Jahrzehnte lang daran gearbeitet, dass die Kontrolle der Geheimdienste besser wurde. Er hat die Arbeit der Sicherheitsbehörden, der Geheimdienste zumal, mit souveräner Akribie begleitet. Er hat sich so um die innere Sicherheit verdient gemacht. Mit seiner Kritik und mit dem, was er damit erreicht hat, hat er Vertrauen gesät – auch in die Arbeit des von ihm kritisch verfolgten Apparats. Nein, er hat die von Berufsverboten und sonstigen Exzessen Betroffenen nicht mit dem Sicherheitsapparat versöhnt, aber er hat ihnen gezeigt, dass dieser Apparat demokratisch reformierbar ist. Das waren vertrauensbildende Maßnahmen im Fortsetzungszusammenhang. Ströbele hat die kritische Linke und den Rechtsstaat näher zusammengebracht. Und: Er hat dazu beigetragen, die Geheimdienste zu entnebeln. Dafür dürfen sie ihm dankbar sein.

Geheimdienste arbeiten geheim, deshalb heißen sie so. Das verträgt sich nicht gut mit der Demokratie, weil die nun einmal von Transparenz, von Öffentlichkeit und der Kontrolle der Staatsgewalten lebt. Wäre die Welt so friedlich, wie man sie sich wünscht, bräuchte Deutschland keinen Auslandsgeheimdienst; einen Inlandsgeheimdienst erst recht nicht. Aber so friedlich ist sie nun einmal nicht: Es gibt Gefahren, die ein demokratischer Staat kennen und auf die er möglichst klug reagieren muss. Gefahren rechtzeitig erkennen? Auf sie klug reagieren? Das gelingt, wie die Geschichte der Bundesrepublik und eine ganz lange Reihe von Geheimdienstskandalen zeigt, nicht besonders gut. Viel zu oft war es so, dass man die Verfassung und die Demokratie vor denen schützen muss, die sie eigentlich schützen sollen.

Geheimdienste und Demokratie sind im Prinzip ein Widerspruch in sich. In diesem Widerspruch hat Hans-Christian Ströbele gearbeitet. Weil sich eine Demokratie die Welt nicht schöner malen kann und soll und darf als sie ist, muss der Widerspruch, so gut es geht, reduziert werden. Deshalb gibt es die Geheimdienstkontrollgremien des Parlaments. Sie sind die verschwiegenen Makler zwischen den Geheimhaltungs- und den Öffentlichkeitsinteressen, sie sollen den Geheimdienst demokratieverträglich machen. Das funktioniert aber nur, wenn diese Gremien die notwendigen Informationen erhalten. Das funktioniert nicht, wenn die Geheimdienstkontrolleure erst aus der Zeitung erfahren, was sie längst hätten wissen müssen.

So war es, als Hans-Christian Ströbele 2002 Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums wurde. Ströbele hat es immer wieder beklagt und zu verändern versucht. Seine wirklich unermüdliche Arbeit hat dazu beigetragen, dass das Bundesverfassungsgericht im Mai 2020 in einem spektakulären Urteil ein neues Gesetz zur effektiven Kontrolle des Bundesnachrichtendienstes forderte – Jahre nach den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden über die globale digitale Inquisition, an der auch der Bundesnachrichtendienst beteiligt war. Das geforderte Gesetz ist in Kraft.

Der investigative Parlamentarier

Als seine politische Karriere begann, war Ströbele nicht nur den Sicherheitsbehörden, er war sogar der SPD suspekt. 1975, damals war er Kreisdelegierter der Sozialdemokraten, wurde er aus der SPD ausgeschlossen, weil er als Rechtsanwalt seine RAF-Mandanten als „Genossen“ tituliert hatte. Er wurde dann Bundestagsabgeordneter der Grünen (von 1985 bis 1987 sowie von 1998 bis 2017). Und es zeigte sich: Es gibt nicht nur investigativen Journalismus, es gibt auch investigativen Parlamentarismus. Hans-Christian Ströbele gehörte zur Elite der investigativen Parlamentarier.

Er war ein arbeitsbesessenes Mitglied von Untersuchungsausschüssen des Bundestags, zumal des Untersuchungsausschusses, der prüfen sollte, ob und wie der deutsche Auslandsnachrichtendienst nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 an US-Verschleppungsaktionen und sonstigen extralegalen Maßnahmen beteiligt war. Es quälte Ströbele, dass mit deutschen Daten Tötungen per Drohne ermöglicht wurden. Er wollte nicht zusehen bei einer unseligen Entwicklung, die extralegale Tötungen von moralischen und juristischen Skrupeln befreit – die also die Ermordung echter oder angeblicher Terroristen für irgendwie statthaft hält. Das war für ihn ein Thema, um das es im Parlamentarischen Kontrollgremium gehen muss: Darf Deutschland sich daran beteiligen, dass für Terrorverdächtige das Recht abgeschafft wird?

Seit dem 1. Januar 2022 gibt es eine neue oberste Bundesbehörde, die die Rechtmäßigkeit der Anordnung von strategischen Aufklärungsmaßnahmen und der gezielten Datenerhebung prüft – und zwar, bevor sie beginnt! Es ist dies der Unabhängige Kontrollrat, der sich in ein gerichtsähnliches und in ein administratives Kontrollorgan gliedert. Das ist nicht einfach nur irgendeine neue Behörde; es ist ein David, der den Goliath kontrolliert. Die Kontrolle der Geheimdienste hat damit, vom Bundesverfassungsgericht erzwungen, eine neue Qualität. Es muss sich zeigen, wie gut sie in der Praxis ist. Das zeigt sich nicht auf Herbstempfängen im Schloss Charlottenburg, das zeigt sich in einer möglichst skandalfreien Zukunft. Die Wegweiser dahin sind aufgestellt.

Hans-Christian Ströbele braucht gute Nachfolger, die die Sicherheitsbehörden auf diesem Weg begleiten. Ströbeles Nachfolger werden dafür sorgen müssen, dass die diversen Kontrollstellen und Kontrollbehörden, die es jetzt gibt, effizient und koordiniert zusammenarbeiten. Der Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung kritisiert zu Recht eine „Vielgliedrigkeit der Kontrolllandschaft über die Nachrichtendienste“. Kontrolle schafft Vertrauen. Vertrauen ist die Währung der Demokratie.

 


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