Der bisherige Verfassungsschutzpräsident hat eingerissen, was er bestens aufgebaut hatte. Seine Bundestagskandidatur für die CDU schadet der Bekämpfung des Rechtsextremismus.
Von Heribert Prant
Es gibt eine derbe Redewendung über einen, der sein eigenes Werk aus Unbedacht wieder kaputt macht. Man sagt dann, dass er „mit dem Arsch einreißt“, was er zuvor mit Mühe und Sorgfalt aufgebaut hat. Einem pensionierten, einst sehr hochrangigen Verfassungsschützer ist dieser deftige Satz entfahren, als ich ihn zu Thomas Haldenwang befragte, den bisherigen Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz. Der pensionierte Herr sagte allerdings, weil er Haldenwang eigentlich sehr schätzt, nicht „Arsch“, sondern „Hintern“.
Aber das Unverständnis und der Ärger darüber, was das Gesäß von Haldenwang angerichtet hat, sind groß: Der 64-jährige Präsident Haldenwang hat sich kurz vor seiner Pensionierung, nachdem er mit seiner Behörde sechs Jahre lang die AfD und ihre Rechtsextremismen sorgfältig beobachtet hatte, als CDU-Kandidat für den Wahlkreis Wuppertal bei der Bundestagswahl 2025 aufstellen lassen.
Diese parteipolitischen Ambitionen des bisherigen Verfassungsschutzpräsidenten schaden dem Verfassungsschutzamt, sie schaden dem Neutralitätsgebot der Behörde, sie schaden der Glaubwürdigkeit des Staates, sie schaden der Arbeit gegen den Rechtsextremismus – und sie schaden auch der Wehrhaftigkeit der Demokratie – weil Haldenwang so der AfD billiges Propagandamaterial liefert.
Er reparierte den Ruf des Verfassungsschutzes nach der Ära Maaßen
Haldenwang hat mit seiner Kandidatur eine Art Amtsverrat begangen. Die Rechtsaußenpartei tut sich jetzt leicht, die Beobachtung durch den Verfassungsschutz als einen politischen Konkurrenzschutz zu diskreditieren. Das zweite Gutachten des Verfassungsschutzes, das beweisen sollte, dass die AfD als Ganzes rechtsextremistisch ist, wird jetzt nicht so schnell erscheinen – es wird also in absehbarer Zeit keine Basis für einen Parteiverbotsantrag sein können.
Haldenwang hat bis fast zuletzt gut gearbeitet: Er reparierte in seiner Amtszeit den schlechten Ruf des Verfassungsschutzes. Sein Vorgänger Hans-Georg Maaßen hatte sich als geltungssüchtiger Krawattenkobold mit Rechtsaußen-Neigungen gefallen. Haldenwang kündigte sogleich an, als er sein Präsidentenamt angetreten hatte, mit Nachdruck gegen den Rechtsextremismus vorgehen zu wollen.
Angesichts von braunen Umtrieben in den Polizeien von Sachsen und Hessen sagte er den ebenso schlichten wie richtigen Satz: „Wenn Menschen, die das Gesetz schützen sollen, sich extremistisch äußern, ist das besonders schlimm.“ Haldenwang ließ nie einen Zweifel daran: Staatsdiener, die nicht der Demokratie, nicht dem Rechtsstaat und nicht den Grundrechten dienen, sondern dem Radikalismus und dem Rechtsextremismus – sie sind eine Schande. Und zu Recht nahm Haldenwang alsbald davon Abstand, verfassungsfeindliche Politik als „Rechtspopulismus“ zu verniedlichen.
Die AfD zerlöchert die Menschenwürde: ein Fall für den Verfassungsschutz
Bereits 2020 stufte Haldenwang den sogenannten AfD-„Flügel“ als „erwiesen extremistisches“ Beobachtungsobjekt ein, später auch die AfD-Jugendorganisation Junge Alternative; damit war der Einsatz aller geheimdienstlichen Mittel erlaubt; Haldenwang bezeichnete Björn Höcke und Andreas Kalbitz, die Anführer des „Flügels“, als Rechtsextremisten; und er stufte die ganze AfD hoch zum „Verdachtsfall“ einer rechtsextremistischen Bestrebung.
Dazu hatte Haldenwang nun ein weiteres Gutachten zur Verfassungsfeindlichkeit der AfD fast fertig: Er hatte bis Jahresende entscheiden wollen, ob die AfD weiterhin nur als Verdachtsfall geführt oder, auf der Basis umfangreicher Analysen, in die Rubrik „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ hochgestuft werden soll. Das alles wird jetzt wohl monatelang liegen bleiben. Zur Neubewertung der AfD durch den Verfassungsschutz wird es jetzt – wenn überhaupt – erst nach Neuwahl und Regierungsbildung kommen.
Gewiss: Eine Kandidatur als Bundestagsabgeordneter und der Einzug in ein Parlament sind nichts Ehrenrühriges. Aber: Mit seiner Bundestagskandidatur bemakelt Haldenwang nun seine bisherige verfassungsschützerische Arbeit, er liefert der AfD das billige und falsche Argument, er habe bei seiner Beobachtung und Warnung vor der AfD im Interesse der mit der AfD konkurrierenden Parteien, der CDU zumal, gehandelt. Der Verfassungsschutz, so fabulieren Alice Weidel, Tino Chrupalla und Björn Höcke seit Jahren, sei ein politisches Machtinstrument des von ihnen so genannten Kartells, um damit der AfD zu schaden. Richtig ist freilich: Die AfD schadet den in den Grundrechten verbrieften Werten, sie zerlöchert die in Artikel 1 verbriefte Unantastbarkeit der Menschenwürde.
Schade, dass es für Spitzenbeamte keine vorgeschriebene Karenzzeit gibt
Haldenwang hat als Verfassungsschutzpräsident von Anfang genau das getan, wozu ihn das Grundgesetz und das Bundesverfassungsschutzgesetz verpflichten: die grundrechtsfeindlichen Bestrebungen der AfD zu beobachten. Haldenwang kommt nun mit seiner Kandidatur in den Ruch der Voreingenommenheit und der Befangenheit; das wird von der AfD eifrig behauptet und in der Öffentlichkeit andauernd wiederholt. Das ist ein Debakel, ein Fiasko, eine Katastrophe. Das tut einem in der Seele weh; das schadet der Wehrhaftigkeit der Demokratie – und das schadet dem verdienten obersten Verfassungsschützer.
Dem Präsidenten Haldenwang, der sechs Jahre lang ein guter Präsident war, rollt nun der CDU-Kandidat Haldenwang vor die Füße. Es ist schade, dass für Spitzenvertreter der Exekutive es nicht eine gesetzlich vorgeschriebene Karenzzeit gibt.
Aus der Sicht von Haldenwang dürfte der von ihm jetzt geplante letzte Schritt seines Berufslebens freilich anders zu beurteilen sein: Weil er ein rechtschaffener Arbeitselefant ist, will er die Kenntnisse und Erfahrungen seines Berufslebens, seine Expertise in Sachen Staatsverwaltung, nun noch dem Parlament zur Verfügung stellen. Das ist eine plausible Lesart und an sich ein feines Vorhaben – es ist nicht gut, wenn die Menschen im Land immer älter werden, sich dies aber im Parlament überhaupt nicht widerspiegelt. Das Parlament kann verwaltungserfahrene Spitzenkräfte wirklich brauchen. Aber es muss ja nicht gleich die Spitze des Bundesamts für Verfassungsschutz sein – noch dazu kurz vor dem Ablauf der regulären Amtszeit. Das ist nicht nur ungut; das ist, wie gesagt, fatal.
Liegt ein Fluch auf dem Verfassungsschutz?
Wer die Geschichte des Bundesamts für Verfassungsschutz studiert, der kommt zu dem Schluss, dass auf diesem Amt kein Segen ruht. Mit Haldenwang schien sich das in den vergangenen sechs Jahren neu und ganz erfreulich zu entwickeln – am Ende aber steht nun das beschriebene Desaster. An dieser Stelle daher ein kurzes Blättern durch eine ungute Chronik. Die Hälfte der Präsidenten ist vorzeitig gegangen oder gegangen worden, wegen Affären und Skandalen.
Wenn man die Geschichte des Verfassungsschutzes liest, könne man schier den Eindruck haben, dass auf dieser Behörde ein Fluch liegt. Das ist natürlich Unsinn, aber ein Ort der Integrität war der Verfassungsschutz selten – schon gar nicht in der Zeit des sogenannten Radikalenerlasses in den Jahren und Jahrzehnten nach 1972, als die Verfassungsschutz-Eiferei gegen Kritische eine ganze Generation auf Distanz zum Staat trieb.
Am liebsten möchte man den Laden zusperren. Aber er ist so nötig wie nie
Der erste Präsident, Otto John, verschwand 1954 aus Westberlin, nachdem er noch an den Gedenkfeiern zum 20. Juli teilgenommen hatte; er tauchte als politischer Flüchtling in Ostberlin wieder auf, hielt dort Vorträge gegen die Adenauer-Politik. Im Dezember kehrte er wieder in den Westen zurück und wurde wegen Landesverrats zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Der dritte Präsident hieß Hubert Schrübbers, wurde auffällig durch Telefonabhör-Affären und das Verschweigen seiner Tätigkeiten in der Nazi-Zeit. Günther Nollau, der vierte Präsident, trat vorzeitig zurück, wohl in Zusammenhang mit dem Fall des Kanzleramtsspions Guillaume, der Kanzler Willy Brandt das Amt kostete.
Richard Meier, der fünfte Chef, wurde nach einem von ihm verschuldeten Verkehrsunfall abgelöst. Ludwig-Holger Pfahls, der siebte Präsident, musste zwar nicht zwangsweise gehen, wurde aber später wegen Korruption zur Fahndung ausgeschrieben und nach fünfjähriger Flucht verhaftet und verurteilt. Heinz Fromm, der zwölfte Präsident, bat wegen Vernichtung von Akten über die rechtsextremistische Mörderbande NSU, geschehen in seinem Amt, um Entlassung. Der 13. Präsident, Hans-Georg Maaßen, hat sich dem Verdacht ausgesetzt, sich bei der AfD anzuwanzen. Wenn man das alles (und noch viel mehr) rekapituliert, möchte man den Laden am liebsten zusperren.
Man würde aber dann das Kind mit dem Bade ausschütten: Demokratie ist viel mehr als ein Abstimmungssystem, sie ist ein Wertesystem. Wenn eine Partei und ihre Politiker diese Werte massiv bekämpfen, dann ist es höchste Zeit für eine demokratische Mobilmachung. Man darf nicht warten, bis Neonazis die Parlamente dirigieren, bis sie die Lehrpläne an den Schulen diktieren, bis sie ihr braunes Personal an die Schaltstellen der Gerichte und der Verwaltung schicken. Wenn so etwas droht, dann muss der Verfassungsschutz warnen, dann muss er Alarm schlagen. Dafür ist er da. Die Lage ist ernst. Sie ist so ernst, dass man einen wirklich gut funktionierenden Verfassungsschutz braucht.