Warum beim Bundesverfassungsgericht ein Antrag auf Auflösung dieser Partei gestellt werden muss: Es geht um präventiven Schutz vor Staatsstreicherei.

Von Heribert Prantl

„Thüringen ist erst der Anfang“: So klang der Triumph der AfD-Spitzenfrau Alice Weidel, nachdem die oppositionelle CDU in Thüringen ein Gesetz mit Hilfe der AfD durchgesetzt hatte. Der Anfang wofür? Für den Griff der AfD nach der Macht. Die thüringische CDU hat soeben Hilfestellung dafür geleistet. Die CDU in Erfurt hat gewusst, dass ihr Gesetzentwurf nur dann Gesetz werden kann, wenn die AfD zustimmt und so diesem Entwurf zur Mehrheit verhilft.

Die CDU hat diese Hilfe billigend in Kauf genommen und damit gezeigt, dass sie die Kooperation nicht scheut, wenn sie ihr nützlich ist. Es war dies nicht Fahrlässigkeit, es war Vorsatz. Es war dies die Nobilitierung einer aktiv verfassungsfeindlichen Partei, es ist dies deren Erhebung in einen reputierlichen Stand; die CDU hat der AfD zu Gesetzeskraft verholfen. Das war, das ist der Einstieg und der Aufstieg der AfD in die Regierungsmacht.

Mario Voigt, der CDU-Fraktionschef in Thüringen, wiegelt ab: Er könne, sagt er, „nicht jede wichtige Entscheidung für den Freistaat … davon abhängig machen, dass die Falschen zustimmen könnten“. Zustimmen könnten? Er hat gewusst, dass „die Falschen“ zustimmen werden, dass also die AfD zustimmen wird; er hat trotzdem nicht den schwierigen Kompromiss mit der Minderheitsregierung von Bodo Ramelow gesucht, sondern die vermeintlich einfache Zustimmung der AfD. Das war töricht, das war falsch; und das ist womöglich der Anfang einer Katastrophe, wenn und weil die CDU glaubt, irgendwie werde sie mit dieser AfD schon fertig. Es wird der CDU ergehen wie dem Zauberlehrling, der die Geister nicht mehr los wird.

Wer kann die braunen Geister noch bändigen?

Und wer ist in diesem Fall der Meister, der die braunen Geister noch bändigen, der die Gefahr beseitigen kann? Den demokratischen Parteien ist es nicht gelungen, die politische Auseinandersetzung mit der AfD erfolgreich zu führen. Es ist ihnen nicht gelungen, die eklatanten Widersprüche und manifesten Unsinnigkeiten in deren Programm deutlich zu machen. Es ist ihnen nicht gelungen, die Anti-Europa-Politik der AfD als Weg ins politische und wirtschaftliche Desaster zu brandmarken. Es ist ihnen nicht gelungen, den neonazistischen Kern dieser Partei bloßzulegen, der immer größer wird. Sie trauen sich bisher auch nicht, beim Bundesverfassungsgericht das Verbot der AfD zu betreiben, weil sie sich davor fürchten, ein Verbotsantrag könne von Wählern als Versuch verstanden werden, einen Konkurrenten loszuwerden. Diese Gefahr besteht.

Solche Zurückhaltung ist im Prinzip richtig: Ein Parteiverbot ist nicht die Fliegenklatsche der Demokratie. Ein Parteiverbot ist nicht einfach ein Instrument gegen eine Partei, die den anderen Parteien lästig und unangenehm ist. Ein Parteiverbot ist Ultima Ratio: Es ist das schärfste Mittel, um die Demokratie und die potenziellen Opfer dieser Partei zu schützen.

Die Mittel, die die wehrhafte Demokratie bereitstellt, müssen genutzt werden

Der Einsatz dieses schärfsten Mittels gegen die AfD ist aber geboten, wenn und weil diese Partei die bestehende Verfassungsordnung durch einen autoritären Nationalstaat ersetzen will. Die Gesetze dieses Staates sollen, so will es die AfD, an einer ethnischen Volksgemeinschaft ausgerichtet sein. Die AfD missachtet damit die Menschenwürde all derer, die dieser ethnischen Volksgemeinschaft nicht angehören. Belege dafür gibt es zuhauf. Die AfD tritt damit, jedenfalls in ihren aggressivsten Landesverbänden, in Thüringen zuvorderst, das Erbe der NPD an.

Das Bundesverfassungsgericht hat diese NPD im Jahr 2017 nur deswegen nicht verboten, weil man sie für zu klein und zu unbedeutend hielt, um eine wirkliche Gefahr darzustellen; ihr fehle, so hieß es, die notwendige Potenzialität. Die AfD hat diese Potenzialität – sie sitzt in allen Landtagen, sie sitzt im Bundestag, sie trachtet danach, Regierungspartei zu werden, sie kündigt die Systemveränderung an, sobald sie an der Macht ist. Mit „System“ meint die AfD die demokratische und rechtsstaatliche Grundordnung, wie sie in nun bald 75 Jahren auf dem Fundament des Grundgesetzes gewachsen ist. Die AfD will sie nicht verbessern, sie will sie stürzen. Diese Partei betreibt Staatsstreicherei. Es ist daher nicht nur ein Recht, sondern die Pflicht, beim Bundesverfassungsgericht einen Verbotsantrag zu stellen.

Die demokratischen Parteien und die von ihnen gestellten Regierungen haben eine Garantenstellung für diesen Staat – und sie haben eine Garantenpflicht: Diese Pflicht verlangt den Einsatz der Mittel, die die wehrhafte Demokratie bereitstellt. Wann, wenn nicht jetzt? Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben das Parteiverbot nicht deswegen in die Verfassung geschrieben, um es dort vor sich hin rosten zu lassen, bis es zu spät ist.

Souverän ist, wer die Grundrechte verteidigt

Zumindest die aggressivsten Landesverbände der AfD gehören verboten. Ein solches Teilverbot ist nach dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz möglich. Dort steht in Paragraf 46 Absatz 2, dass die Feststellung der Verfassungswidrigkeit „auf einen rechtlich oder organisatorisch selbständigen Teil einer Partei beschränkt werden kann“. Das wäre zuvorderst die AfD in Thüringen, die vom Neonazi Björn Höcke dirigiert wird.

Das Volk ist einer Demokratie der Souverän. Wenn der Souverän eine rechtsextreme Partei an die Regierung wählt, müsse man das also, so wird immer wieder behauptet, respektieren. Nein, das muss man nicht. Nein, genau das wollten die Mütter und Väter des Grundgesetzes verhindern. Die AfD versucht, das Land in den Ausnahmezustand zu treiben. Souverän ist in einer rechtsstaatlichen Demokratie nicht, wer über den Ausnahmezustand entscheidet oder ihn herbeizureden versucht. In der Demokratie ist souverän, wer die Grundrechte verteidigt. Zur Verteidigung gehört notfalls das Parteiverbot. Angesichts der Machtoptionen der AfD ist dieser Notfall eingetreten. Souverän ist, wer diesen Antrag stellt. Ohne diesen Antrag kann das Bundesverfassungsgericht nicht entscheiden. Die rechtsstaatliche Demokratie braucht diese Entscheidung.

 


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