Dieser Schuldige für das Ende der Ampel ist noch nicht genannt: Es ist das Bundesverfassungsgericht, es ist dessen Entscheidung vom 15. November 2023. Dieses Urteil zur Schuldenbremse hat der Regierung Scholz das Leben unendlich schwer gemacht. Es wird auch eine Regierung Merz belasten.

Von Heribert Prant

Wer ist schuld am Ende am Zusammenbruch der Regierung Scholz? Wer ist verantwortlich für das Ende der Ampel? Wer und was hat diese Koalition kaputtgemacht, die vor drei Jahren so hoffnungsvoll begonnen hatte? Diese Fragen werden seit Tagen hin- und hergedreht. Sie waren und sind das Futter für die Talkshows. Eine wichtige Antwort ist noch nicht gefallen: Die Chronik des Todes dieser Bundesregierung beginnt vor einem Jahr, sie beginnt am 15. November 2023. Sie beginnt an dem Tag, an dem der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts sein Urteil zur sogenannten Schuldenbremse gefällt hat. Die Richterinnen und Richter in Karlsruhe haben die vor 15 Jahren ins Grundgesetz geschriebenen Regeln zur Stabilisierung des Schuldenstands der öffentlichen Hand so kleinkariert ausgelegt, dass das einer Regierung, dass das jeder Regierung den Hals zudrückt.

Wie das Röcheln begann

Mit dem Tag des Urteils begann das Röcheln der Koalition. Das Bundesverfassungsgericht hat der rot-grün-gelben Regierung den politischen Atem, es hat der Regierung die Handlungsfähigkeit genommen. Nach dem Urteil zur Schuldenbremse wechselte das Miteinander der Koalitionsparteien in ein Gegeneinander. Finanzminister Lindner begann unter Hinweis auf das Urteil, schon ausgehandelte Kompromisse der Regierung infrage zu stellen. Mit fast religiöser Inbrunst verweigerte er, der Schuldenbremse wegen, die nötigen Gelder für wichtige und wichtigste Reformen. Natürlich hat das Ende der Koalition auch andere Ursachen, alle drei Koalitionäre haben ihren Teil dazu beigetragen: die Grünen durch schlecht vorbereitete Gesetzgebungsverfahren, man denke an das Heizungsgesetz und die Kindergrundsicherung. Der SPD-Kanzler, der in seinem Bemühen, die Koalition zusammenzuhalten, als einer erschien, der die Probleme wegzulächeln versuchte, die der Wirtschaft und der Bevölkerung unter den Nägeln brennen.

Olaf Scholz hat seinen Finanzminister Christian Lindner entlassen, weil der seine Vorschläge und Vorhaben konterkarierte. Es wäre gut gewesen, wenn Scholz auch die Schuldenbremse hätte entlassen, also ausbauen können; aber die ist seit 15 Jahren im Grundgesetz montiert. Sie war das Kernstück der sogenannten Föderalismusreform II, die der damalige SPD-Fraktionschef Peter Struck und der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) verhandelt hatten. Steinbrück, ein sozialdemokratischer Finanzminister, hat diese Schuldenbremse im Bundestag dann wie folgt begründet: „Wer zukünftig einen handlungsfähigen Staat will, muss die Schulden- und Zinslast reduzieren“. Das war gut gemeint, aber diese Schuldenbremse hat sich, zumal in der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts, zur Zukunftsbremse entwickelt.

Das Allerheiligste der Politik

Vielleicht hat die FDP das damals geahnt und sich im Bundestag 2009 bei der Abstimmung enthalten. Diese distanzierte Haltung hat sich unter dem FDP-Chef und bisherigen Finanzminister Lindner völlig verwandelt: Lindner verteidigt die Schuldenbremse wie das Allerheiligste der Politik. Er tut das in einer Zeit, in der die Politik die Freiheit bräuchte, selbst zu entscheiden, wie viel Geld sie benötigt: für Investitionen in Verkehrswege und Kommunikationswege, für die Sanierung von Straßen, Schienennetz und Brücken; für den Ausbau einer familien- und arbeitsverträglichen Lebensinfrastruktur, für den Ausbau der Kitas und Kindergärten, der Schulen und Altersheime, für die Einstellung von Erzieherinnen und Erziehern, für die Pflege von sehr alten Menschen. Die Schuldenbremse gefährdet heute die innere und die äußere Sicherheit. Sie ist verfassungsgefährliches Verfassungsrecht, sie gefährdet die Verfassung der Menschen in Deutschland.

Es ist daher tragisch, dass die Merz-CDU trotzig daran festhält. Es ist tragisch, dass sie sich da mit der FDP einig ist – einig in der Bremserei. Es ist tragisch, dass man das quasi zum gemeinsamen Band für ein mögliches künftiges Bündnis erklärt. Es ist tragisch, dass das Bundesverfassungsgericht vor einem Jahr der Schuldenbremse die Karlsruher TÜV-Plakette aufgeklebt hat. So wurde die Zukunftsvorsorge reduziert auf Schuldenreduzierung. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hatte 2021 in einem wegweisenden Beschluss der Politik den Weg zum Klimaschutz und zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gewiesen. Der Zweite Senat hat dann 2023 in seinem Schuldenbremse-Urteil die Politik ausgebremst. Der Zweite Senat konterkarierte damit den Ersten Senat. Das war nicht gut. Es hätte eine gemeinsame Entscheidung des gesamten Gerichts im sogenannten Großen Senat herbeigeführt werden müssen.

Enge Gürtel, gebundene Hände

Die Verfassungsartikel, mit denen die Schuldenbremse konstruiert wurde, heißen 91 c, 91 d, 104 b, 109, 109 a, 115 und 143 d. Sie sind lang und weitschweifig, unübersichtlich, verwickelt und detailversessen. Sie lesen sich nicht wie Grundregeln, sondern wie deren Ausführungsbestimmungen. Die frühere FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sprach daher schon seinerzeit bei der Abstimmung im Bundestag von einem „unangemessenen Umgang“ mit der Verfassung; denn die Aufgaben des Gesetzgebers und der Verwaltung würden von den neuen Regelungen schon auf der Verfassungsebene vorweggenommen.

Dies zu beklagen, ist keine Frage bloß der Ästhetik. Der Staatsrechtler und damalige Bundesverfassungsrichter Dieter Grimm hat schon vor 25 Jahren festgestellt, dass die ausschweifenden Grundgesetzänderungen einen Verstoß gegen demokratische Spielregeln darstellen: Wer in das Grundgesetz Dinge schreibt, die eigentlich in einfache Gesetze oder in ihre Durchführungsverordnungen gehören, der macht neuen politischen Mehrheiten das Leben schwer; diese müssen nämlich dann, wenn sie politisch etwas ändern wollen, die Verfassung ändern. Je mehr also durch die Verfassung festgeschrieben wird, umso schmaler ist der Raum für neue Mehrheitsentscheidungen. Die Demontage der Schuldenbremse (oder deren Neueinstellung) wäre daher ein sinnvolles Vorhaben.

Der Kollege Dieter Schnaas hat im August in der Wirtschaftswoche mit den Schuldenbremsern von CDU und FDP abgerechnet, also mit Friedrich Merz, Carsten Linnemann und Christian Lindner: „Statt frischer Ideen nur verstaubte Phrasen: enge Gürtel und gebundene Hände, schwäbische Hausfrauen und badische Verfassungsrichter … Flickschusterei statt Generalsanierung …“

Wie geht es weiter nach dem Ende der Ampel? Wie wird regiert? Mit der Schuldenbremse wird ein gutes Regieren nicht möglich sein. Sie muss gelockert werden, weil sich sonst die immensen Probleme der Sicherheits-, Wirtschafts-, Infrastruktur- und Sozialpolitik nicht lösen lassen.


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