Warum die Instrumente der wehrhaften Demokratie gegen Höcke & Co eingesetzt werden müssen.

Von Heribert Prantl

Sagt Ihnen der Name Jupp Angenfort etwas? Wahrscheinlich nicht. Er war ein deutscher Politiker, er verstarb im Jahr 2010. Am Dienstag kommender Woche wäre er hundert Jahre alt geworden. Der Name Angenfort steht für einen der vergessenen politischen Skandale der frühen Bundesrepublik.

Angenfort stammte aus einer katholischen Eisenbahnerfamilie in Düsseldorf, geriet als 19-Jähriger in sowjetische Kriegsgefangenschaft, schloss sich dort dem Nationalkomitee Freies Deutschland an; das war ein Zusammenschluss von kriegsgefangenen deutschen Soldaten und Offizieren mit kommunistischen deutschen Emigranten, die den Nationalsozialismus bekämpfen und ein anderes Deutschland konzipieren wollten. Aus der Gefangenschaft zurückgekehrt, wurde er 1951 für die KPD als jüngster Abgeordneter in den Landtag von Nordrhein-Westfalen gewählt; er war 27 Jahre alt. Es begann gerade die lange Zeit, in der sich die deutsche Bundesrepublik partout nicht mehr mit der NS-Vergangenheit beschäftigen wollte. An die Stelle solcher Vergangenheitsaufarbeitung trat (der Ost-West-Konflikt wurde ja immer schärfer) der Antikommunismus. Angenfort wurde trotz seiner Immunität als Landtagsabgeordneter der damals noch nicht verbotenen KPD verhaftet; die Bundesanwaltschaft behauptete frecherweise, dass Organe des Bundes auf Gesetze der einzelnen Bundesländer keine Rücksicht zu nehmen brauchten – also auch nicht auf die gesetzliche Immunität des Landtagsabgeordneten. Angenfort wurde des Hochverrats angeklagt und wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens zu einer fünfjährigen Zuchthausstrafe verurteilt.

Es war dies das erste Zuchthausurteil eines bundesdeutschen Gerichts wegen einer politisch motivierten Straftat nach 1945. Ernst Müller-Meiningen junior, der rechtspolitische Kommentator der Süddeutschen Zeitung, schrieb damals, das Urteil sei „für eine politische Überzeugungstäterschaft unverhältnismäßig hart“ und erinnere „schon beinahe an böse Beispiele aus der Ostjustiz der roten Dame Hilde Benjamin“, die durch Schauprozesse bekannt geworden war. Als dann das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1956 die KPD verbot, multiplizierte sich der Fall Angenfort: Es begann rückwirkend die rigorose Verfolgung aller KPD-Mandatsträger, die bis dahin in den Parlamenten gesessen hatten. Widerstandskämpfer gegen die Nazi-Diktatur sahen sich nun vor dem Richter wieder, oft war es ein alter Nazi-Richter.

Die braune Dominante

Das ist fürwahr kein Ruhmesblatt in der bundesdeutschen Justizgeschichte; und diese Art von Gesinnungsjustiz möchte man nicht wiederholt sehen. Aber es darf einem schon aufstoßen, mit welch politischer Lässigkeit heute der politische Rechtsextremismus behandelt wird. Angenfort und Co. waren seinerzeit eine ungefährliche Linksaußen-Marginalie im politischen Geschehen der jungen Bundesrepublik, sie wurden aber als hochgefährlich behandelt. Die AfD-Leute um Björn Höcke sind eine hochgefährliche, raumgreifende und zur Macht greifende Dominante im politischen Geschehen der Bundesrepublik von heute – und sie werden behandelt, als ob sie ungefährlich wären. Die Instrumente der wehrhaften Demokratie bleiben im Futteral, um, so heißt es, die Anhänger und Wählerinnen nicht zu irritieren und zu verstören. Ist es besser, wenn die Demokratie verstört und zerstört wird? Ist es besser, wenn demnächst, zum Beispiel in Thüringen, Neonazis an die Macht kommen?

„Einer der besten Witze der Demokratie“

Als am 10. Mai 1933 unter Aufsicht von Joseph Goebbels die Werke zahlreicher deutscher Autoren ins Feuer geworfen wurden, war ein einziger der verbotenen Autoren bei dieser Aktion dabei: Erich Kästner. Er schrieb später aus dieser Erfahrung: „Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat.“ Noch ist heute der Schneeball keine Lawine. Goebbels selbst hat sich im Jahr 1935 darüber lustig gemacht darüber, wie „die alten Esel“ (er meinte die Demokraten im Parlament) die Nazis hatten gewähren und den Schneeball hatten rollen lassen. „Das wird immer einer der besten Witze der Demokratie bleiben, dass sie ihren Todfeinden die Mittel stellte, durch die sie vernichtet wurde.“ Der Schriftsteller Christian Bommarius zitiert das im Nachwort zu seinem soeben erschienenen Buch „Todeswalzer“ über den Sommer 1944.

Ein anderer von den Nazis verbrannter Autor, der Pazifist Ernst Toller, ein seinerzeit gefeierter Sensationsautor der Weimarer Republik, hatte an Goebbels gleich nach der Bücherverbrennung einen offenen Brief geschrieben: „Wir sind nicht schuldlos an unserem Schicksal, wir haben viele Fehler begangen, der größte war unsere Langmut.“ Toller schloss seinen offenen Brief an Goebbels so: „Wir werden, dank der Lehre, die Sie uns gaben, unsere Fehler überwinden. Und das ist Ihr Verdienst.“ Es war zu spät. Ernst Toller hat sich 1939, in seinem Exil in New York, desillusioniert das Leben genommen.

 


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