Die Gemeinde als Heimat: vom schwierigen Alltag der Demokratie. Warum die Bürgermeister in der kommenden Woche beim Bundespräsidenten eingeladen sind.

Von Heribert Prantl

Wenn der Bundespräsident am nächsten Donnerstag im Schloss Bellevue Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus ganz Deutschland empfängt, um sich über die schwierigen Bedingungen „vor Ort“ und „an der Basis der Demokratie“ zu informieren, ist derjenige nicht dabei, von dem die nachfolgende Szene handelt.

Diese Szene ist nämlich schon drei Jahrzehnte her, und der Bürgermeister, von dem sie handelt, lebt nicht mehr. Die Szene stammt also aus den Zeiten, als es noch keine AfD, keine Pegida und keine rechtsradikalen Montagsdemos gab. Die Szene war nicht wirklich gefährlich, sondern nur unappetitlich, respektlos und beleidigend. Aber sie zeigt, dass die Stimmung an der Basis schon in weniger stürmischen Zeiten vor Ort ziemlich geladen sein konnte. Mir steht diese Szene vor Augen, wenn von Politikverachtung die Rede ist.

Die Szene spielt in einer Fußgängerzone, es war ein Wahlkampftag, der Bürgermeister, ein etwas ungelenker, aber fachlich hochversierter Verwaltungsjurist, stand am Tapetentisch seiner Partei und suchte Werbezettel verteilend das Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern. Der Mann, der dann zu ihm kam, suchte etwas anderes. Er hatte seinen Hund dabei und hob ihn hoch. Es sah aus, als handele es sich um einen Versuch, die Tierliebe des Bürgermeisters zu testen. Aber auf einmal drehte der Mann seinen Hund um, stieß dem Bürgermeister den Hundearsch ins Gesicht und schrie, dass nicht einmal der Hund diesen Bürgermeister ausstehen könne.

Hass, Hetze, Hakenkreuze

Verglichen mit dem, was heute Bürgermeistern und Lokalpolitikern widerfährt, war das eher harmlos. Es gibt Mandatsträger, die zurücktreten, weil sie Hass und Hetze nicht mehr aushalten: Ihr Privatauto wurde mit Hakenkreuzen beschmiert, in ihrem Briefkasten fanden sie Zettel mit der Aufschrift „Wir vergasen dich“. Gezielte und systematische Beleidigungen und Bedrohungen sind nicht krasse Ausnahmen, sondern gehören oft zur Tagesordnung. Zwei Drittel der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sagen in Umfragen, dass sie dergleichen erleben. Eine Erweiterung des Paragrafen 188 Strafgesetzbuch im Jahr 2020, mit der Personen des öffentlichen Lebens vor Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung geschützt werden, hat daran nichts geändert.

Das Internet ist da eine braune Kloake. Dort hat sich schon der rassistische Mörder von Walter Lübcke, des Regierungspräsidenten von Kassel, ausgetobt, bevor der neonazistische Verbrecher den Politiker dann im Jahr 2019 wegen dessen Flüchtlingspolitik heimtückisch erschossen hat. Lübcke hatte in Versammlungen von „Nächstenliebe“ geredet und von der „Würde des Menschen“ und sich so den Hass des Täters zugezogen. Diese Würde des Menschen wird in Artikel 1 des Grundgesetzes geschützt und sie meint nicht nur die Würde des deutschen Menschen. Es gibt ein Netzwerk der psychischen Beihilfe zu rassistischen Verbrechen, das sich im Internet rekrutiert und fortpflanzt.

Die braune Strategie

Es gehört zur Strategie von Rechtsextremisten, durch Anfeindungen, Hassmails und mit provozierenden Attacken Angst und Schrecken zu verbreiten. Es gibt einige Bürgermeister und Mandatsträger, die deswegen zurückgetreten sind; sie wollen sich und ihre Familien („Wir wissen, wo Du wohnst!“) nicht mehr den Anfeindungen und Gefahren aussetzen. Es gibt andere, die einen Waffenschein beantragt haben, um sich zu schützen. Und es gibt welche, die sagen: „Jetzt erst recht.“ Der Bundespräsident wird sie mit und bei seiner Einladung in seinen Amtssitz im Schloss Bellevue stärken wollen: jetzt erst recht!

Am 9. Juni finden neben der Europawahl auch Kommunalwahlen in acht Bundesländern statt. In Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und in Baden-Württemberg sind die Bürger aufgerufen, neue Kommunalparlamente zu wählen. In Thüringen wird bereits am 26. Mai gewählt. Es geht dabei auch darum, den weiteren Aufstieg von Parteien zu stoppen, die die Rüpelei, die Pöbelei und die Verachtung zum Prinzip ihrer Politik erhoben haben – nicht nur die Verachtung des Anstands, sondern auch des politischen Gegners, der rechtsstaatlichen Regeln und der Grundrechte. Wenn die Kommunalpolitik, wenn die kommunale Selbstverwaltung das Fundament der Demokratie ist (und das ist so) – dann besteht die Gefahr, dass ansonsten dieses Fundament erodiert.

Die Gemeinde als Heimat

In einer globalisierten Welt sind nicht in erster Linie das Land, nicht der Bund, auch nicht Europa die Heimat für die Menschen. In erster Linie sind die Städte und Gemeinden diese Heimat. Dort, in den Kommunen, vollzieht sich der Alltag der Demokratie. Dort sollen die Bürgerinnen und Bürger erleben können, dass Demokratie nicht nur eine Abstimmungsprozedur ist, sondern eine Wertegemeinschaft – eine Gemeinschaft, die ihre Zukunft miteinander gestaltet. Zukunft! Miteinander! Gestalten! Das ist Demokratie. Demokratie ist das ständige Nachdenken darüber, wie das am besten geht, was die Gesellschaft zusammenhält und wie man diesen Zusammenhalt herstellt. Man muss diese Demokratie lernen, immer und immer wieder. Die Städte und Gemeinden sind die Schulen der Demokratie. Sie müssen die Mittel und die Möglichkeiten haben, Lernorte zu sein.

Was sind die Lernziele? In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Wie wäre es mit einer Gesellschaft, in der sich die Menschen trotz Unterschieden in Schicksal, Rang, Talenten und Geldbeutel ebenbürtig begegnen können? Wie wäre es mit einer Politik, die sich darum sorgt, dass eine Gemeinde Heimat ist, bleibt und wird für die Menschen, die in ihr leben? Deshalb ist Kommunalpolitik die Basispolitik der Demokratie.


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