Warum das Abtreibungsrecht noch einmal gründlich reformiert werden muss – und welche Prinzipien dabei gelten müssen.

Von Heribert Prantl

Der Film hieß „Abgetrieben – ein Kriminalfall aus der Provinz“. Norbert Kückelmann war Autor, Regisseur und Produzent. Er hat in diesem Film den Strafprozess gegen den Memminger Frauenarzt Horst Theissen rekonstruiert: Illegale Schwangerschaftsabbrüche in 156 Fällen warf ihm die Anklage vor, 75 Frauen wurden vor dem Landgericht vernommen; sie mussten unter anderem über Regelblutung und Geschlechtsverkehr, über Details aus ihrem Familienleben und die Zahl ihrer Liebhaber Auskunft geben – weil das Gericht wissen wollte, welche „Notlage“ die Frauen zur Abtreibung gebracht habe. Im Mai 1989 erging das Urteil: Zweieinhalb Jahre Haft und drei Jahre Berufsverbot für den Angeklagten. Es wurde später, auf Rechtsmittel hin, gemildert.

Ein inquisitorisches Gemetzel

Kückelmann, von Hauptberuf Rechtsanwalt, hat den Film darüber mit großer Sachkunde, mit Sensibilität und Leidenschaft gedreht. Wer heute, dreißig Jahre später, über eine geplante neuerliche Reform des Paragrafen 218 streitet, sollte diesen Film gesehen haben. Gewiss: Die Rechtslage, auf der das Urteil basiert, existiert nicht mehr. Die sogenannte Indikationenregelung von damals ist, nach langen und heftigen Auseinandersetzungen, von einer Fristenlösung mit Beratungspflicht abgelöst worden; insofern zeigt der Film Rechtsgeschichte. Aber er lehrt immer noch, wohin die Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs führt: „Wer diesen Film gesehen hat, will die Wände hochgehen, sich die Haare raufen und laut schreien, wie konnte so etwas geschehen?“ Das schrieb seinerzeit die Zeit über Kückelmanns Film. Die Gerichtsverhandlung, das zeigt der Film, war ein inquisitorisches Gemetzel.

Der Schwangerschaftsabbruch soll, es ist dies ein Projekt der Ampelkoalition, neu geregelt werden. Zweimal schon wurde eine Reform vom Bundesverfassungsgericht gebremst: Es verlangte, dass die Abtreibung weiterhin als rechtswidrig qualifiziert werden muss – selbst dann, wenn sie straflos bleibt, weil sie innerhalb einer bestimmten Frist und nach Beratung durchgeführt wird. So ist es dann geschehen. Das ist daher geltende Rechtslage: Der Lebensschutz soll nach wie vor vorrangig dadurch erreicht werden, dass mit rigiden Mitteln auf das Verhalten der Schwangeren eingewirkt wird. Es geht um soziale Disziplinierung, auch um Bevormundung. Der Deutsche Juristinnenbund klagt über „Stigmatisierung statt effektivem Lebensschutz“. Die Juristinnen beschreiben den Ist-Zustand so: „Es hat sich gezeigt, dass die seit knapp dreißig Jahren geltende Regelung den Zugang zu straffreien Abbrüchen in der Praxis nur unzureichend absichert. Die Versorgungslage in Deutschland ist defizitär. Die Zahl der Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, hat sich zwischen 2003 und 2021 fast halbiert. Gerade in ländlichen Regionen gibt es vielerorts gar keine Einrichtungen mehr, so dass ungewollt schwangere Personen lange Anreisewege auf sich nehmen müssen.“

Nun sollen die Paragrafen 218 ff im Strafgesetzbuch von neuem reformiert werden, vielleicht auch ganz abgeschafft oder jedenfalls aus dem Strafgesetzbuch verbannt werden, weil die Androhung von Strafe für die Frau keinen effektiven Schutz für das werdende Leben darstellt. Die Strafandrohungen für Frauen werden daher womöglich ganz gestrichen, die Sanktionen gegen Ärzte, die sich nicht an die gesetzlichen Regeln halten, womöglich im Nebenstrafrecht geregelt werden – etwa im Schwangerschaftskonfliktgesetz. Das Abtreibungsrecht soll reformiert werden, weil das Motto „Hilfe statt Strafe“ kein bloßes Motto bleiben, sondern gute Praxis werden soll. Die Abschaffung des Strafparagrafen 219 a im Jahr 2022, der die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche verbot, auch die bloße Information darüber, war ein erster Schritt. Es soll, so jedenfalls die ersten Vorschläge für die weiteren Reformen, bei einer Fristenregelung bleiben, die womöglich zeitlich ausgeweitet wird. Aus der bisherigen Pflicht zur Beratung, deren Einhaltung durch einen Beratungsschein nachgewiesen werden muss, soll ein umfassendes Beratungsrecht werden.

Es wird heftige Diskussionen geben. Die einen werden so reden, als müsse an die Stelle des Strafrechts ein Rechtsanspruch auf Abtreibung treten. Die anderen werden Strafrecht und die Strafandrohung verteidigen, als sei die Strafe die Wiege des Lebens. Der Papst und die katholische Kirche sprechen bei Abtreibung von Mord. Die evangelische Kirche ist, jedenfalls in Deutschland, weniger fundamentalistisch. Sie setzt auf Hilfe für die Frauen, ohne bevormundenden Druck. Ich bin der Meinung, dass strafrechtliche Drohungen wenig bringen, aber viel schaden. Die Kriminalisierung der Frauen in Notlagen war und ist ein Paragraf gewordener Riesenirrtum, weil er so tut, als wäre die Bestrafung der Frau schon eine Hilfe für das ungeborene Leben.

Eine Nebenrolle

Hanns Zischler spielte seinerzeit im Film den angeklagten Frauenarzt, Edgar Selge seinen Verteidiger, Aslahan Özay war eine der Zeuginnen. Ich selbst habe in dem Film eine winzige Nebenrolle, zu der ich kam, weil der dafür vorgesehene große Kollege Herbert Riehl-Heyse, der mit dem Regisseur Kückelmann befreundet war, kurzfristig ausgefallen war: Auf dem Weg in Kückelmanns Kanzlei, in der gedreht werden sollte, war er im frisch umgebauten SZ-Konferenzsaal gegen eine Glastür gelaufen, hatte sich verletzt und mich gebeten, auf die Schnelle seinen Part zu übernehmen, mir zu dem Zweck seinen Sprechzettel in die Hand gedrückt. Mit Kückelmann habe ich dann später lange über den Fall Memmingen geredet und darüber, was ihn zu seinem Film über diesen Fall getrieben hat: Er war für ihn ein Beispiel dafür, wie unterschiedliche Weltanschauungen die Auslegung strittiger juristischer Begriffe überlagern.

Mir ging und geht immer noch nach, dass im Memminger Abtreibungsprozess viele Monate lang ein Richter der Strafkammer bohrende, intime Fragen stellte, der selbst seine Freundin zur Abtreibung gedrängt hatte. Er hätte sich natürlich schon zu Beginn des Verfahrens selbst als befangen ablehnen müssen, hat es aber nicht getan. Die Staatsanwaltschaft hielt damals, als der Spiegel den Skandal aufdeckte, den Mann in ihrer Stellungnahme für unbefangen, sprach in ihrem Verfolgungseifer gar von „Stimmungsmache“ der Verteidigung. Eine Ersatzrichterin trat dann an die Stelle des befangenen Richters. Die scharfen und bösartigen Fragen, die der gestellt hatte, waren aber nicht mehr rückholbar. Hatte er die Aufarbeitung eigener Probleme in den Gerichtsaal verlegt? Hatte er eigene Schuld durch besonders massives Auftreten verdrängt? Der Fall Memmingen ist und bleibt daher auch ein Exempel für ein männergeprägtes Strafrecht.

Von der geplanten Reform erhoffe ich mir viel. Zuallererst eine respektvolle Diskussion, die der Ernsthaftigkeit des Themas entspricht. Ich erhoffe mir eine Aufwertung der Entscheidungskompetenz der Frau. Ich erhoffe mir einen Lebensschutz, der von einem klaren Gedanken ausgeht: Je näher der Embryo dem Baby ist, desto stärker wird seine Rechtsposition. Sein rechtlicher Schutz nimmt mit seiner Entwicklung zu.

 


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