Man soll diese Partei nicht zu einem Opfer machen, heißt es. Ist es besser, wenn die Demokratie zum Opfer dieser Partei wird?

Von Heribert Prant

Die AfD ist eine Partei i. V. – eine Partei in Verwandlung. Sie wird immer größer und zugleich immer radikaler. Sie verwandelt sich seit ihrer Gründung vor zwölf Jahren, nähert sich aber mehr und mehr dem final-gefährlichen, extremistischen Stadium. Die Parteifarbe ist Blau; das finale Stadium ist – braun. Im neuen Bundestag sitzt die AfD als zweitstärkste Fraktion mit 152 Abgeordneten, darunter bekennende Neonazis. Aus einer ursprünglich rechtsbürgerlichen Partei wird eine nationalfaschistische; aus einer Rechtsaußenpartei eine Rechtsdraußenpartei.

Die AfD rückt so dramatisch schnell nach rechts draußen, dass AfD-Radikale von gestern sich heute auf einmal in der Mitte der AfD wiederfinden. Alle bisherigen Vorsitzenden, also Bernd Lucke (2013 bis 2015), Frauke Petry (2015 bis 2017) und Jörg Meuthen (2017 bis 2022), haben die Partei wegen deren Radikalisierung verlassen. Alice Weidel und Tino Chrupalla, die derzeitigen Vorsitzenden, sind die Protagonisten der finalen Radikalisierung.

Befestigung der Brandmauer

Aber: Je größer und je radikaler die Partei wird, umso weniger ist von ihrem Verbot die Rede. Den Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe müssen entweder die Bundesregierung, der Bundestag oder der Bundesrat stellen – alle drei schreckten schon bisher davor zurück. Und nun, nach der Wahl mit dem Triumph dieser rechtsextremen Partei? Ein Verbotsantrag in der ersten Sitzung des neuen Bundestags wäre eigentlich ein Bekenntnis zu den Werten, denen das Parlament nach dem Grundgesetz verpflichtet ist; zudem würde die Unterstützung des Verbotsantrags durch Friedrich Merz die Zweifel an seinem Abgrenzungskurs zur AfD wegräumen.

Es wäre dies die Stabilisierung und Befestigung der Brandmauer. Indes: Seit dem großen Erfolg der AfD bei der Bundestagswahl vom 23. Februar ist auch in der öffentlichen Diskussion das Thema AfD-Verbot so gut wie verschwunden. Man solle diese Partei, so heißt es oft, doch nicht auf diese Weise zu einem Opfer machen. Das ist grundfalsch. Ist es besser, wenn immer mehr Menschen zum Opfer dieser Partei werden, weil dort gegen sie gehetzt wird? Ist es besser, wenn die Demokratie ein Opfer dieser Partei wird?

Gewiss: Ein Verbotsantrag schaltet den Rechtsextremismus nicht aus. Er zeigt aber, dass die wehrhafte Demokratie nicht nur so heißt, sondern eine ist. Natürlich lässt ein vom höchsten Gericht ausgesprochenes Verbot samt Auflösung der AfD den Rechtsextremismus nicht verschwinden; er existiert weiter, er löst sich mit der Partei nicht auf; er verliert vielleicht Mitläufer, die das Verbot erschreckt. Aber er wird dann nicht mehr großzügig vom Steuerzahler finanziert.

„Nie dürft ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken.“

Staatliche Gelder machen den größten Batzen der Einnahmen für die Partei und Fraktion aus, im Jahr 2022 über zehn Millionen Euro. Die Zahl dürfte gegenwärtig noch viel höher sein, weil die Zahlungen mit der Zahl der Wähler steigen: Geld für den Druck von Plakaten und Veranstaltungen, auf denen das „System“ verhöhnt wird, das jene Verhöhnung finanziert. Hinzu kommen steuerliche Begünstigungen, die Diäten von Abgeordneten und Gehälter von Funktionsträgern, die die AfD mit Posten versorgt, sowie weitere Zuschüsse.

Erich Kästner hat 1932 seinen Gedichtband „Gesang zwischen den Stühlen“ mit dem Vierzeiler eröffnet: „Was auch immer geschieht: Nie dürft ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken.“ Ein guter Ratschlag heute. Die Parteienfinanzierung unterstellt den Parteien eine wichtige Rolle für das demokratische Gemeinwesen. Sie darf nicht an ein demagogisches Gemein-Wesen AfD fließen.

Wer mit der Begründung, der Rechtsextremismus verschwinde ja damit nicht, auf ein Parteiverbot verzichtet, der könnte auch auf Strafgerichte verzichten: Auch die Kriminalität löst sich mit den Urteilen, die Kriminelle bestrafen, nicht auf. Gleichwohl sind Strafurteile ein Beitrag gegen die Verrohung und für die Zivilität einer Gesellschaft. Wenn Volksverhetzung Volkssport wird, darf der Staat nicht zuschauen und so tun, als könne man da nichts machen. Ein AfD-Verbotsantrag wäre der sichtbare Ausdruck des rechtsstaatlichen Widerstands gegen völkische Kraftmeierei und rassistische Gewaltneigung.

Wie der Ausnahmezustand herbeigetalkt wird

Der Erfolg der AfD hat auch zu tun mit der Katastrophalisierung der wirtschafts- und innenpolitischen Lage Deutschlands; sie wird seit Monaten in fast jeder Fernseh-Talkshow betrieben. Mit der defätistischen Beschreibung der Situation des Landes wurde ein Ausnahmezustand herbeigetalkt, der den Boden für die systemstürzlerischen Parolen der AfD bereitet hat. Wer darauf hinweist, dass Deutschland noch immer die stärkste Volkswirtschaft Europas ist, der erntet schier ungläubiges und mitleidvolles Staunen. Die Stimmung ist schlechter als die Lage. Sie ist so schlecht, dass die Bereitschaft, radikalen Parolen Glauben zu schenken, groß ist. Die Protagonisten des angeblichen deutschen Desasters tun so, als sei keine Zeit mehr für ein konsensorientiertes Miteinander und für rechts- und sozialstaatliche, demokratische Lösungen.

Es enthüllt sich dabei ein unheilvoller Zug deutscher Mentalität: der Glaube, nur in großer Gefahr, nur im Ausnahmezustand werden angeblich die notwendigen Kräfte zur Not- und Abhilfe geweckt. Die AfD präsentiert sich als die notwendige Kraft. Sie praktiziert das, was schon der NS-Apologet Carl Schmitt gelehrt hat: Er hat den demokratischen Staat als leerlaufende Maschine verächtlich gemacht, er hat die „Feindschaft“ zur Bedingung des Politischen erklärt, er hat gefordert, es war 1927, das „endlose Palaver“ zu beenden und mit „Kraft des wirklichen Lebens die Kruste einer in Wiederholung erstarrten Mechanik“, gemeint die demokratische, zu durchbrechen. So redet heute die AfD.

Die Extremisten von der AfD spalten die Gesellschaft

Es ist immer noch üblich, diese Partei, in der Neonazis immer lauter den Ton angeben, „Populisten“ zu nennen, „Rechtspopulisten“. So eine Wortwahl ist fast ein Ritterschlag – und völlig unangebracht. Das ist eine bürgerliche Sprachmaskierung für eine demagogische und verfassungsfeindliche Politik, die auf Grund- und Menschenrechte pfeift. Gauland, Höcke, Weidel und Krah sind keine Populisten – sie sind Rechtsextremisten.

Die Extremisten von der AfD spalten die Gesellschaft. Sie sagen, sie nähmen die Ängste der Menschen ernst, tun es aber ganz und gar nicht. Sie machen vielmehr diese Ängste ernsthaft gefährlich. Sie beginnen ihr Erniedrigungswerk mit der Abwertung und Verhöhnung aller bisherigen Politik, nennen es verächtlich „das System“. Natürlich: Die rechtsstaatliche Demokratie hat Fehler, die demokratischen Parteien machen Fehler; aber der rassistische Nationalismus der AfD ist ein einziger furchtbarer Fehler, ein Desaster.

Wer, wie dies die Extremisten tun, die Feinderklärung in die Demokratie trägt, wer dem Volk mit den Zugewanderten und den Migranten das „Anti-Volk“ als Feind gegenüberstellt; wer die Verantwortung vor der Geschichte leugnet, wer demonstrativ sitzen bleibt oder den Saal verlässt, wenn der Nazi-Opfer gedacht wird; wer Menschen aus dem Land jagen will, weil sie ihm nicht deutsch genug sind; wer von sich behauptet, er habe das Monopol der authentischen Repräsentation; wer Grundrechte und Grundwerte aushebeln will – der ist ein Feind der Demokratie; auch und gerade, wenn er mit 152 Sitzen im Bundestag vertreten ist


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