Es gibt Bücher, die sind zum Niederknien. Es existieren davon nicht sehr viele. Diese Bücher verlieren auch nicht an Aktualität, wenn sie über 100 Jahre alt sind. Das Buch, das ich Ihnen heute ans Herz lege, gehört dazu. Dieses Buch ist grausam aktuell. Es ist von einer Sprachkraft, die ihresgleichen sucht, es ist von einer intellektuellen Kraft, die einen umhaut. Es ist ein Buch aus den Eingeweiden des Ersten Weltkriegs, das wohl beste Buch, das es über diesen Krieg gibt.

Genau genommen ist es nicht nur ein Buch über den Ersten Weltkrieg, es ist ein Buch über jeden Krieg. Das zeigt exemplarisch dieser Satz: „Krieg ist zuerst die Hoffnung, dass es einem besser gehen wird, dann die Erwartung, dass es dem anderen schlechter gehen möge, dann die Genugtuung, dass es dem anderen nicht besser geht, und zuletzt die Überraschung, dass es allen schlechter geht.“

Der Satz steht im Antikriegsdrama „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus, das zwischen 1916 und 1922 entstanden ist. Wenn man Kraus liest, gehen einem Lichter auf, zum Beispiel beim Dialog zweier Kriegsgewinnler, die beschließen, das gewonnene Geld in Gemälden anzulegen: „Wer in diesem Krieg nicht reich wird“, sagen sie, „der verdient nicht, ihn zu erleben.“

Karl Kraus: Die letzten Tage der Menschheit. Bühnenfassung des Autors. Die jüngste Ausgabe ist aus dem Jahr 2025, herausgegeben von Eckart Früh. Sie ist im Suhrkamp Verlag, Berlin, erschienen, hat 285 Seiten und kostet 12 Euro.