„Dein Vater ist Soldat, der muss jetzt in die Ukraine, der stirbt dort.“ Solche Sätze bekamen die Kinder von deutschen Soldatinnen und Soldaten in der Schule von Mitschülern zu hören, als der Krieg begonnen hatte. Davon erzählte der evangelische Militärbischof Bernhard Felmberg. Die Militärgeistlichen wissen, wie der Krieg auch hierzulande nicht nur die Soldaten, sondern auch ihre Familien durcheinanderrüttelt. Für sie tun die Seelsorgerinnen und Seelsorger ihren Dienst, sie begleiten die Soldaten im In- und Ausland, sie stehen in Krisensituationen zur Verfügung, feiern Gottesdienste, bieten Gespräch, Einkehr und ethische Orientierung an. Die Geistlichen und ihre Arbeit sind unabhängig, nur so geht das.

Das war nicht immer so. Die „Kriegspfarrer“ in der Wehrmacht waren im Zweiten Weltkrieg dazu da, die Schlagkraft der Truppe zu stärken. Um geistige Munition zu haben, waren dem Regime auch die verhassten Pfaffen recht, obwohl Hitler 1941 zum Thema Kirche verächtlich erklärte: „Der Krieg wird ein Ende nehmen. Die letzte Lebensaufgabe unserer Zeit ist dann darin zu sehen, das Kirchenproblem noch zu klären. (…) Die organisierte Lüge muss derart gebrochen werden, dass der Staat absoluter Herr ist. In meiner Jugend stand ich auf dem Standpunkt: Dynamit! Erst später sah ich ein, dass man das nicht über das Knie brechen kann; es muss abfaulen wie ein brandiges Glied.“ Dennoch: Pfarrer stellten sich zur Verfügung. Diese Geistlichen wurden nach einem Lehrgang zunächst Hauptmann, dann Major der Wehrmacht; sie hatten „dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler“ zu schwören, treu und gehorsam zu sein. Wie konnten sie nur, mag man sich fragen.

Dagmar Pöpping, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Forschungsstelle für Kirchliche Zeitgeschichte in München, stellt sich eben diese Frage: Wie war es möglich, dass die Kriegspfarrer das, was heute ein moralischer Skandal ist, als besondere moralische Leistung erlebten? Sie hat in ihrem exzellenten und fesselnden Buch „Passion und Vernichtung. Kriegspfarrer an der Ostfront 1941-1945“ die Teilnahme von evangelischen und katholischen Pfarrern am deutschen Rasse- und Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion untersucht. Die Kirchen waren in einer Position der Schwäche. Die Kirchenaustritte erreichten einen Höhepunkt. Theologische Fakultäten waren geschlossen worden; die Zahl der Theologiestudenten brach ein. Und der NS-Staat traktierte sie mit antichristlichen Aktionen.

Als jedoch der Krieg begann, standen die beiden Konfessionen loyal hinter Vaterland und Wehrmacht. Im Krieg, so war die Illusion mancher, die sich zum Lehrgang als Kriegspfarrer meldeten, könne man unter dem Eindruck von Sterben und Tod die kirchenfernen jungen Männer für die Kirche wiedergewinnen. Und nicht allein dies – der Feldzug schien auch dadurch legitim, dass er den seelenlosen Bolschewismus bekämpfen und dem Christentum im Osten wieder zum Sieg verhelfen würde. „Es ist wunderbar“, schrieb einer in sein Tagebuch, „nicht Stimmung, sondern nüchterne starke Wirklichkeit, rau genug bei dem Donner der Geschütze in der Nähe, die die Orgel ersetzen. Wir machen hier nicht in Illusionen und Anschauungen, glauben und erfahren es aber: ‚Das Himmelreich ist herbeigekommen!‘“ Dagmar Pöpping untersucht anhand solcher Aufzeichnungen, wie es kommen konnte, dass die Kriegspfarrer ihre Teilnahme am Ostfeldzug nicht als Schuld sahen und das Evangelium dazu hergaben, das Sterben zu verklären und das Morden zu entschuldigen.

Heute gehören etwa fünfzig Prozent der Soldatinnen und Soldaten einer der großen Kirchen an, aber auch jüdische und muslimische Gläubige sind in der Truppe. Sie haben nach Soldatengesetz das Recht auf Seelsorge und ungestörte Religionsausübung und dafür gibt es die evangelische und katholische Militärseelsorge, die durch Staatskirchenverträge geregelt ist. Vor kurzen ist die jüdische Militärseelsorge hinzugekommen. Zsolt Balla ist seit 21. Juni 2021 Militärbundesrabbiner. Auch für die Muslime in der Bundeswehr soll ein geistliches Angebot geschaffen werden. Militär-Imame sollen dazu über Gestellungsverträge an die Bundeswehr gebunden werden.

Dagmar Pöpping: Passion und Vernichtung. Kriegspfarrer an der Ostfront 1941-1945. Das Buch ist 2019 bei Vandenhoeck & Ruprecht erschienen. Es hat 249 Seiten mit 20 Abbildungen und kostet 35 Euro.

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