Heilandsack: Das ist ein volkstümlicher und berechtigter Fluch. Er gilt dem katholischen Fundamentalismus beim Schwangerschaftsabbruch.
Jeder kennt das Schild „Sackgasse“. Es ist blau und zeigt einen stilisierten weißen Weg, der oben durch einen roten Querbalken begrenzt ist. Dieses Schild gehört eigentlich nicht zu den kirchlichen Symbolen. Nach dem Urteil des Arbeitsgerichts Hamm, erstritten vom „Christlichen Krankenhaus“ in Lippstadt, wird sich das ändern. Das Urteil zeigt und lehrt: Die Kirche, die katholische Kirche jedenfalls, steckt, wenn es um den Schwangerschaftsabbruch geht, in einer unheiligen Sackgasse; und sie zieht die evangelische Kirche dort mit hinein. Es ist bedenklich, dass dabei ein staatliches Gericht mitmacht.
Die katholische Kirche propagiert in ihren Krankenhäusern, die unter dem Label „unverzichtbar menschlich“ firmieren, einen herzlosen Anti-Abtreibungsfundamentalismus, den sie als Lebensschutz bezeichnet. Von ihm lässt sie auch nicht ab, wenn sich schwangere Frauen in Extremsituationen befinden. Sie zwingt ihren Fundamentalismus der evangelischen Kirche auf, wenn, wie neuerdings immer häufiger, katholische und evangelische Kliniken fusionieren und dann gemeinsam betrieben (und aus Zahlungen von Krankenkassen und Steuermitteln finanziert) werden. Dann wird sozusagen der Papst dort Personalchef, dann wird von den Klinikärzten verlangt, dass sie sich beruflich und privat an die vatikanischen Lehren halten. Der Vatikan betrachtet aber seit 156 Jahren, seit Papst Pius IX., schon die künstliche Schwangerschaftsverhütung und erst recht den Schwangerschaftsabbruch als mörderische Sünde.
Das Arbeitsgericht hat auf der Basis des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen soeben die geänderte Dienstanweisung an den renommierten Chefarzt der Gynäkologie des christlichen Krankenhauses für rechtmäßig erklärt. Sie verbietet ihm Schwangerschaftsabbrüche umfassend und grundsätzlich – und zwar in und außerhalb der Klinik, also auch in seiner fünfzig Kilometer entfernten Privatpraxis. Das ist eine angreifbare Ausweitung des Herrschaftsbereichs der katholischen Kirche, entspricht freilich ihrer Dogmatik und dem katholischen Arbeitsrecht (aber nicht einmal mehr dem ansonsten immer noch eher strengen deutschen Abtreibungsrecht).
Die frauenverachtende Erbarmungslosigkeit der katholischen Kirche
Das christlich-fusionierte Krankenhaus Lippstadt untersagt nämlich den Schwangerschaftsabbruch sogar bei der medizinischen Indikation, also bei schwerster Krankheit des Fötus, bei massiven Gendefekten und Fehlbildungen, wenn also zum Beispiel beim Embryo Teile des Schädels und des Gehirns fehlen. Dreizehn Jahre, solange die Klinik in evangelischer Trägerschaft war, hatte der Chefarzt in solchen Fällen einen Abbruch praktizieren dürfen.
Ein solcher Abbruch aus medizinischen Gründen ist nach staatlichem Recht, nach den geltenden Paragrafen 218 ff. Strafgesetzbuch, umfassend rechtmäßig und nicht einfach nur straflos, aber nach wie vor rechtswidrig, wie bei den sonstigen Schwangerschaftsabbrüchen mit Beratungsschein. Die katholische Kirche ist anderer Ansicht: Leben ist Leben, lautet ihr Argument; auch das schwerst behinderte Leben soll mit einem strikten Abtreibungsverbot geschützt werden. Das katholische Engagement für Leben mit Behinderungen ist richtig und wichtig; die Brachialität aber, mit der Schwangere zu jedwedem Austragen und zu jedwedem Gebären verpflichtet werden, ist unbegreiflich; es ist kaltes Machtgebaren der Frau gegenüber und Verneinung jeglicher Selbstbestimmung. Die befruchtete Eizelle gilt der katholischen Kirche so viel wie ein geborener Mensch. Sie erlaubt eine Abtreibung einzig und allein dann, wenn andernfalls Leib und Leben der Mutter akut bedroht sind.
Eva gilt als erste Sünderin – und Frau muss kontrolliert werden
Sie hat sich daher jeglicher Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs abseits des Strafrechts widersetzt, sie hat jede Reform abgelehnt, die dem Motto „Hilfe statt Strafe“ folgen will; und sie tut dies auch weiterhin. Auf Weisung des Vatikans darf sich die katholische Kirche in Deutschland nicht einmal an der staatlichen Schwangerschaftskonfliktberatung beteiligen, die das Bundesverfassungsgericht 1993 in eine Anordnung mit Gesetzesrang gegossen hat. Daraufhin haben die katholischen Verbände die Konfliktberatung Donum Vitae als Verein gegründet; der stellt Beratungsscheine aus, die nach Paragraf 219 Strafgesetzbuch einen Schwangerschaftsabbruch binnen der festgelegten Frist ermöglichen. Der ebenso fromme wie geniale katholische Rechtsgelehrte und ehemalige Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde, gestorben 2019, hat seinerzeit statt Blumen- und Kranzspenden am Grab um Geldspenden für Donum Vitae gebeten. Der Vatikan hat sich auch davon nicht rühren lassen.
Die frauenverachtende Erbarmungslosigkeit des offiziellen Katholizismus hat viel zu tun mit den männerbündischen Strukturen dieser Kirche: Es urteilen Männer über Frauen und schaffen die Dogmatik dafür. Deren Ausgrenzung der Frau ist nicht nur eine Diskriminierung, sie ist eine Perversion. Bisher ist dort nur der Mann das Ebenbild Christi, Frauen dürfen nicht Priester sein. Warum? Weil Jesus ein Mann war. Das ist eine weitere skurrile Blüte des Biologismus in der Dogmatik. Frauen haben zwar, so heißt es, die gleiche Würde, aber andere Aufgaben: Sie seien zuallererst zur Mutterschaft berufen. Eva gilt als erste Sünderin – und Frau muss kontrolliert werden. Daher wird die Disziplinierung und Stigmatisierung schwangerer Frauen als effektiver Lebensschutz betrachtet; sie werden behandelt, als wären sie nur körperliche Hülle für den Fötus.
Die C-Parteien blockieren eine Reform
Die von Männern und Kirche geprägte jahrhundertelange Verurteilungsgeschichte der Frauen, die abgetrieben haben, ist noch nicht zu Ende. Das Strafgesetzbuch hält bis heute daran fest, dass Schwangerschaftsabbruch fast immer kriminelles Unrecht sei – ein Unrecht, das allerdings unter bestimmten Umständen straffrei bleiben könne. Das heißt: Die prinzipielle Kriminalisierung von Frauen in Notlagen ist nach wie vor geltendes Recht. Das gilt es zu ändern. Aber die C-Parteien, beeinflusst von der katholischen Kirche, blockieren eine Reform.
Von der Sackgasse war eingangs die Rede. Bei einem Sack sind Eingang und Ausgang identisch. Die Kirchen werden miteinander, vielleicht auch gegeneinander, den Ausgang suchen müssen. Dazu braucht es mehr protestantische Streitlust.
Hinweis: Diese Kolumne erschien zuerst am 13.08.2025 in der Süddeutschen Zeitung.