In meiner Bibliothek gibt es eine „Nie wieder“-Ecke. Dort stehen die Bücher zur Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes, dort stehen die großen und kleinen Kommentare zum Staats- und Verfassungsrecht der Bundesrepublik, dort steht das verdienstvolle Buch des Historikers Norbert Frei über „Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit“. Dort steht auch ein kleines Buch von Otto Gritschneder aus dem Jahr 1990, das den Titel trägt: „Bewährungsfrist für den Terroristen Adolf H. Der Hitler-Putsch und die bayerische Justiz.“ Geschrieben hat es der damals 76-jährige Münchner Rechtsanwalt Otto Gritschneder. Vom Umfang her ist es eher ein Büchlein. Aber: Es hat mir damals den Kopf aufgesperrt dafür, wie die bayerische Justiz Hitler den Weg bereitet, wie sie Hitler hofiert und wie sie die Putschisten des Marsches zur Münchner Feldherrnhalle vom 9. November 1923 beweihräuchert hat.

Vor genau hundert Jahren, am 1. April 1924, wurde vom Vorsitzenden Richter Georg Neithardt das Urteil gegen Hitler und Co verkündet, in dem er den „rein vaterländischen Geist und edelsten Willen“ der angeklagten Hochverräter feierte und die Voraussetzung dafür schuf, dass Hitler aus der Haft in der Festung Landsberg alsbald auf Bewährung entlassen wurde. Gritschneder hat in seinem Buch das skandalöse Strafverfahren gegen Hitler und Co seziert, dem Gericht seine Fehler nachgewiesen und aus damals noch unveröffentlichten Quellen zitiert. Im Jahr 2000 war Gritschneder dann zusammen mit Lothar Gruchmann und Reinhard Weber Mitherausgeber eines vierbändigen Werks, in dem der Hitler-Prozess und die einzelnen Verhandlungstage penibel protokolliert werden. Es ist dies die Chronik einer Justizfarce, die sich nicht wiederholen darf.

Gritschneder, er ist 2005 gestorben, war, wie man in Bayern sagt, ein „gwappelter“ Anwalt, also ein Advokat von gewiefter Streitbarkeit. Das haben seine Mandanten, von Franz Josef Strauß bis Rudolf Augstein, zu schätzen gewusst. Er hat nie jemandem nach dem Mund geredet. Noch im hohen Alter hat er als erster die Schattenseiten des ehemaligen Münchner Erzbischofs Faulhaber beschrieben, der mit seiner antidemokratischen Polemik, wenn auch unabsichtlich, Hitler den Weg bereitet habe. Warum er das an das Licht der Öffentlichkeit brachte? „Weil es die Wahrheit ist,“ war seine Antwort. Sein Buch über den Hitler-Prozess ist für knappe zehn Euro antiquarisch zu haben. Es lohnt sich immer noch und wieder, es zu lesen.

Otto Gritschneder, Bewährungsfrist für den Terroristen Adolf H. Der Hitler-Putsch und die bayerische Justiz. Das Buch hat 187 Seiten, es ist 1990 bei C.H. Beck erschienen.

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