Schonungslos beschreibt die Rebellin der Straße die alltägliche Not obdachloser Frauen: Woher bekomme ich ein Frühstück? Wie schütze ich mich vor sexualisierter Gewalt? Wo wasche ich mich? Wo verrichte ich meine Notdurft? Sie schreibt das ganz konkret: Männer können „es“ im Stehen, irgendwo in einer Ecke; Frauen nicht. Die Autorin dieses Lebensberichts war fünf Jahre lang wohnungslos. Sie beschreibt, wie sie zwangsgeräumt und aus ihrer Wohnung vertrieben wurde – und wie es ihr dann erging: Sie war da 43 Jahre alt, psychisch krank, arbeitslos, hatte eine Zeit hinter sich, in der sie nacheinander zwei gewalttätigen Ehemännern ausgeliefert war.

Sie stand auf der Straße, wurde gemieden, lebte ein Jahr lang auf dem Friedhof, auf dem ihre Oma begraben ist, ging ab und zu in Notschlafstellen, magerte ab, verwahrloste. Und eines Tages, als sie gerade loswollte aus der Notschlafstelle, „standen da ein Arzt und mehrere Polizisten … Ich wurde festgehalten, ein Arzt setzte mir eine Spritze, die mich sofort ausknockte. Ich erwachte in der Psychiatrie.“ Diese Freiheitsberaubung erträgt sie kaum, sie hat Suizidgedanken, wird gefesselt und bekommt zu hören: „Sie werden nie mehr ein normales Leben führen.“ Aber sie schafft es, dank einiger Menschen und auch ihres Hundes Clayd, der ihr das gibt, was sie von Menschen kaum noch erwartet. Man versteht, was vielen Obdachlosen ihr Hund bedeutet.

Im Buch wechseln sich autobiografische Passagen ab mit Berichten der heute 61-jährigen Autorin aus ihrer Arbeit mit Obdachlosen. Sie kämpft seit vielen Jahren mit ihrem Verein „Heimatlos in Köln“ als Aktivistin für Menschen auf der Straße. Sie kämpft dagegen, dass die Armen bekämpft werden und nicht die Armut. Seien Sie auf etwas gefasst, wenn Sie dieses Buch lesen – es könnte Ihr Leben ein bisschen verändern: denn auf einmal sehen Sie Menschen, die Sie bisher nicht gesehen haben: die alte Frau mit den kaputten Zähnen, die morgens in der Bäckerei müde neben ihrem Trolley sitzt; die abgerissene Frau im Kirchenstuhl; die warm eingepackte, zusammengesunkene Frau auf einer Bank in der Fußgängerzone, die auch noch nach eineinhalb Stunden dort sitzt …

Linda Rennings (mit Albrecht Kieser): Rebellin der Straße. Weiblich und wohnungslos. Rowohlt Taschenbuch Verlag. Das Buch hat 240 Seiten, es ist im November 2024 erschienen und kostet 14 Euro.