Rita Süssmuth hat der CDU den Feminismus beigebracht, sie hat es jedenfalls versucht. Sie war Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit; sie war eine hochengagierte Präsidentin des Bundestags, sie hat aus diesem Amt eine politische Plattform gemacht. Und sie hat sich nie unterkriegen lassen – nicht von Niederlagen, nicht von Bösartigkeiten, nicht von mächtigen Männern. Sie mag sich auch heute von ihrer Krebs-Erkrankung nicht unterkriegen lassen. Sie zitiert immer noch gern eine Devise von Samuel Beckett: „scheitern, weitermachen, nochmal scheitern, besser scheitern, weitermachen“. Deshalb hat Rita Süssmuth jetzt, mit 87 Jahren, ein feines Buch publiziert mit dem Titel „Über Mut“.
Es ist ihr Leitwort. Das kleine Wort mit den drei Buchstaben ist die Summe ihres Lebens. Mit diesem Mut machte sie einst ihr Ministerium zu einer Emanzipationszentrale, mit diesem Mut propagierte sie eine liberale Abtreibungspolitik, setzte sie in der Anti-Aids-Politik nicht auf Drohungen, sondern auf Aufklärung und Beratung, warb sie für eine moderne Einwanderungspolitik. Mit diesem Mut wirbt sie heute für Paritätsgesetze – die dafür sorgen sollen, dass in den Parlamenten zur Hälfte Frauen und zur Hälfte Männer sitzen; sie will die Unterrepräsentation von Frauen beenden, die sich in Deutschland durch die gesamte Parlamentsgeschichte zieht. Für Süssmuth ist Parität gelebte Demokratie.
Mit diesem Mut hat sie sich soeben, „ein letztes Mal“, wie sie sagt, mit einem Buch zu Wort gemeldet; mit diesem Mut will sie anstecken, auch möglichst viele jüngere Frauen – um dann loslassen zu können: „Wir können unsere Werte retten – aber nur, wenn wir sie verteidigen“. Ihr Buch ist ein Aufruf: Nicht kuschen, nicht wegducken vor Kriegstreibern, Neonazis, Machos und sonstigen Reaktionären. Putin, so schreibt sie, „ist nicht die einzige Katastrophe“. Die 160 Seiten beschreiben keine detaillierte politische Agenda, sie beschreiben die Grundhaltung, mit der man ein konkretes politisches Programm entwickelt. Ihre Grundhaltung zum Krieg in der Ukraine und zu Russland formuliert sie auf Seite 39 so: „So stark wie die Aufrüstung jetzt ist, so stark müsste die Diplomatie eigentlich sein“. Die mutigen Entscheidungen, so klagt sie auf Seite 93 über die Gesundheitspolitik von Karl Lauterbach, bleiben auf der Strecke. Das Hamlet-Syndrom, nämlich die Unfähigkeit zu handeln, greife um sich, Machterhalt „geht offensichtlich vor Wohlergehen“.
Der Schluss des Buches ist anrührend: „Erst das Loslassen rundet das Zupacken ab.“ Und dann philosophiert sie darüber, „was uns in der Stunde unseres Todes erwartet“: Wird alles endgültig vorbei sein? Gibt es das große „Danach“? Und kommt sie zum Schluss: „Wir wissen nicht, was kommt. Aber vielleicht ist es gerade dieses Geheimnis, das unser Leben rundet. Zupacken und Loslassen sind die Pole eines geglückten Lebens. Beides erfordert Mut.“
Rita Süssmuth: Über Mut. Vom Zupacken, Durchhalten und Loslassen. Das Buch ist vor wenigen Wochen im Bonifatius-Verlag erschienen. Es hat 160 Seiten und kostet 18 Euro.