Werte sind auf einen Glauben angewiesen. Nicht unbedingt auf einen konfessionellen Glauben, aber auf einen Glauben an etwas, das bedingungslos und unverfügbar ist. Ohne einen solchen Glauben sind Werte kraftlos. Diese Werte brauchen Pflege, Aufführung, Zelebration und stetige orientierende Diskussion (Siehe meine SZ-Kolumne „Was verloren geht“ vom 10. Juli 2022). Die Gesellschaft braucht Institutionen, die diese Werte leben und lehren. Sie braucht daher auch die Kirchen. Die Missbrauchsskandale wirken da wie ein Brandbeschleuniger, es verbrennt womöglich auch das, was in den Kirchen und an den Kirchen wertvoll, ja unverzichtbar ist.

Von diesem Unverzichtbaren handelt ein kleines Buch des Jenaer Soziologen Hartmut Rosa, es trägt den Titel: „Demokratie braucht Religion“. Das Vorwort hat der ungetaufte Atheist Gregor Gysi geschrieben. Beide sind der Meinung, dass Religion, und zwar die in den Kirchen institutionalisierte Religion, von höchster Wichtigkeit ist – nicht allein für die Gläubigen. Hartmut Rosa attestiert der Gesellschaft, sie befinde sich in einem rasenden Stillstand. Damit meint er, dass wir zu Beschleunigung und Wachstum gezwungen seien, in allen Lebensbereichen – um den Status quo einigermaßen zu halten. Es sei so, als stünden wir auf einer Rolltreppe nach unten und müssten permanent nach oben steigen, um nicht abzusinken. Rosa sieht die Kirchen als Räume, in denen man in so einer Zeit das lernen und praktizieren kann, was unbedingt nötig ist, um nicht krank zu werden: Die Unterbrechung, das Aufhören, das Stillsein. Und Gysi bekennt im Vorwort: „Als jemand, der nicht an Gott glaubt, ist es mir wichtig, dass der befreiende Gehalt religiöser Ideen, auch wenn er erst in einer Religionskritik sichtbar werden sollte, nicht verloren geht“.

Hartmut Rosa: Demokratie braucht Religion. Das Büchlein ist soeben, am 19. Oktober, publiziert worden. Es beruht auf Rosas Vortrag beim Würzburger Diözesanempfang am 17. Januar 2022. Es ist im Verlag Kösel erschienen, hat 74 Seiten und kostet 12 Euro.