Dieses Buch „über ein sagenhaftes Tier“ ist ein sagenhaftes Buch. Rudi Neumaier, früher Kollege im SZ-Feuilleton, jetzt Geschäftsführer des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege in der Münchner Ludwigstraße, hat einen Liebesbrief an „Das Reh“ geschrieben. Es ist die Liebeserklärung eines Jägers, der die Rehe nicht einfach nur jagt, sondern ihnen auch Gedichte aufsagt und ihnen etwas vorsingt; „O Isis und Osiris“ zum Beispiel, also die Arie des Sarastro aus der „Zauberflöte“; oder den Schlager „Fiesta Mexicana“ von Rex Gildo. Warum Neumaier das macht, bei welcher Gelegenheit und zu welchem Zweck – das offenbart er gleich im ersten Kapitel, in dem er darlegt, „warum ich mir über Rehe Sorgen mache und über sie schreibe“. Er schildert da auch sein distanziertes Verhältnis zu denjenigen Förstern und Bauern, die meinen, dass wegen der Verbissschäden „die natürliche Vermehrung der Rehe mit aller Gewalt eingedämmt werden muss“. Neumaier hat etwas dagegen, dass die Abschussquoten immer höher gesetzt werden. Das klingt jetzt so, als habe er eine bissige Streitschrift geschrieben. Nein; das Buch ist zärtlich, heimatlich, gescheit, es ist kulturhistorisch und politisch anregend – und wunderbar zu lesen.

Neumaiers Buch hat mich an mein einziges eigenes Jagderlebnis erinnert, das in den siebziger Jahren in der Bar des örtlichen Jugendheimes, am Ende eines Faschingsballs, zu Hause in der Oberpfalz begonnen hat. Dort meinte mein Lieblingscousin, der nicht nur ein guter Hauptschullehrer, sondern auch ein versierter Jäger war, es sei doch jetzt schon früher Morgen und also die richtige Zeit, in den Wald zu fahren, auf den Hochsitz zu klettern und nach Hirsch und Reh Ausschau zu halten. Das taten wir dann auch. Das Gewehr legte ich, samt meinem alsbald sehr müden Kopf, auf den Stützbalken; und wach wurde ich erst wieder, als der Balken durchbrach und ich unsanft abstürzte. Das war das jähe Ende meiner Jägerei. Seitdem ist mir der Verzehr des Wildes lieber als die Jagd darauf. Rudi Neumaier hat es viel weiter gebracht. Lesen Sie sein Buch. Es ist ein großes Vergnügen.

Rudolf Neumaier: Das Reh. Über ein sagenhaftes Tier. Das Buch ist 2023 in der zweiten Auflage im Carl Hanser-Verlag erschienen. Es hat 223 Seiten und kostet 24 Euro.

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