ielleicht, so denkt der alte Mann in diesem Kinderbuch, „ist die Zeit reif, um loszulassen“. Und er verkauft also sein Andenken an die verstorbene Rosie, seine große Liebe, er verkauft sie an den Erinnerungshändler. An was erinnert er sich: Wie Rosies Zopf geduftet hat, als er sie traf: Er duftete nach Kirschen und nach Himbeeren. Und erinnert sich an ihr Lächeln und daran, dass ihr zwei Milchzähne fehlten und wie sie ihm bei ihrer ersten Begegnung die Hand reicht und fragt: „Wollen wir den ganzen Weg nach Hause hüpfen“. Der alte Mann meint, er brauche das alles nicht mehr. Sogar den Namen seiner großen Liebe hat er daraufhin bald fast schon vergessen – aber er spürt dann, wie ihm die Erinnerung fehlt und dass er ohne sie nicht weiterleben kann. Er bereut und kauft die Erinnerung zurück.

Mir ist das Buch in die Hand gekommen, als ich nach Kinderbüchern über den Frieden suchte. Es ist dies ein berührendes Buch, ein poetisches Buch, es ist ein Buch über die Menschlichkeit und die Kraft des besonderen Augenblicks. Das Buch lehrt, wie kostbar Erinnerungen sein können. Die Erinnerung an Menschen, die man geliebt hat, lässt diese Menschen weiterleben und sie verbindet mich mit ihnen, sie gibt ihnen das ewige Leben. Das ist etwas unendlich Friedliches. Ich meine aber, dass nicht nur die schönen Erinnerungen nicht verkauft werden dürfen; auch die schlechten und die bitteren Erinnerungen dürfen nicht verkauft werden, zum Beispiel die Erinnerungen der Generation, die den Krieg noch erlebt hat. Diese Erinnerungen wären nicht friedlich, aber vielleicht friedensstiftend.

Ich habe mich beim Lesen des Buches so sehr an meine Großmutter erinnert, die mir so viel vorgelesen und mir das Lesen und das Recherchieren beigebracht hat. Sie hatte zwei Weltkriege erlebt und erlitten und ihre Lebenserfahrung, die sie an mich weitergab, war die: dass der Krieg das größte denkbare Unglück ist. Deshalb reihe ich das Buch vom Erinnerungshändler bei den Friedensbüchern ein.

Orit Gidali / Tami Bezaleli: Der Erinnerungshändler. Das Kinder-Bilderbuch ist 2024 erschienen im österreichischen Vermes-Verlag. Es kostet 18 Euro.