Ich lege Ihnen dieses Lesebuch ans Herz, es ist ein Buch über ein Leben mit und in der Literatur. Es ist ein Lesebuch, das der Schriftsteller Joochen Laabs an seinem 85. Geburtstag, im Juli dieses Jahres, vorgelegt hat; ein Buch über das Lesen und Schreiben, ein Buch über sein Lesen und sein Schreiben. Es ist die leise Bilanz eines Lebens, das mit der Flucht aus dem zerbombten Dresden begann und in dem der junge Joochen im Bücherschrank des großelterlichen Gehöfts in der Niederlausitz eine neue Heimat fand: „Unvermutet eröffnete sich eine Zweitwelt, die mich aus der mich umgebenden Zerrüttung löste, von den Bedrückungen befreite. Von da an floh ich geradezu zu dem Buch. Gedichte wurden mir zum Schutzraum, in dem ich geborgen war vor den Zumutungen der Wirklichkeit. Durch die magische Kraft der Worte wurden selbst Verluste erträglich, fast zum Gewinn, fast zu einem Genuss.“

So schilderte Joochen Laabs seine Jugend – in der Dankesrede bei der Verleihung des Uwe-Johnson-Preises. Gedichte verschafften ihm „eine Vorstellung von einer anderen Welt, von lebenswertem Leben, in dem nicht nur Härte, Grobheit, Gewalt, Angst, Mangel und Verzicht alles bestimmen“. Der Junge Laabs las wie es kam, saugte sich voll mit Bildern, Eindrücken, Vorstellungen und Zuversicht. Und es gab keinen Grund, es bei Gedichten zu belassen; die Zweitwelt war grenzenlos. Es war, schreibt Joochen Laabs, eine Initialzündung angeschlagen, die nicht mehr verlöschte. Das Lesen, zu dem das Schreiben gekommen war, trug ihn durch die DDR. Er liebte diesen Staat nicht, aber er lebte dieses Land: „Aus diesem von der Glocke aus schwefligem Braunkohlendunst überwölbten und Trabant- und Wartburg-Geknatter durchröhrten Land meldete ich tagtäglich meinen Anspruch auf Dasein an.“

Es hatte früh der Wunsch in ihm geschwelt, Autor zu werden, aber er wurde erst einmal Straßenbahnfahrer in Cottbus, geriet dann unter die Ingenieure, „ohne seine Liebe zu Dichtern aufzugeben“. Er lebt seit 1975 als Schriftsteller in Berlin und Mecklenburg, war von 1993 bis 1998 Generalsekretär des Ost-PEN, dann Vizepräsident des gemeinsamen deutschen PEN, hat zahlreiche Romane, Erzähl- und Gedichtbände geschrieben. Bereits vor der deutschen Wiedervereinigung und noch zweimal danach war der Dichteringenieur „Writer in Residence“ in den USA; die Erfahrungen seiner Zeit als Gastprofessor an amerikanischen Universitäten hat er in seinem Roman „Späte Reise“ verarbeitet.

Joochen Laabs neues Buch, das auch schon frühere, entlegen publizierte feine Texte enthält, ist ein Nachdenken über die eigene Existenz und die seiner Dichterfreunde – Volker Braun, Christa Wolf, Stefan Heym, Reinhard Lettau, Günter Grass und viele andere: „Der Dichter legt seine Schwachstellen bloß, seine lieben Nöte, seine Schmerzen.“ Aber die Dichter, so schreibt Laabs, „tragen nicht nur ihr eigenes Päckchen. Sie haben auch die Last der anderen zu tragen; all das, was die robusten Ingenieure einfach abschütteln.“ Nach der Lektüre von Joochen Laabs möchte man einfach, neben einem Stapel von Büchern, im Sessel sitzen bleiben und lesen und lesen und lesen. Aber erst noch diese Leseempfehlung:

Joochen Laabs: Meine Freunde, die Dichter. Das Buch ist 2022 im Verlag Quintus erschienen, es hat 288 Seiten und kostet 24 Euro.

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