„Massenmorde, Massengräber, viel hundertfach, vergessen und überbaut, darunter Kinder, immer wieder Kinder. Wir leben immer mit Tätern, die die Opfer vergessen machen wollen, und mit Siegern, die sie verhöhnen. Wir leben mit vergessenen Schandtaten und vergessener Gerechtigkeit. Was heißt da Hoffnung?“ Es ist der emeritierte Bielefelder Professor für das Alte Testament Frank Crüsemann, der diese eindringliche Frage stellt. Sie kann einen verrückt machen. Tribunale, Denkmale, Aufarbeitungskommissionen, Gedenkkultur – all das macht die Gemordeten nicht wieder lebendig. Sie, die Opfer, werden es nicht sehen. Es gibt keine Wiedergutmachung.

Die Frage nach der unmöglichen Hoffnung auf Gerechtigkeit ist eine der Fragen, die das Buch stellt, das ich Ihnen heute empfehle: Von Gott reden in einer Welt der Gewalt heißt der soeben erschienene Sammelband von Vorträgen und Aufsätzen. Es ist ein Buch für theologisch Interessierte oder solche, die es durch die Lektüre werden könnten. Seine Stärke: Die Autorinnen und Autoren aus verschiedenen Fachdisziplinen steigen nicht von den Höhen der Dogmatik herab. Sie setzen an bei den tiefen, ganz konkreten Erfahrungen von Gewalt und Unrecht, Krieg und Mord und den Traumata, die sie hinterlassen. Es geht ihnen nicht darum, „den lieben Gott“ zu verteidigen; es geht ihnen um die Grundfrage: (Wie) kann man angesichts monströser allgegenwärtiger Gewalt von Gott reden? Am Beispiel biblischer Texte entfalten sie, wie erlebter Terror, Angst und Kriegsgräuel sich in heilvollen oder unheilvollen Gottesbildern niederschlagen. Sie schreiben von der Gewalt der Armut, vom Zusammenhang von Eigentum und Menschenwürde, von Missbrauch und Mittäterschaft, von Macht und Allmacht und vom Recht Gestorbener.

„Kann sich Hoffnung je mit dem Menschenmöglichen zufriedengeben? Muss es nicht um eine Gerechtigkeit gehen, die weit über solches Menschenmögliche hinausreicht? Für nichts weniger als das brauchen wir, so meine persönliche These, so etwas wie ‚Gott‘“, schreibt Frank Crüsemann in seinem Beitrag „Gott als Hoffnung für Abel – Oder: An was für einen Gott ich heute glauben kann“ – eine schonungslose Abrechnung mit dem allmächtigen Gott der Normal-Theologie, für die allein es sich lohnt, das Buch zu erwerben.

Von Gott reden in einer Welt der Gewalt. Herausgegeben von den Alttestamentlern Rainer Kessler und Dirk Sager. Das Buch hat 352 Seiten, ist soeben im Kohlhammer-Verlag erschienen und kostet 34 Euro.