Gedanken zum US-Präsidenten, zum Internationalen Tag der Gerechtigkeit und zum Widerstand.

Zu den besonders schönen und lautmalerischen deutschen Wörtern gehört das Wort „scharwenzeln“. Wer es nicht kennt oder wer nicht genau weiß, was das ist – der kann es jeden Tag in den Nachrichten lesen, hören, sehen und lernen: Die Art und Weise, wie Staatsmänner und Staatsfrauen, wie Top-Leute aus Politik, Wirtschaft und Medien den US-Präsidenten Donald Trump beflissen umschmeicheln, wie sie ihm liebedienern, um ihn herumschwänzeln und herumtänzeln, wie sie seinen wechselnden Launen applaudieren, wie sie ihm danken für alles und nichts – das ist großes Scharwenzel-Theater.

Ich schließe mich dem Dank in einer Hinsicht an. Einen gewissen Dank hat sich Trump nämlich verdient. Er hat in den wenigen Monaten seiner zweiten Amtszeit einen bequemen Glauben zerstört, einen Glauben, den er schon in seiner ersten Amtszeit erheblich erschüttert hatte: den Glauben daran, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sich jedenfalls in den Kernstaaten der sogenannten freien Welt quasi automatisch weiterentwickeln. Wir lernen: Nichts, gar nichts besteht von selbst. „Checks and Balances“ sind nicht einfach da, und sie bleiben nicht einfach da. Demokratie ist nicht einfach da und bleibt nicht einfach da. Eine demokratische Wahl sorgt nicht per se für demokratische Zustände. Wenn ein gewählter Macht- und Rechthaber jeden Tag seinen Filzstift zückt, um selbstherrliche Dekrete zu unterschreiben, ist er kein Demokrat; er demonstriert seine autokratische Sucht.

Trump setzt die Entrechtlichung des Völkerrechts fort

Soeben stand der Internationale Tag der Gerechtigkeit im Kalender. Es ist ein Tag, der an die Bedeutung des Völkerrechts erinnern und um Respekt für den Internationalen Strafgerichtshof werben soll. Selten war so ein Tag so notwendig. Und selten war das Wort „steht im Kalender“ so richtig, weil er eben nur im Kalender steht, aber nicht im Fokus der internationalen Politik. Völkerrechtsskeptiker und Völkerrechtsnihilisten gibt es schon, seitdem ein Völkerrecht existiert. Aber noch nie vor Donald Trump haben sie eine Weltmacht regiert.

In seiner ersten Amtszeit hat Trumps Regierung Sanktionen gegen Bedienstete des Internationalen Strafgerichtshofs verhängt; ihnen wurde die Einreise in die USA verweigert, ihr Vermögen in den USA eingefroren. Trumps damaliger Außenminister Mike Pompeo betrachtete jegliche Den Haager Ermittlungsarbeit als Übergriff eines „korrupten Gerichts“. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu assistierte ihm damals beflissen und bezeichnete diese Ermittlungen als „strategische Bedrohung Israels“. Ermittlungen des Strafgerichtshofs waren und sind keine Bedrohung für Israel, sondern für ihn: Der Strafgerichtshof hat 2024 gegen Netanjahu einen Haftbefehl erlassen wegen des Verdachts, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt zu haben. In seiner zweiten Amtszeit setzt Trump die Entrechtlichung des Rechts prononciert fort. Er ersetzt das ungeliebte Wort justice durch das von ihm geliebte Wort deal. Es ist eine Form der Scharwenzelei, wenn dieser (meist ökonomisch grundierte und intendierte) Deal als Friedenssicherungsmethode gelobt wird.

Erdoğan hat es in der Türkei vorgemacht

Der Souverän in einer Demokratie ist das Volk. In den USA sieht sich Trump als Souverän. Es gibt dafür eine Vorlage, von „Vorbild“ möchte man nicht reden: Recep Tayyip Erdoğan, der Präsident der Türkei, lenkt dort die Medien, er steuert und kujoniert die Justiz, er hat sich von den Bindungen befreit, die ein Rechtsstaat auch dem höchsten Repräsentanten eines Staates auferlegt. Den Wahlakt versteht Erdoğan, wie Trump auch, als Ermächtigung zur Selbstermächtigung: Er ist der Staat und handelt so, wie er es für richtig hält. Und er geht mit denen, die er für seine Feinde hält, so um, wie es ihm beliebt. Als das türkische Verfassungsgericht 2016 die Untersuchungshaft gegen zwei Journalisten aufgehoben hatte, drohte Erdoğan den Richtern: „Ich sage es offen und klar, ich akzeptiere das nicht und füge mich der Entscheidung nicht, ich respektiere sie auch nicht.“

So einen Satz traut man auch Trump zu. Erdoğan hat seiner Drohung Taten folgen lassen; den Repressalien gegen Rechtsanwälte folgten Entlassungen von Richtern und Staatsanwälten. Trump agiert ähnlich: Er hat das Justizministerium angewiesen, Sanktionen gegen Kanzleien zu verhängen, die sich an „unangemessenen“ Rechtsstreitigkeiten gegen die USA beteiligen. Verträge mit missliebigen Anwaltskanzleien werden gekündigt, deren Mitarbeiter dürfen Regierungsgebäude nicht mehr betreten. Trump und Erdoğan stehen für einen weltweiten Trend zum autokratisch Autoritären auch in demokratischen Staaten. Die Rechts-außen-Parteien in Europa werden davon stimuliert und befruchtet – in Deutschland ist das die AfD. Das Feindbild ist eine unabhängige Justiz.

Der 20. Juli lehrt: Es braucht frühen Widerstand

Der Dichter Wilhelm Raabe hat vor bald 150 Jahren einen der ersten Umweltromane geschrieben; er heißt „Pfisters Mühle“ und handelt davon, wie die Verschmutzung des Mühlbachs durch eine Zuckerrübenfabrik ein florierendes Ausflugslokal – Pfisters Mühle – in den Ruin treibt. Aus dem Bach ist ein „träge schleichendes, schleimiges, weißbläuliches Etwas geworden“. Und weiter: „Schleimige Fäden hängen an den zum Wasserspiegel herabreichenden Zweigen der Weiden.“ Selbst die an sich unsensiblen Enten stünden gleichsam angeekelt herum und „guckten leise und melancholisch gackelnd“ auf ihren ehemals so herrlichen Bach. So beschreibt das Raabe in seinem Roman. Man kann seine frühe Beschreibung der Umweltverschmutzung auf die Demokratie- und Rechtsverschmutzung von heute übertragen. Die Gefahren sind groß. Jeder Demokrat ist gefordert, nicht nur melancholisch zu gackeln, sondern etwas gegen die Verschmutzung durch Rechts-außen- und Rechts-draußen-Politik zu tun; es braucht frühen Widerstand.

Auch dafür gibt es in den nächsten Tagen einen Gedenktag: den 20. Juli. Er erinnert an den gescheiterten großen Widerstand gegen Hitler, der Pate stand für den Artikel 20 Absatz 4 Grundgesetz: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ In diesem Artikel steckt die Aufforderung, es nicht so weit kommen zu lassen, dass es den großen Widerstand braucht; dieser Artikel ist daher auch die Aufforderung zum kleinen Widerstand. Der Gedenktag lehrt, schon den Anfängen von Rechts- und Menschenverachtung entgegenzutreten. Dieser kleine Widerstand wiederum beginnt mit dem Ende der Scharwenzelei.

Hinweis: Diese Kolumne erschien zuerst am 17.07.2025 in der Süddeutschen Zeitung.