Vor fünfzig Jahren wurde Salvador Allende in den Selbstmord getrieben. Ein Militärputsch unter dem General Augusto Pinochet, gefördert von den Amerikanern und gepäppelt mit Waffen auch aus Deutschland, stürzte den demokratisch-sozialistischen Präsidenten Chiles. Die Putschisten bombardierten den Präsidentenpalast von Flugzeugen aus, Panzertruppen stürmten den Palast. Der frei und demokratisch gewählte Präsident Allende, ein Bauernsohn und studierter Arzt, beging Suizid.
Günther Wessel lässt in seinem klugen Buch die Träume und Visionen Allendes wieder auferstehen. Das Buch ist eine sehr feine, sehr respektvolle und sehr kundige Würdigung eines großen Politikers, an dem sich die USA sehr und ein wenig auch die Bundesrepublik versündigt haben. Der damalige US-Außenminister Kissinger hat eingestanden, dass die USA es – gemeint ist der Putsch – zwar „nicht getan haben“, aber sie hätten die größtmöglichen Voraussetzungen dafür geschaffen: Waffen, Waffen, Waffen. Vielleicht war es auch noch mehr, aber viele Daten und Akten unterliegen noch der Geheimhaltung.
Zu den Lieferanten zählte auch die Bundesrepublik, deutsche Waffen gingen an die berüchtigte Colonia Dignidad, eine Sekte, die von Franz Josef Strauß politisch unterstützt wurde. Die Sekte wiederum unterstützte den Putsch, von dem Strauß sagte: „Angesichts des Chaos, das in Chile geherrscht hat, erhält das Wort Ordnung für die Chilenen wieder einen süßen Klang“. In Santiago de Chile wurde Strauß ein paar Jahre später die Ehrendoktorwürde für Rechtswissenschaft verliehen – von einem Regime, dessen Chef nach dem Staatstreich gesagt hatte: „Die Demokratie muss gelegentlich in Blut gebadet werden, damit sie fortbestehen kann.“
Es war das Blut von über 13 000 Menschen, unter ihnen der berühmte Sänger und Dichter Victor Jara. Er gehörte zu den Vierzigtausend, die von den Militärs im Nationalstadion zusammengetrieben worden waren. Hier schrieb er sein letztes Lied: „Wie schwer fällt einem das Singen, wenn man vom Grauen singen muss.“ Ein letztes Mal sang er dort sein Lied „Venceremos“, die inoffizielle Nationalhymne Chiles, bevor ihm die Soldaten die Hände und Finger zertrümmerten, die so behände Gitarre spielen konnten. Sie marterten und erschossen ihn. Dies war der Beginn einer Militärdiktatur, die bis 1990 dauerte. „Seine Verse waren zärtlich, seine Verse waren stark“ – so heißt es im Victor-Jara-Lied, das Mitte und Ende der siebziger Jahre auf unzähligen Festivals in Deutschland gesungen wurde. Heute trägt das Stadion in Santiago seinen Namen.
„Eine chilenische Geschichte“ heißt der Untertitel des Buches, das akribisch und spannend beschreibt, wie es zur chilenischen Revolution und zum Putsch kam – und wie es dem Land in der Diktatur und nach deren Ende erging. Die amerikanische Haltung zu alledem illustriert ein Satz von Henry Kissinger, damals Sicherheitsberater des US-Präsidenten Nixon: „Ich weiß nicht, warum wir herumstehen und zusehen sollen, wie ein Land nur wegen der Unverantwortlichkeit seiner eigenen Bevölkerung kommunistisch wird.“ Kissinger sagte das, noch bevor Allende überhaupt gewählt worden war. Ein wenig ist die chilenische Geschichte auch bundesdeutsche Geschichte: Der Christdemokrat Norbert Blüm kämpfte 1987 in Chile bei Diktator Pinochet, von Franz Josef Strauß dafür heftig attackiert, für die Freilassung von 16 zum Tod verurteilten Häftlingen – für „Kommunisten“ und „Verbrecher“, wie Strauß höhnte. Im Januar 2004 stand Blüm dann in der Markthalle von Santiago, als ein alter Mann auf ihn zustürzte, ihn herzte und küsste. Es war einer der damals Geretteten.
Günther Wessel: Salvador Allende. Eine chilenische Geschichte. Das Buch ist vor Kurzem im Links-Verlag erschienen Es hat 256 Seiten und kostet 25 Euro. Große Leseempfehlung!