Und wieder Krieg in Israel. Man möchte verzweifeln über den ausweglosen Kreislauf aus Hass, Gewalt und Krieg, in dem das Land sich dreht, das für drei Weltreligionen das Heilige Land ist. Seit gestern wird wieder in Endlosschleife über Israel geredet, auch in Deutschland, der „Nation mit 80 Millionen Nahostexperten“. So nennt der in Israel geborene Meron Mendel seine deutschen Landsleute mit liebevollem Spott. Der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt hat kürzlich ein Buch herausgebracht, das den Titel hat „Über Israel reden“. Lesen Sie es, es ist ein Pfadfinder durch das Dickicht der Meinungen und Urteile, die in den nächsten Tagen garantiert wieder über uns hereinbrechen werden. Denn auch dieser Krieg wird Anlass sein, die bekannten Lieblingsparolen herauszukrähen, über Israel und Palästina, über Zionismus und Postkolonialismus und überhaupt über „die Juden“ und „die Palästinenser“ zu schwadronieren – dekoriert mit gegenseitigen Antisemitismus- und Antiislamismus-Vorwürfen, den üblichen Schuldzuweisungen und aufgeladen mit hoher Moralität.

Meron Mendel schreibt vor dem Hintergrund seiner eigenen Lebensgeschichte und mit kritischer Distanz zur israelischen Politik über eine sehr deutsche Debatte und greift alle Reizthemen auf: die Geschichte des Staates Israel, den Zionismus, den Antisemitimus-Vorwurf gegen Achille Mbembe, die BDS-Bewegung, die Debatte um Israel als Teil der deutschen Staatsräson, die Erinnerungskultur und ihre Kritiker u.a.m. Er bringt seinen Lesern keine Meinung über die vielen Meinungen hinaus bei, sondern lehrt sie zu denken, zuallererst nachzudenken über die eigene Anfälligkeit für Projektionen.

Mendel schont keinen und macht es niemandem gemütlich, am wenigsten sich selbst, und doch macht er es seinen Lesern und Leserinnen leicht, weil er nicht doziert, sondern unprätentiös erzählt, klug und warmherzig. Er scheut nicht die Widersprüche, sondern sucht sie, um sie fruchtbar zu machen, zum Beispiel in seiner Gebrauchsanweisung fürs Reden über Israel, mit dem er uns am Ende des Buches entlässt: „Erstens, vergiss, dass Israel nach Auschwitz entstanden ist. Zweitens, vergiss nie, dass Israel nach Auschwitz entstanden ist. Und wer sich darüber beklagt, dass diese Forderung so entsetzlich widersprüchlich ist, hat damit verdammt recht.“

Wer danach noch Lesehunger hat, greife zu Micha Brumliks vor zwei Jahren erschienenem Buch, das noch kein Gramm Aktualität eingebüßt hat, und auf das Meron Mendel verweist. Es ist mittlerweile als Taschenbuch erhältlich und trägt den Titel: „Postkolonialer Antisemitismus? Achille Mbembe, die palästinensische BDS-Bewegung und andere Aufreger.“ Die Fragen, denen Brumlik sich zuwendet, sind zum Teil dieselben, doch schreibt er detailreicher und schürft wissenschaftlich tiefer in seiner Analyse der Entstehung des Staates Israel und dem Vorwurf der Apartheid, des modernen Rassismus und Antisemitismus und der Debatten um den Nahostkonflikt und der BDS-Bewegung.

Meron Mendel, Über Israel Reden. Eine deutsche Debatte. Das Buch ist in diesem Jahr bei Kiepenheuer&Witsch erschienen, hat 224 Seiten und kostet 22 Euro.