Man stelle sich vor, die österreichische Familie Schicklgruber würde auf ihrem Familiengrab ein Steinkreuz errichten: für einen Gefreiten des Ersten Weltkriegs und Träger des Eisernen Kreuzes Zweiter Klasse; für einen Familienangehörigen der Groß-Sippe Schicklgruber, der zwar dort nicht körperlich bestattet ist, weil dessen Asche irgendwo im Großraum Berlin anonym verstreut liegt, aber: das Steinkreuz der Schicklgrubers soll eine Erinnerung sein, ein Denkmal für einen der ihren. Und auf dem steinernen Ehrenkreuz würde stehen: „Adolf Hitler (geborener Adolf Schicklgruber) / 20.4. 1889 – 30.4. 1945 / Politiker“.

Mit diesem Gedanken beginnt der Schriftsteller Claus-Peter Lieckfeld seine Darlegungen „zum Fall Jodl“. Alfred Jodl war ein hochrangiger Militär, ein glühender Nazi und Massenmörder, für den auf dem Friedhof der idyllischen Insel Frauenchiemsee ein großes Ehrenmonument steht, darauf ein eisernes Kreuz in den Stein gemeißelt. Alfred Jodl hat die Deportationen von Juden in Vernichtungslager vorangetrieben; der Kommissarbefehl, die Richtlinie für die gezielte sofortige Erschießung von kriegsgefangenen russischen Offizieren, geht auf ihn zurück. Jodl wurde 1946 vom Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg wegen Kriegsverbrechen und wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tode verurteilt und hingerichtet. Seine Asche wurde in einen Nebenfluss der Isar gestreut.

„Der Fall Jodl“ – das ist das Ehrenkreuz für Jodl auf dem Friedhof von Frauenchiemsee, das dort seit 1953 steht, gegen dessen ehrende Präsenz sich der Künstler Wolfram Kastner seit vielen Jahren vergeblich wehrt, mit zahlreichen Aktionen. „Keine Ehre dem Kriegsverbrecher“ ist Kastners Motto. In einer seiner vielen meist öffentlich angekündigten Aktionen entfernte er den bleiernen Buchstaben „J“ von „Jodl“, sodass nur das Wort „Odl“ auf dem Stein übrig blieb; das ist das bayerische Wort für Jauche. Das „J“ schickte Kastner an das Deutsche Historische Museum in Berlin. Weitere Aktionen folgten: symbolische Blutspuren am Ehrenkreuz zum Beispiel.

Ein von Helmut Donat herausgegebenes Büchlein dokumentiert, wie Verwaltung und Justiz aus dem „Fall Jodl“ einen „Fall Kastner“ machten. Der Künstler Wolfram Kastner wurde wegen Sachbeschädigung in vielen Verfahren und Instanzen immer wieder verurteilt. Seine Hinweise auf Kunst- und Meinungsfreiheit halfen ihm nicht. Selbst das Bundesverfassungsgericht sprach ihm den Schutz der Kunstfreiheit ab. Das, was Kastner da mache, sei keine Kunst. Das kleine, aber gehaltvolle Buch enthält gerichtliche Beschlüsse, Urteile, Dokumente und Essays.

Helmut Donat (Hrsg.), Der Fall Jodl. Kunst gegen Kriegsverbrecher. Das Buch ist soeben im Donat-Verlag, Bremen, erschienen. Es hat 81 Seiten und kostet 10 Euro.

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