Sicherheiten und Unsicherheiten: Über die Frage, wer zuletzt lachen wird bei der Bundestagswahl – Friedrich Merz oder Olaf Scholz.
Kolumne von Heribert Prantl
Als Olaf Scholz zehn und Friedrich Merz 13 Jahre alt war, machte in den Hitparaden ein Song Furore, der „Ha! Ha! Said the Clown“ hieß. Die Beatband, die das spielte, hieß Manfred Mann, und ihr Song ist bis heute ein Ohrwurm. Er handelt, wie der Titel sagt, von einem Clown, der die Menschen sehr zum Lachen bringt. Zu diesem Zweck geriert sich so einer bekanntlich meisterhaft ungeschickt, tölpelhaft und albern: Er fällt andauernd über seine eigenen Latschen, tritt in jeden Fettnapf; aber er hat am Ende trotzdem die Nase vorn. Davon, was das mit dem jetzigen Kanzler und dem Bundestagswahlkampf zu tun haben könnte, handelt diese Kolumne.
Der „Ha! Ha!“- Song kommt mir weniger wegen habitueller und sonstiger Ähnlichkeiten zwischen dem Spaßmacher im Zirkus und dem derzeitigen Kanzler in Deutschland in den Sinn, sondern deshalb, weil „HH“ das Kürzel für die Hansestadt Hamburg ist, in der Scholz jahrelang ein sehr beliebter Erster Bürgermeister war – trotz oder gerade wegen seiner auffälligen Unauffälligkeit und seiner leidenschaftlichen Leidenschaftslosigkeit. In Hamburg wurde er 2011 mit einem berauschenden Ergebnis an die Spitze des Stadtstaates gewählt; bei zwei Landtagswahlen erzielte er für die SPD in HH Prozentzahlen, die mehr als dreimal so hoch lagen wie die heutigen Umfrageergebnisse für die SPD im Bund; und bei der Bundestagswahl von 2021 sorgte Scholz als Spitzenkandidat dafür, dass die SPD unerwartet stärkste Partei wurde – und er in der Folge Kanzler. „Ha! Ha!“, freute sich da der zuvor als „Scholzomat“ verspottete Mann.
Der Komiker triumphiert, erleichtert und schadenfroh zugleich
Der einschlägige Song handelt in seiner Originalversion von einem, der zuletzt lacht; von einem Komiker, der in einem Nachtclub auftritt: Während der oben auf der Bühne seinem clownesken Job nachgeht, wird seine Frau vor seinen Augen unten im Publikum von einem anderen Mann heftig angebaggert; der denkt, er sei der King, und sie scheint beeindruckt zu sein. Aber am Ende erteilt sie ihm eine sagenhafte Abfuhr – und der Komiker triumphiert, erleichtert und schadenfroh zugleich. In der politischen Version des Jahres 2024/25 fragt man sich, ob es Friedrich Merz mit seinen Versuchen, die Wählerschaft zu beeindrucken und anzubaggern, im Februar ähnlich ergehen könnte wie dem siegesgewissen Mann aus dem Song. Und kann dann Scholz, der augenblicklich von seiner Bühne im Kanzleramt aus macht- und hilflos dabei zuschaut, hoffen, dass er am Schluss doch noch siegt?
Es sieht derzeit überhaupt nicht so aus. Die Performance des Kanzlers auf der Bühne gilt als schwach, auch wenn das Stück, das er unter äußerst schwierigen Rahmenbedingungen aufgeführt hat, sich durchaus sehen lassen kann. Die Bewertung seiner drei Kanzlerjahre könnte sich angesichts der neuen Erkenntnisse über die Obstruktion durch die Lindner-FDP rückblickend noch etwas ändern.
Auf Umfragen ist nicht unbedingt Verlass
In den Umfragen und Kommentaren wird Merz freilich schon längst zum neuen Kanzler ausgerufen. Aber spätestens seit den US-Wahlen weiß man, dass auf Umfragen und die darauf aufbauenden Kommentare nicht unbedingt Verlass ist – zumal in so turbulenten Zeiten. Und die Turbulenzen werden in den gut zehn Wochen bis zur Bundestagswahl noch zunehmen: Am 20. Januar tritt der US-Präsident Donald Trump sein Amt an; wie es dann mit dem Ukraine-Krieg weitergeht, ob und wie und welche Waffenstillstands- und Friedensgespräche geführt werden – es ist Spekulation. Spekulation ist auch, wem solche Gespräche bei der Bundestagswahl helfen werden.
In der öffentlichen Wahrnehmung ist es jedenfalls so, dass Merz noch stärker auf militärische Optionen setzt als Scholz und dass er beim Einsatz umstrittener Waffensysteme wie dem Taurus (anders als Scholz) keine Zurückhaltung kennt. Es gibt kein Waffensystem, das Merz der Ukraine nicht liefern möchte. Viele Wählerinnen und Wähler empfinden daher seinen Ukrainekurs als „zu krass“, wie das dieser Tage die Zeit formulierte. Sie haben Angst vor einer Eskalation, die im Fall des Einsatzes von Atomwaffen nicht eine Zeitenwende, sondern das Zeitenende wäre. Es wird nicht reichen, solche Ängste einfach als Unsinn abzutun.
Geht von diesen Raketen wirklich der Frieden aus?
Scholz will sich im Wahlkampf als der besonnenere Politiker präsentieren. Diese Besonnenheit wird freilich in Teilen seiner eigenen Partei in Zweifel gezogen, seit Scholz im Juli zusammen mit den USA eine lapidar kurze Erklärung über die Stationierung neuer weitreichender US-Waffensysteme hierzulande verkündet hat – in Deutschland als einzigem Land in Europa: Tomahawk-Marschflugkörper und Hyperschallraken. Geht von diesen Raketen auf deutschem Boden, die atomar bestückt werden können, der Frieden aus? Ist man schon „Friedenskanzler“, wie es Scholz gern sein möchte, wenn und weil der CDU-Konkurrent Merz noch mehr aufs Militär setzt?
Merz steht gut da, aber er hat ein Problem: Er hat sich mit den von ihm gewünschten schnellen Neuwahlen selbst unter Druck gesetzt. Er muss nun nämlich schleunigst weg von einigen Forderungen, die er als Oppositionsführer polemisch vertreten hat. Will er jetzt zurück zur Atomenergie oder nicht? Findet er Windräder zu hässlich, um sie in Zukunft zu nutzen? Will er die Schuldenbremse oder will er sie nicht? Wo ist der pausbackige Triumph darüber geblieben, dass sich seine Partei erfolgreich für sie beim Verfassungsgericht ins Zeug gelegt hat?
Mit der Aussicht, selbst zu regieren, hat Merz die Trillerpfeife weggelegt
Solange er mit der Schuldenbremse das Funktionieren der Ampel blockieren konnte, gab Merz den strengen Schiedsrichter. Mit der Aussicht, selbst zu regieren, hat er die Trillerpfeife weggelegt und macht beim Thema Schuldenbremse nun Lockerungsübungen. Merz rudert derzeit ziemlich viel hin und her und zurück. Das Gedächtnis der Wähler ist nicht so kurz, als dass es das alles am 23. Februar vergessen hätte.
Die SPD hat mit der erst zögerlichen, dann robusten Nominierung von Scholz als Kanzlerkandidaten vorerst die Frage geklärt, wer bei ihr den Ton angibt. Bei der CDU/CSU ist das nicht der Fall. Der Streit zwischen Merz und Söder darüber, ob eine Koalition mit den Habeck-Grünen denkbar oder undenkbar ist, irritiert sehr; er belastet den Wahlkampf und verdunkelt die Perspektiven für die Zeit nach dem 23. Februar. Wenn es so aussieht, als käme für die Union einzig eine kleine große Koalition mit der SPD infrage, nutzt das vor allem dem Wachstum der AfD. Über solche Aussichten lacht nicht einmal ein Clown.
Hinweis: Diese Kolumne erschien zuerst am 12.12.2024 in der Süddeutchen Zeitung.